Start ins Schuljahr 2021/2022. Und jährlich grüßt mittlerweile das Murmeltier. Sonntagvormittag. Gut 24 Stunden to go! Das Mäppchen sieht aus wie Sau, den Ranzen hat seit sechs Wochen niemand mehr gecheckt und gerade hat Hanni noch ihr Matheheft gefunden. Ich bin derweil froh, dass sie kein altes Pausenbrot aufgetan hat. Am Ende noch mit Käse und Schinken. Zwischen dem Deutschbuch und der Postmappe. „Ahhh, sehr gut, Tochter, das Matheheft! Es ist noch nicht alles verloren“. Hoffen wir mal, der Rest vom Equipment ist auch noch da. Tintenpatronen? Mist, an die hat jetzt auch keiner mehr hier gedacht. Mich umschleicht das Gefühl: Wir haben den Laden nicht mehr im Griff!
Und unsere Tochter auch nur noch begrenzt. Denn die hört derweil irgendeinen Popsong mit spanischen Textzeilen und singt fröhlich vor sich hin. In Fantasiespanisch. Gerade so, als habe sie mit der Sache nichts zu tun und ich müsste morgen wieder statt ihr in die Schule. Ich arbeite aber bereits seit drei Wochen wieder und mein Bleistift ist gespitzt. Herrgott, was passiert nur, wenn die Pubertät völlig Besitz von ihrem Körper ergriffen hat. So körperfressermäßig. Wenigstens das Zeugnis haben wir gleich nach Einreichen unterschrieben. Durchatmen. Das kann im Jubel-, Trubel-, Ferienzeit-Juchzen bestimmt sonst auch gerne mal untergehen. Aber da setz’ ich immer gerne persönlich meinen Otto drunter. Mit ordentlichem Schwung. Meine Tochter hat ekelhaft gute Zeugnisse. Und ist trotzdem eine coole Socke. Das ist gerade noch unser Glück. Denn wie gesagt, in diesen Augenblicken habe ich den Eindruck, wir haben das Tagesgeschäft nicht in Gänze unter Kontrolle. Und da hat Corona mal ausnahmsweise nicht seine schäbigen Viren-Finger im Spiel.
Apropos Finger und genauer: dicke Finger. Vor zehn Minuten habe ich noch versucht, in die Schnellhefter der Firma Brunnen diese schmalen Heftstreifen einzuschieben. Erinnert sich noch jemand? Da stehen immer die Namen drauf. In unserem Fall „Hanni Meidhof 4d“. Da fiel mir ein: Das ging vor 40 Jahren schon kacke und hat sich seit dieser Zeit keinen feuchten Furz verbessert. Sobald das Papier leicht knickt, hast du verloren und schiebst dir einen Wolf. Ich habe vorab großspurig verkündet, dass ich diese Dinger immer reinkriege. Weil ich am Ende immer alles reinkriege. Behauptete ich zumindest. Nur um 15 Minuten später laut die Firma Brunnen zu verfluchen und aggressiv-entnervt die weiße Fahne zu hissen. Hanni holte derweil schnell den Edding und beschriftete den gelben Schnellhefter frei Hand. Bevor ich Amok laufe und das Plastik mit der Schere vor Wut zerschneide. Morgen kauft meine Frau neue Mappen.
Wir, also die Menschen, haben in den letzten 40 Jahren Streaming-Dienste erfunden, den Elektromotor für Autos entwickelt, Smartphones an den Start gebracht und die komplette Musikwelt digitalisiert. Wenn ich ein neues iPhone einrichten will, brauche ich nicht mal mehr ein Kabel. Es erscheint so eine mystische Wolke und schwuppdiwupp schwirren meine Bilder, meine Musik, meine Apps von einem Gerät zum nächsten. All das haben menschliche Köpfe möglich gemacht. Nur diese verdammten Schnellhefter haben sie nicht weiterentwickelt. Noch immer sitzt die Klarsichtfolie viel zu dicht und eng auf der eigentlichen Mappe und noch immer biegt und knickt das Papier spätesten nach dem ersten Drittel. Leute, hier verarscht uns doch jemand. Aber vom Allerfeinsten.
Ich bin ja im Grunde sehr froh, dass meine Frau hier das Ruder in der Regel noch weitestgehend in der Hand hat. Sie ist vom Fach und weiß eigentlich, wann wo was zu tun ist. Welche Hefte werden benötigt, was für ein Modell Stifte taugt und wann muss mal das Grundsortiment ausgetauscht werden. Nur hat sie parallel auch noch eine neue erste Klasse am Hacken. Da fließt die Energie in alle Richtungen, entsprechend wirkt auch sie auf mich ein wenig – sagen wir mal – leicht überhitzt. Also sammeln wir diesmal besser gemeinsam die Kräfte und justieren unsere Tochter wieder neu ein. Herrje. Wenn ich nur an morgen früh denke, wird mir auch gleich ganz schlecht. Alle wieder auf den Punkt aus dem Haus. Schreierei. Gerangel und am Ende wieder den Mundschutz vergessen. Es wird ein furchtbarer Einstieg, ich weiß es genau. Lieber Gott, gib mir ausreichend Kraft und dicke Nerven. Ich weiß, am Ende wird sich alles wieder finden, der Rhythmus und die ganze Familie. In zwei Wochen hat sich die Schose eingejuckelt. Und dann sind ja auch schon bald wieder die Herbstferien in Sichtweite. „Auf geht’s, Hanni! Wo ist der Klebstoff? Und dein Regenschirm? Wie? Verloren?“ Ach, rutsch mir doch den Buckel runter!
Bruno und ich hören: Jimmy Eat World „Bleed American” (DreamWorks Records)