Interview mit Pete Agnew (Nazareth) und Wadim Neesbors
Hand aufs Herz: Ich bin ganz schön aufgeregt, als die Tür läutet. Ok, er ist da! Der Mann hat vor abertausenden Leuten gespielt, Millionen von Platten verkauft und aktuell seine 24. im Gepäck. Schluck. Ach det wird scho! Spoiler: Und es wurde auch …Pete Agnew, seines Zeichens Bassist von Nazareth, kommt ins FRIZZen–Büro mit einer höchst ansteckenden Gelassenheit und einer sehr zuvorkommenden Ausstrahlung. Bereits nach wenigen Sekunden im Interview – mit einem Käffchen auf dem Tisch, versteht sich – fangen wir an, ein bisschen über Musik zu quatschen. Drei Sätze später merke ich: Das ist ja tatsächlich gerade ein Dialog zwischen zwei Musiker-Generationen! Geistiges Notizblatt und Stift gezückt und los geht’s!
FRIZZ Das Magazin: Wie fühlt es sich an, eines der Gründungsmitglieder einer derart ikonischen und weltweit bekannten Band zu sein? Und das seit 50 Jahren! Was hat sich während dieser Zeit verändert und was ist gleich geblieben?
Pete Agnew: Es gab gerade zu Beginn der 90er viele neue musikalische Stilrichtungen, die in den Mainstream beeinflussten, wie Grunge oder Britpop. Dennoch existierten immer Verfechter des Classic Rocks und ein Publikum für dieses Genre. Die erste Reihe bei Liveshows besteht heute, wie auch in den 70er–Jahren, immer noch aus jungen Rock-Enthusiasten. Ein Wandel fand dahingehend statt, dass Rockbands im Allgemeinen nicht mehr so präsent im Radio sind und es nahezu keine Sender mehr gibt, die ausschließlich Rock im Repertoire haben. Was aber halb so wild ist, denn letztendlich sind die Liveshows das A und O. Bezüglich der Auftritte sind die Konditionen im Verlauf der Zeit sogar deutlich besser geworden. Es war zu Beginn keine Seltenheit, dass ein Lokal, in dem wir spielen sollten, nur EINE Steckdose für die ganze Band hatte! [Anmerkung des in einer Rockband spielenden FRIZZen: Vielleicht wurde ich ja doch im richtigen Jahrzehnt geboren …]
Am 9.4. seid ihr wieder in Aschaffenburg. Gastiert ihr gerne hier? Gibt es positive Assoziationen mit unserer Stadt?
Die Leute waren immer sehr zuvorkommend und offen zu uns. Wir durften sogar unseren Tourbus in einer Garage ohne jegliche Probleme stehen lassen, was echt rar ist!
Und wie sieht es mit schlechten Erfahrungen aus?
Um ganz ehrlich zu sein, ich kann mich an keine Schlechte erinnern, auch wenn ich es wollte. Keine Beschwerden!
50 Jahre im Rockbusiness – das kann nicht jeder von sich behaupten. Habt ihr ein Geheimrezept für eine so lang andauernde Karriere?
Es gibt diese so genannten „Oldie-Festivals“, bei denen ausschließlich Gruppen aus unserer Generation spielen – und das ist eine gute Sache! Wichtig ist es aber immer noch, Platten zu schreiben und zu produzieren. Wir arbeiten echt hart daran, hatten aber auch verdammt viel Glück und sind sehr dankbar, dass wir das Ganze noch machen können und dürfen. Und dass wir für die Zuhörer immer noch relevant sind! „Tattooed on my Brain“ ist unser 24. Album und wir erhalten hierfür die besten Rezensionen, die wir in unserer Karriere jemals bekommen haben. Wir spielen auch weiterhin Festivals rund um den Globus und versuchen so, noch mehr Leute zu erreichen!
Ich muss dir was beichten … Ich kannte nur den Welthit „Love Hurts“ bevor ich mit meiner Recherche losgelegt habe [Anm. d. Red.: Schande über mich, aber ich bin eben ein Grünschnabel; was auch bestimmt meinem Alter von 22 Jahren geschuldet ist.] und war dementsprechend nicht sehr voreingenommen, als ich die neue Platte zum ersten Mal durchhörte. Ich muss sagen, dass „Tattooed on my Brain“ zugleich frisch und rotzig klingt. Wie habt ihr das angestellt?
Ein triftiger Grund ist, dass wir einen neuen Sänger (Carl Sentance) mit an Bord haben, der auch viele Grundsteine der neuen Songs geliefert hat. Das merkt man am Sound, aber auch am Songwriting. Der frische Wind brachte obendrein eine andere Mentalität in uns hervor. Es war in der Tat so aufregend, diese Platte zu kreieren, dass es sich so anfühlte, als wäre es unsere erste. Das Resultat klingt deutlich klarer und heller, ohne jedoch unsere Handschrift zu verlieren.
