Vor einigen wenigen Wochen, zeitlich rund um den Start der Corona-Impfungen in Deutschland gelegen, kursierte ein Meme in den sozialen Netzwerken. Inhalt: Überlasst die Planungen der Eventbranche – dann wären wir nicht nur ruckzuck mit dem Impfen durch, sondern es gäbe auch noch Bühnen, Livemusik sowie Essens- und Getränkestände in jedem Impfzentrum. Oder, um es in einem zusammenkomprimierten Fazit zu sagen: „Einmal mit Profis …“.
Natürlich ist die formulierte Forderung eine pure Überzeichnung, selbstredend nicht eins zu eins umsetzbar und schlicht als Satire zu verstehen. Und doch greift in diesem Fall auch ein altes Sprichwort, denn „in jedem Spaß steckt auch ein Fünkchen Wahrheit“. Und diese Wahrheit zeigt sich aktuell an (viel zu) wenigen Impf-Spots in der Umgebung, die zudem bezeichnenderweise auch noch in anderen Bundesländern liegen.
Einmal mit Profis
Denn sowohl kurz hinter der bayerisch-hessischen als auch hinter der bayerisch-baden-württembergischen Grenze gibt es Beispiele, in denen die Verantwortlichen seitens der Länder und Landkreise einen Teil der Organisation, Ablaufplanungen und Personalbeschaffung und -führung in die Hände von professionellen Firmen aus der Eventbranche gelegt haben. Diese betreuen vor Ort den nicht-medizinischen Bereich, sprich Besucherlenkung, Einlass, Dokumentenmanagement, Verwaltung und Back-Office, Lager- und Bestellwesen der Verbrauchsmaterialien, die technische Leitung und nicht zuletzt den Bereich Sicherheit. Für den Umgang mit dem Impfstoff an sich, die ärztliche Aufklärung, den Impfvorgang und die gesundheitliche Überwachung der Gäste ist natürlich medizinisches Fachpersonal zuständig.
Und während andernorts oft Frust auf allen Seiten herrscht, teilweise über chaotische Zustände in Bezug auf die Abläufe vor Ort berichtet wird und nicht selten gestresst-überfordertes Personal auf genervt-verunsicherte Impflinge trifft, scheint es an den genannten Standorten in allen Bereichen zu flutschen. Und dabei arbeiten doch alle unter den gleichen Voraussetzungen und jeweils landesweit einheitlichen Rahmenbedingungen, von der Taktung der Impfungen über die nötige Dokumentation bis hin zur verwendeten Software. Wie kann es also sein, dass zwischen tiefenttäuschten Erfahrungsberichten und lobgetränkten Leserbriefen nur wenige Kilometer liegen?
Die Antwort ergibt sich nahezu von alleine. Denn Mitarbeiter aus der Livekultur und der Veranstaltungswirtschaft sind absolute Fachleute wenn es darum geht, strategisch optimiert zu planen, minutengenaue Taktungen auch vor Ort umzusetzen, Besuchermassen geordnet und flüssig zu lenken, ergebnis- und (vor allem auch) kundenorientiert zu arbeiten und dabei kurzfristig und zielstrebig in alle gegebenen Voraussetzungen und Parameter zu berücksichtigen. Und, das ist wohl die entscheidende Kompetenz, sie sind es einfach gewohnt in Stress- und Drucksituationen einen kühlen Kopf zu bewahren und mit ruhiger Hand tragbare Lösungen zu definieren und umzusetzen – das, was man gerne mit „Troubleshooting“ umschreibt.
Das Ehepaar Müller
Das Ehepaar Müller, 88 und 85 Jahre alt und wohnhaft im Odenwald, war unter den Glücklichen, die direkt Ende Januar ihre Termine zur Erstimpfung im Neckar-Odenwald-Kreis ergattern konnten. Nach der Ankunft in Begleitung ihrer Tochter wurden sie von freundlichen Securitys begrüßt, am Empfang erfolgte die Prüfung ihrer Personalien und der Impfberechtigung, eine Mitarbeiterin checkte den gebuchten Termin und nahm ihnen an der Stirn die Temperatur. Freundliche Guides führten sie trotz großen Andrangs von Station zu Station und nahmen den Senioren mittels Small-Talk und einem Lächeln die letzte Nervosität. Eine digitale Impfmappe wurde angelegt, die Erstanamnese erfolgte und der nette Kollege mit dem Rauschebart druckte die benötigten Dokumente und Aufklärungsbögen aus. Ein anderer Guide begleitete sie zur ärztlichen Aufklärung samt folgender Impfung. Danach noch mal Papierkram: Impfbescheinigung, Dokumentation der Chargen und der Medikation, zwei letzte Fragen, fertig.
Dem Ehepaar Müller war es dabei zu Recht völlig egal, wem es in diesen 60 Minuten da begegnet ist: Einem Management-Mitglied von einem der erfolgreichsten deutschen Techno-Artists, dem Soundmann von Sasha und Welshly Arms, einem Systemtechniker der Luke-Mockridge-Livecrew, einer erfolgreichen TVOG-Teilnehmerin, einem Studiobetreiber und Produzenten, zwei Stagemanagern großer Festivals sowie diversen weiteren Personen aus dem Kulturbetrieb.
Aber es hat sich so gut aufgehoben gefühlt, dass es ihre Tochter bat, einen entsprechenden Leserbrief in der regionalen Tageszeitung zu platzieren – der erste von einigen.
Super. Und der Rest so?
Die allermeisten Impfzentren wechseln ab April, also gerade mal zweieinhalb Monate später als ursprünglich geplant, in den Vollbetrieb: An sieben Tagen in der Woche soll im Zweischichtbetrieb gepiekst werden. Und während zahlreiche Standorte auf Geheiß von „oben“ gleichsam verzweifelt wie erfolglos nach ehrenamtlichen Helfern für den anstehenden 14/7-Betrieb suchen oder anderweitig dringend benötigte Ressourcen aus Hilfs- und Rettungsdiensten binden, verzweifeln hunderttausende Fachleute der Eventbranche daheim an der Mischung aus zwangsverordneter Bedeutungslosigkeit und ausbleibender staatlicher Unterstützung. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht die traurige Realität wäre. Über die Gründe, warum die zuständigen Entscheidungsträger aus den jeweiligen Gremien diese Win-Win-Situation konsequent ausblenden, kann nur spekuliert werden.
Die Kostenseite kann es auf jeden Fall nicht sein. Oben beschriebene Posten an der Front der Impfzentren mit Eventlern zu besetzen, bedeutet wahrscheinlich nur einen Bruchteil der Steuermittel, die bislang für desaströse Maskendeals und -logistik, nicht vorhandene Intensivbetten oder exorbitante Beraterhonorare in Krisenzeiten verwendet wurden. Das „Sch“ an passender Stelle denkt sich bitte jeder mal selbst.
Viel wahrscheinlicher ist da, dass die Veranstaltungswirtschaft auch an dieser Stelle der schier unendlichen Geschichte wieder schlicht ignoriert und/oder vergessen wurde. Und dabei könnte es doch eigentlich so einfach sein.