Aschaffenburg – auf den ersten Blick ein malerisches Kleinod mit historischem Erbe, bei genauerem Hinsehen ein vitales Zentrum der Kunst. Die Frage, wie diese kulturelle Dynamik entstanden ist, führt unweigerlich zu den Künstlerpersönlichkeiten, die in den Nachkriegsjahrzehnten das Fundament für die heutige Szene legten. Die Überblicksschau „Woher – Wohin? Kunst in Aschaffenburg 1945–1976“ widmet sich dieser Epoche und erzählt von einer Generation, die mit den Schrecken des Kriegs konfrontiert wurde und ihre Erfahrungen in eindrucksvollen Werken verarbeitete.
Anlass für diese umfassende Schau ist der 100. Geburtstag mehrerer Künstler, deren Schaffen das kreative Gesicht Aschaffenburgs entscheidend mitprägte. Einer von ihnen ist Walter Helm, ein Künstler, dessen Werk sich durch eine reduzierte, fast archaische Materialästhetik auszeichnet. Helm nutzte textile Materialien – raue Oberflächen, grobe Strukturen und elementare Haptik. Seine Arbeiten, geprägt von der Ästhetik der Arte Povera, sprechen von Vergänglichkeit, vom Zerrissenen und Fragmentierten.
Auch Erwin Rager ist in Aschaffenburg kein Unbekannter. Sein „Leiderer Schwellkopp“ beispielsweise, ein Brunnen auf dem Friedrich-Krane-Platz, ist längst ein liebevoll betiteltes Wahrzeichen der Stadt. Rager war nicht nur Künstler sondern auch Lehrer, der über Jahrzehnte hinweg Steinmetze und Bildhauer ausbildete.
Eine weitere zentrale Figur dieser Epoche ist Joachim Schmidt, dessen Werk apokalyptische Visionen und düstere Erinnerungen an die Kriegsjahre in expressiven Ölgemälden und Federzeichnungen einfängt. Seine Bilder sind von einer intensiven Auseinandersetzung mit Gewalt und Zerstörung geprägt, gleichzeitig jedoch auch von der tiefen Suche nach menschlicher Würde inmitten des Chaos’.
Einen ganz anderen Zugang zur Kunst wählte Wera Schröner. Ihre Stadtlandschaften zeigen eine klare, geometrische Formensprache, in der die Dynamik der modernen Metropole eingefangen wird. Schröner, die ihre Karriere als Fotografin begann, bringt in ihren Bildern eine einzigartige Synthese aus dokumentarischem Blick und abstrakter Farbkomposition zum Ausdruck. Ihre Werke zeigen das Spannungsfeld zwischen Vergänglichkeit und Fortschritt, zwischen Architektur als Monument und als temporäres Gebilde.
Ernst Vollmer war ein Schriftkünstler und Grafiker, der die Kunstszene seiner Heimatstadt Aschaffenburg maßgeblich mitformte. Er lehrte Schriftgestaltung an der Meisterschule für Steinmetzen und beeinflusste Generationen an Künstlern und Handwerkern.
Last but not least: Gunter Ullrich, ein Künstler, der als Chronist seiner Zeit gilt. Mit akribischer Genauigkeit hielt er über Jahrzehnte die Veränderungen Aschaffenburgs und der Region Mainfranken fest. Seine Grafiken und Malereien sind nicht nur künstlerisch von Bedeutung, sondern auch wertvolle Zeitdokumente, die das Stadtbild im Wandel der Jahrzehnte erfahrbar machen.
„Woher – Wohin?“ öffnet ein Fenster in eine Zeit, in der Kunst nicht nur Ausdruck individueller Schöpfung war, sondern auch Spiegel kollektiver Erfahrungen. Sie zeigt, wie sich Aschaffenburg zu einem lebendigen Kulturraum entwickelte. Wer verstehen will, warum, muss hier beginnen – in der Zeit nach 1945, zwischen Trümmern und Aufbruch, Tradition und Avantgarde.