„Guckmal!“, „Guckmal!!“, „Papa, Guckmal!“, Papa, GUCKMAL!“, „PAPAAAA! GUCKMAAAAL!!!“. Habe ich vor kurzem geschrieben, dass „unfair“ mein Unwort des Jahres ist? Habe ich, oder? So schnell kann’s gehen. Es gibt ernsthafte Konkurrenz. Willkommen in meiner Welt! Guckmal. Guckmal! GUCKMAL! GUCKMAAAL!!! Ich könnte und muss den ganzen Tag irgendwas gucken, anschauen, bestaunen, Rückmeldung geben. Es kommt fast ausschließlich von meiner Tochter. Und zwischen allen Aufforderungen von ihr liegen maximal zwei Sekunden. So schnell kann kein Mensch reagieren, noch nicht mal Kevin Trapp geschweige denn der rote Blitz! Es ist ein Feuerwerk des „Guckmals“. Grausam. Es sind nämlich auch keine Bitten. Nach dem Motto „Lieber Papa, wärst Du so nett und schaust mal zu.“ Nicht mal annähernd. Es ist eine Art von Befehl. Im Stakkato. Das nenne ich mal unfair. Ist ihr aber völlig wurscht!
„Guckmal!“, „Guckmal!!“, „Papa, Guckmal!“, Papa, GUCKMAL!“, „PAPAAAA! GUCKMAAAAL!“. Es ist fürchterlich. Ich gucke natürlich, mein Wille ist über Jahre des permanenten „Guckmal“ gebrochen. Und dann darf ich einen Handstand, eine Brücke aus dem Stand, das Ganze wieder zurück oder eine Art Breakdance-Move oder sonst etwas bestaunen. Und schaue ich dann hin, ruft sie in der Regel „Oh, das war gerade nicht gut. Ich mach’ es nochmal. Guckst Du? Papaaa, GUCKST DU?“ Dann wiederholen sich die Versuche, die Zeit zieht ins Land und ich schaue treu wie ein englischer Dackel zu. Was will ich sonst auch tun. Ich will kein weiteres „Guckmal“ mehr hören. Und überhaupt, das macht man ja auch als moderner Vater. Dem Kind gegenüber zugewandt sein, Interesse zeigen.
Mir ist auch bewusst, dass ich im Rückblick manchmal geistig nicht immer wie gewünscht präsent war und gerne erst später als notwendig reagierte. So „Rearview-Mirror“-mäßig. „Saw Things so much clearer“, sang damals schon Eddie Vedder. Das war auch immer ein wenig Strategie meinerseits. Vielleicht hat Hanni in den ersten Jahren entsprechend Vertrauen in meine Aufmerksamkeitsbereitschaft verloren? Mag alles sein. Aber muss ich deshalb gleich so angeschrien werden? Ohne Pause zum Luftholen? Und meiner Frau geht es ja ganz ähnlich. „MAMAAAA! GUCKMAAAAL!“. Und die reagiert seit achteinhalb Jahren immer sehr schnell. Daran allein kann es also auch nicht liegen.
Ich freue mich grundsätzlich, dass meine Tochter sehr gerne turnt. Sie ist sehr beweglich, probiert alles aus, was sie so sieht, übt mit viel Disziplin, bis sie es kann. Beeindruckend. Dafür hat sie nicht mein Talent geerbt, denn ich habe auf diesem Gebiet überhaupt keins. Wenn ich schreibe, ich habe keines, dann meine ich auch wirklich, dass ich keines habe. Also, überhaupt kein Talent. Ich bin sehr ungelenk und letztlich steif wie ein Bock. Ich habe gutes Ballgefühl, einen strammen linken Schuss und verfügte früher über eine exzellente beidhändige Rückhand. Gehe ich aber heute in die Brücke, wählt meine Frau schonmal zur Sicherheit die Notfall-Nummer. Ich bin Ende 40, ich habe mich damit abgefunden. Also mit der begrenzten Beweglichkeit. Damit es nicht noch schlimmer wird, mache ich jetzt wenigstens ab und an Yoga. Es erheitert den Rest der Familie, bis wenigstens mein Sohn Einsicht hat und sagt „Papa. Ich finde Du bist sehr gelenkig“. Meine Tochter liegt derweil schon in der Ecke vor Lachen. Ich verbiete ihr mittlerweile das Zuschauen. Also nix da mit „Guckmal!“
Dafür heißt es für mich „Guckmal“. Tagein, tagaus und wieder tagein. Handstand, Brücke, zurück das Ganze. „Guckmal, Papa!“ „Ja, Hanni, ganz wunderbar. Gefällt mir ausgesprochen gut.“ Turnt sie mal nicht, fragt sie mich Sachen wie welche Pferdenamen ich jetzt schöner fände. „Papa, wie würdest Du das Pferd hier nennen? Storm, Blitz, Lightning oder Cheyenne?“. Lieber Himmel, wenn mir eine Sache auf diesem Planeten völlig am Hintern vorbeigeht, dann sind das Pferdenamen. Aber wie eingangs gesagt: Mein Wille ist gebrochen. Von geschätzt 3.000mal „Guckmal“ geknickt. „PAPAAA? Hörst Du mir überhaupt zu?“ „Ja Hanni, ich höre Dir immer zu. Storm, finde ich, ist ein guter Name für ein Pferd!“ Ich glaube, sie hat mich fest in ihrer kleinen Hand!
Bruno und ich hören: Pearl Jam „No Code“ (Epic Records)