Es wird etwas indiskret. Aber ich nenne keine echten Namen. Nur Ausgedachte. Dazu konzentriere ich mich auf das Wesentliche. Zumindest im Versuch. Ein kurzer Schwenk auf die Rahmenbedingungen, damit auch jeder einwandfrei kapiert, um was es geht. Allerdings keinesfalls zu viel, das bin ich allen Beteiligten schuldig. Ansonsten dreht es sich im Kern vor allem um mich als Vater. Meine Ängste, meine Sorgen, meine Beklemmungen und was dieses Thema mit mir macht. Doch genug an Eiertanz, nennen wir das Kind beim Namen und packen wir den Tiger am Schwanz. Meine Tochter hat ihren ersten Verehrer. Um es klarzustellen, das ist nicht so „Blinzel, Blinzel“ und hier mal „Klingeling“ an der Tür „kommt die Hanni zum Spielen“, da mal schubsen und necken. Der Bursche hat offen und gleichmal schriftlich sein „Verliebtsein“ ins Rennen geworfen. Na, herzlichen Dank auch! Hat jemand einen Schnaps für mich?
Meine Tochter wird im Sommer gerade mal neun. Er ist drei Jahre älter. Will ich das? Natürlich nicht. Ich glaube sogar, mir wurde ein wenig schlecht, als ich davon erfuhr. Zumindest verspüre ich immer noch einen unangenehmen Druck auf der Brust, wenn ich nur davon höre oder bloß daran denke. Wie früher vor der Mathe-Klausur. Ich kenne den Jungen und ich mag ihn. Er ist ein hübscher Kerl, vielleicht mit einem leichten Knick im Gebälk. Aber lieber Himmel, das haben ja viele Jugendliche heutzutage. Und überhaupt, wer hat nicht sein Bündel zu tragen. Daran soll es erstmal nicht scheitern. Doch jetzt steht er im Raum. Der Elefant. Und der verknallte Junge obendrein. Nennen wir ihn einfach Toni. Wie angekündigt, heißt er im echten Leben ja ganz anders. Meine Tochter geht zweifelsfrei sehr souverän mit der ganzen Situation um. Viel souveräner als ich beispielsweise. Sie ist nämlich überhaupt nicht in ihn verknallt. „Gott sei Dank“, will ich laut rufen. Als Vater. Und gleich in der Kirche eine Spende für wohltätige Zwecke abgeben. Dafür, dass meine stillen Gebete so schnell erhört wurden.
Er hat ihr einen Brief geschrieben und sie hat ihm gleich mal im identischen Format geantwortet. Das ist wunderbar Old-School. „Lieber Toni. Ich mag dich, aber ich bin nicht verliebt in dich“. Servus und prima! Das macht mich ganz stolz, wie klar und blitzsauber sie sich positioniert. Das bekam in meiner Generation so manche 21-Jährige nicht so eindeutig auf die Kante. Stattdessen wurden wir Jungs manchmal ordentlich im Unklaren gelassen. Bei der ein oder anderen hätte ich mir entsprechend manche Mühe sparen können. Ich hoffe, meine Tochter hält das Niveau. Damit würde sie sich und den Jungs manches im Leben leichter machen. Aber wie gesagt, sie wird erst neun. Für sie ist Verliebtsein noch so weit weg, wie für mich die Anschaffung eines Flusspferds. Am Rande, dieser Vergleich ist gar nicht so blöd. Denn auch ich mag Flusspferde sehr gerne. Sie sind sogar meine Lieblingstiere. Aber anschaffen würde ich mir deshalb noch lange keins. Und so geht es Hanni mit Toni. Sie mag ihn auch sehr gerne, doch verlieben ist überhaupt kein Thema. Geschweige denn küssen. Da gibt es noch lautes „igitt“ und „bäh“.
Mir ist völlig klar, diese Bastion und die Einschränkungen werden fallen. Aber noch steht alles halbwegs fest. Derweil finde ich meinen Platz treu zum Support auf dem Wachturm und verteidige das Ganze. Für meine Tochter sind Jungs noch eine speziell andere Gattung. Entweder taugen sie zum Spielen und Handwerken oder sie sollen sich vom Acker machen. Aber so langsam fühlt sie sich auch geschmeichelt. Das konnte ich als Vater deutlich spüren. Und da wurde mir schlecht. Stichwort Mathe-Klausur. Denn ich stellte mir urplötzlich vor, wie es wäre, wenn ich Toni am Morgen im Bad treffen würde. Pfui Teufel. Ich will Toni nicht in der Früh am Waschbecken begegnen. Und ich will auch keine anderen Tonis um 10 Uhr am Samstag in der Boxershorts durch mein Haus mäandern sehen. Auf der Suche nach einem Glas Milch oder der Toilette. Aber ich weiß, es wird so kommen. Denn Tonis Verliebtsein machte mir unmissverständlich klar: Rußmann, aus dieser Nummer kommst du nicht mehr raus. Es wird passieren, schneller als ein Fuchs mit dem Schwanz wedelt und wenn dir dieses rührende Liebesbekenntnis bereits den Schrecken in die Glieder fahren lässt, ja was machst du denn, wenn es wirklich ernst wird? Freunde, ganz ehrlich, ich weiß es nicht.
Ich befürchte, ich mache es den Kameraden in den kommenden Jahren nicht einfach. Ach was rede ich. Wahrscheinlich werden sie kotzen, wenn ich ihnen die Tür aufmache. „Kacke, der alte Rußmann ist da!“ Ich sag es euch gleich. Jungs aus Praunheim, Heddernheim, Hausen oder der Nordweststadt: Ich will nicht so sein, aber ich werde nicht anders können. Try walking in my Shoes. Wenn ihr alle Väter von Töchtern seid, werdet ihr mich verstehen. Ganz sicher. Nehmt mich bis dahin zur Kenntnis, haltet meine dummen Sprüche aus, versucht immer wieder, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich mag Punkrock und Eintracht Frankfurt. Sprecht mit mir darüber. Oder stellt mir die neuesten Rapper aus Offenbach vor. Ihr könnt mein Herz gewinnen. Auch wenn es der lange Ritt wird. Ich bin nämlich kein Arsch. Es ist nur meine einzige Tochter und ich weiß nicht, wie ihr alle am Ende wirklich tickt.
Seit die Sache per Brief ausgetauscht wurde, gehen Hanni und Toni sehr respektvoll miteinander um. Sie verliert kein dummes Wort, behandelt ihn wie zuvor. Und er bleibt treu am Ball. Mensch, ich bin etwas gerührt. Der erste offizielle Verehrer.
Bruno und ich hören: Beastie Boys „Ill Communication“ (Grand Royal)