
Der Rossmarkt. Eine neubezogene Wohnung dient zugleich als Atelier, Spielplatz für Tobsüchtige und Treffpunkt für eine kleine kunstaffine Untergrundszene. Ein Kollektiv tätowierter Guerilla-Anarchisten aus der Subkultur, stets zum Aktionismus bereit, täglich eine neue Idee im Hirn, die es umzusetzen gilt. An der Wand hängen Eigenwerke in schwarzen Rahmen. Ambient-Musik wechselt zu Tom Waits, dann ein bisschen Black Metal zum Warmwerden. Es riecht nach Unstille und Obsession. Im Subtext von Mystik, Symbolik und Heavy Metal liegt das Wesen eines Besessenen. Hier entstehen die unterschiedlichsten Ausdrucksformen mitten aus der Seele des 23-jährigen Marek Bäuerlein.
Dutzende Fotografien, Flyer, Plattencover, T-Shirt-Designs und Artworks für nationale und internationale Bands gehen auf seine Kappe, darunter auch Arbeiten für regionale Acts wie Ex-Cult of Gaia, A Young Man’s Journey, Orcus Chylde, Fitzcarraldo oder Der Weg einer Freiheit. In letzter Zeit macht der gelernte Mediengestalter abseits seiner Auftragsarbeiten auf sich aufmerksam, benennt den inneren Drang nach „Veränderung der Umgebung“ als Antrieb und Motivation. Mit der lokalen Kunstszene verbindet ihn seiner Aussage nach nichts und von Street-Art distanziert er sich bewusst. Es fallen die Begriffe Aktionskunst und Improvisationskunst. Aber heute machen wir die Schubladen einfach mal zu. Kunst ist für alle da! Credo: Macht damit, was ihr wollt!
Bäuerlein spricht über seine persönlichen, schönen Dinge des Lebens, die für konventionelle Menschen stellenweise abstoßend oder kaum dem Kunstbegriff zuzuordnen sind. „Der erste Blick auf meine Arbeiten mag viele sicher traurig stimmen. Ich bin mir bewusst, dass ich Dinge mache, die nicht jedem gefallen.“
Da ist zum Beispiel diese Geschichte mit den unzähligen Augen im Wald. In einer Nacht- und Nebelaktion nagelte die Gruppe um Bäuerlein ein Dutzend Augenpaare aus Papier auf Bäume im Schönbusch oder Schweinheimer Wald. Die Wirkung erzeugt gespenstisches Unbehagen, wenn man ihren Weg kreuzt. „Du wirst dich sehr beobachtet fühlen. Es ist schlichtweg abstrakt, wenn dich die Augen aus der Ferne anstarren. Es muss aber nicht immer eine klare Botschaft geben. Kunst soll berühren, polarisieren, wütend machen, verstören. Ich möchte mit meinen Arbeiten Stimmungen und Gefühle ausdrücken.“ Kunst ohne Emotion ist schließlich tote Kunst.

Mit dem Projekt 1000Raben setzt er seiner Ideenvielfalt keine Grenzen, Hauptsache weg vom Digitalen. Ob Experimente mit Farben, Collagen, Papierbasteleien oder – wenn es mal wieder ganz abgedreht sein darf – ein Masken-Workshop zusammen mit Bildhauer Christoph Mencke, der ihm auch das Schweißen ein Stück näher brachte.
Mit seiner offenen und kommunikativen Art trägt der Anti-Künstler Bäuerlein dazu bei, sich selbst zu entmystifizieren. Doch genau darin liegt sein Charisma. Schließlich ist es ihm ein Herzenswunsch, seine Mitmenschen zu inspirieren. Er motiviert dazu, selbst loszulegen und dem Drang, seine innere Eigenwelt auszudrücken, nachzugehen. Die Unnahbarkeit eines Künstlers – bei Bäuerlein nicht zu spüren.
Momentan befindet er sich mit befreundeten Anhängern – fast alle sind beruflich in der kreativen Branche tätig oder verbringen zumindest ihre Freizeit mit Design, Musik oder Film – in der Postproduktion zum ersten Musikvideo der Aschaffenburger Post- & Artrock-Band The August, in dem er live beim Dreh zu der Musik ein Gemälde erstellt.
Im Januar 2013 gibt es in der Aschaffenburger Sandbar die erste Werkschau von 1000Raben zu sehen (exakter Termin stand zu Redaktionsschluss leider noch nicht fest). Zusammen mit einer Lichtkomposition und den sphärischen Klängen von The August soll die Veranstaltung als anregendes Gesamtkunstwerk betrachtet werden. „Bilder ausstellen kann jeder“, sagt er. „Ich möchte meinen Gästen einen ganz besonderen Abend bieten!“