Wir wollten eigentlich nur eine Uhr zur Kommunion schenken. So wie früher. In den 80ern. Die erste Digitaluhr. Ich damals mit dicken Backen und stolz wie Harry Belafonte. Taschenrechner und Stoppuhr, alles in einem Gerät. Heilige Scheiße! Ab sofort stoppte ich mir einen Wolf. Ich glaube, es war eine Seiko. Oder Casio. Auf jeden Fall mit Metallarmband. Heißer Kram eben! In meiner Welt. Der erste Schritt zum Teenager. Mehr wollte ich nicht. Denn mit so einer Uhr klappt es bestimmt irgendwann auch mit den Mädchen. Dachte und hoffte ich zumindest schon so ein bisschen. Aber erstmal wurde ich der Champion der Stoppuhr. Und ich stoppte und stoppte immer schneller und brach jedes Mal meine eigenen Rekorde.
Jetzt geht Hanni zu ihrer ersten Heiligen Kommunion und meine Frau und ich dachten in bester Manier und deutscher Tradition: Logo, wir schenken unserer Tochter eine neue Uhr. Eine Uhr, die sie ab sofort in die Übergangszeit zum Teenager begleiten wird. Nur was? Welches Modell steht an? Ist fresh und angesagt. Seiko? HaHa. HoHo. Schenkelklopfen. Digitaluhren tragen nur noch Hipster. Wenn es die überhaupt noch gibt. Also die Hipster. Aber Swatch? Genau das ist das Ding. Dieser zeitlose Klassiker aus der Schweiz. In verrückten Farben und Motiven. Wasserdicht und fröhlich munter. Gemacht für die jungen Menschen dieser Welt. Egal ob 1978 geboren oder 2012. Das Problem war nur, wir hatten die Rechnung ohne Hanni gemacht.
Unsere Tochter hatte so gar keinen Bock auf Swatch. Das wurde ziemlich schnell deutlich, als wir ihr unter fadenscheinigen Argumenten ein paar Modelle unter die Nase hielten. Aber der Nachbarsjunge, der hat eine coole Uhr. Das nur mal so und als Kommentar von ihr. Mit Schrittzähler und haste nicht gesehen. Jetzt sitze ich in der Nacht vor der Kommunion am Familienesstisch und lade mir die Garmin-Jr.-App auf mein Smartphone. Ich wollte eigentlich nur die Uhr einstellen, das ist doch gar nicht viel, aber das geht nicht mehr so einfach. Willkommen 2021. Ich brauche die App, auf Gedeih und Verderb, denn sonst ist diese Uhr so funktionsfähig wie ein ferngesteuertes Auto ohne Fernsteuerung. Oder ein Handkäs’ ohne Musik. Oder eine Nase am Hintern. Kapiert? Geht also gar nicht. Taugt nix!
Also lade ich und connecte alles miteinander, wie eben alles mittlerweile connected werden kann und muss. Dann lege ich Hannis Profil an und richte am Ende noch einen Avatar für sie ein. Heiland der Welt! Einen Avatar. Ich bin doch nicht James Cameron! Aber was soll ich tun. Sie wollte diese Uhr. Und wir wollten auf keinen Fall eine Smart Watch. Von daher ist die Garmin ein echter Kompromiss der Generationen. Und doch kann und verlangt diese Uhr mehr als mir recht und teuer ist. Schritte zählen und irgendwelche Competitions ausrufen, die kein Schwein braucht. Ist das krank? Ja. Das ist bisschen krank. Wir als Familie könnten sogar Familien-Competitions ausrufen. Untereinander und gegen andere Familien. Meine Herren, ich glaube, wir haben alle manchmal den Schuss nicht gehört.
Unter uns. Ich bin 48 Jahre alt und bin nach wie vor grundsätzlich für vieles offen. Ich habe sogar noch etliche To-Dos auf meiner Lebens-Agenda stehen. Zum Beispiel mit drei Freunden nach Las Vegas fahren. Oder nochmal einen VW-Bus kaufen. Aber eine Schrittzähler-Competition gegen meine Frau und meine Kinder oder am Ende noch gegen unsere Nachbarn stand nie drauf und wird hoffentlich niemals auf dieser Liste zu finden sein. Und sollte es jemals dort landen, darf gerne hier jemand in Frankfurt vorbeikommen und mir zur Strafe den kleinen Fußzeh abknipsen. Schritte zählen. Gegeneinander. Herrgott, diese Welt ist in manchen Augenblicken nicht die meine. Wahrscheinlich kann ich meine Tochter mit dieser Uhr sogar tracken.
Ich will das nicht. Aber selbst wenn man eigentlich gar nicht tracken will, man muss anscheinend in diesen Tagen tracken. Meinem Eindruck nach. Die Welt und die Firmen vermuten einfach, dass wir Eltern unsere Kinder unentwegt tracken, verfolgen und dauernd kontrollieren wollen. Nochmal: wir nicht. Es mag Situationen und Wegstrecken geben, wo ein Tracking Sinn ergibt. Aber der normale Grundschulweg ist noch lange kein Grund für mich, eine Form chinesischen Überwachungsstaat aufzubauen und auch noch durchzuziehen. Da werden am Ende alle meschugge und die Kinder am allermeisten. Das nur mal so und am Rande. Vielleicht unterstelle ich es der Uhr aber auch nur, dass sie das kann, denn ich bin bei der Hälfte des Programmierens ausgestiegen. Den Avatar angelegt und ganz schnell „Auf Wiedersehen“! Meine Tochter hat sich trotzdem über das Geschenk sehr gefreut.
Am Tag nach dem Fest kam ich aus dem Büro nach Hause und sah Hanni im Wettkampf mit ihrer Freundin im Hof. Wettrennen mit Stoppuhr. Und jetzt, seit gut einer Woche, bekomme ich jeden Tag die aktuelle Schrittzahl des Tages angesagt. Ich habe keine Ahnung, ob das jedes Mal viel oder wenig ist. Aber ich nehme es interessiert zur Kenntnis. Ich habe keine Competition ausgerufen, weder die Nachbarn noch meine Frau herausgefordert und auch keine Historie der gezählten Schrittmengen angelegt. Meine Tochter zählt trotzdem fleißig weiter. Ach, wenn ich so recht überleg’, ich glaube wir sind auf keinem so schlechten Weg. Vielleicht fummele ich mich sogar doch nochmal in die App und schau mal, was da sonst noch so geht. Nur Tracken und Schritte-Battles, das kommt mir nicht ins Haus.
Bruno und ich hören: Deus „The Ideal Crash“ (Island Records)