Und wie entstand die Idee zum Albumtitel?
Die Inspiration kam tatsächlich aus einem Gespräch mit George Carlin, das ich einst geführt habe. Er sagte, dass Tattoos eine Art permanente Erinnerung an ein kurzzeitiges Gefühl darstellen und ich fand dieses Zitat so treffend, dass ich es unbedingt in einen Song verpacken wollte. Ich schnappte mir eine Gitarre, schrieb ein Lied mit dieser Thematik und stellte es den Jungs vor. „Das ist es! Das ist der Albumtitel“, war dann die Resonanz. Man muss dazusagen, dass der Sound punkiger ist, als für uns üblich, ohne aber auf unsere eigene Note zu verzichten. Nachdem das mit dem Lied so gut geklappt hat, wollten wir diesen Spirit auf der Platte beibehalten und versuchten, mehr Facetten des Rocks in das Werk einzubetten.
Das hört man auch! Die Stimmungen wechseln innerhalb der Platte sehr fließend. Es gibt sehr blusige Passagen, aber auch kleinere Ritte in Richtung Psychedelic–Rock. Hat sich dieser Ursprungsgedanke quasi zum Konzept der Platte entwickelt?
Das Lied „Tattooed on my Brain“, welches diesen Spirit in sich trägt, war nicht der erste Song, den wir für die Platte geschrieben haben – weswegen man hier eigentlich nicht von einem konkreten Konzept reden kann. Da jeder der Bandmitglieder seine Liedideen im Verlauf des Songwriting–Prozesses eingebracht hat und die verschiedenen Einflüsse dadurch gebündelt wurden. Wir hatten eher ein abstrakteres Konzept vor Augen. Die Songs sollten sich in die Köpfe der Hörer quasi einbrennen, sodass sie wortwörtlich „tattooed on the Brain“ sind. Diese Schlussfolgerung haben auch viele der Hörer gemacht! Wir haben Nachrichten und Rezensionen gelesen, in denen es hieß: „Ich kriege die Songs einfach nicht mehr aus meinem Kopf … I guess they’re tattooed on my Brain …“
Was war das Verrückteste, was euch vor oder während einer Show passiert ist, sodass ihr dachtet: „Das Konzert wird jede Minute den Bach runter gehen“.Irgendetwas, das immer noch „tattooed on the Brain“ ist?
Die Frage ist, was von meinem Brain nach all diesen Jahren noch übrig ist! Es sind in der Hinsicht schon viele blöde Sachen passiert, wie man sich bestimmt vorstellen kann, bei den 50 Jahren die wir unterwegs waren. Zum Beispiel ist mal die ganze Lichtinstallation auf die Bühne gebrettert, das war gruselig. Noch verrückter war jedoch, als wir in der Nähe des Mississippi-Rivers gespielt haben und ein Tornado nicht allzu weit entfernt sein Unwesen trieb. Ist in Amerika ja keine Seltenheit, deswegen haben wir es einfach durchgezogen. Wir fangen also an, den Song „Big Boy“ zu spielen, als sich der Himmel auf einmal verdunkelt … Alles verschwand förmlich und die Hölle brach aus! Die Bühne wurde vom Fluss überschwemmt und die Leute suchten das Weite. Unsere Roadies waren dabei, das Equipment zu retten … Und wir befanden uns ja NUR am Rand des Tornados – das war dann eher „tattooed in my Underpants“!
Die letzte, jedoch nicht wirklich kreativste Frage – deren Beantwortung allerdings interessant ist von jemandem, der die Entwicklung des Genres mitgeprägt bzw. beeinflusst hat. Ist der Rock tot?
Überhaupt nicht! (Anm. d. Red.: Offensichtlich eine rhetorische Frage!) Es ist schon seit längerem klar, dass das Internet eine wichtige Plattform für Musik geworden ist, was aber für den Rock, so wie wir ihn kennen, kein Hindernis ist. Es gibt immer noch viele große Vertreter des Genres, aber auch junge Bands, die den Spirit aufgreifen und dennoch ihr eigenes Ding machen! Das Publikum ist immer noch da und es kommen immer neue Fans und Anhänger, welche sehr jung sind, dazu. Was man auch bedenken muss: Die am schnellsten ausverkauften Konzerte sind die der Rolling-Stones und die sind sogar älter als ich! Das muss was heißen! Selbst wenn ich den Löffel abgebe, wird es immer noch Rockbands geben, die es weit bringen!
Herrlich! Mit diesen Worten lässt sich doch so ein Interview wunderbar abschließen! Also Kids: Packt eure Instrumente aus. Rock ist lebendiger, denn je!
Der Rocknazarethgrünschnabel-FRIZZe dankt für das aufschlussreiche Gespräch.
Nazareth spielen am 9.4. im Colos-Saal. Alle weiteren Infos zur Veranstaltung findet ihr hier.