Urlaubszeit. Südtirol-Zeit. Und unsere Tochter wollte uns heute früh überraschen. Zur Feier des Tages. Dazu gleich mehr. Die Familie wagt sich trotz Corona aus dem Haus. Wer uns quer kommen mag, dem sei eingangs geflüstert: Wir leben derzeit fast so einsam wie der Alm-Öhi und gegenwärtig ist es wahrscheinlich sogar in Bruchköbel much more dangerous. Und überhaupt: Wir haben gepflegt den Sommer-Urlaub sausen lassen. Also alle ruhig bleiben. Ich muss eben auch mal raus. Doch darum soll es ja gar nicht gehen. Und warum rechtfertige ich mich überhaupt? Wir sind auf dem Bio-Bauernhof beim Jungbauern Alex und seiner Frau. Abgesehen von der Tatsache, dass Hanni uns 100 Meter vor der Hofeinfahrt nach circa 30 Serpentinen bei Ankunft das komplette Auto vollkotzte, können wir getrost sagen: Der Plan geht bislang auf.
All denen, die es bislang nur vom Hörensagen kannten oder vage geahnt haben, kann zugerufen werden: Bauernhof mit Kindern funktioniert immer. Leg ich mal aus der Hüfte fest. Nach langen Wanderungen nach den Kälbern schauen? Logo. Den Heuschober bestaunen? Klaro, geht nur. Die vier Esel vor dem Abendessen schnell besuchen? Nix wie los ihr zwei. Dann noch den Hang hinterm Haus runter rollen, 20 Meter steil bergab? Lieber Himmel, mir soll es recht sein. So ein Bauernhof hat viele Dinge, Abenteuer und Besonderheiten, die es zu erkunden gibt und uns im Gegenzug ungeahnte Qualitätszeit schenkt. Bis vor dreißig Jahren gab es hier keine Straße, nur einen schmalen Weg ins Dorf und in den 90ern bekam die Familie erst ihren Festnetzanschluss. Ich sag‘s ja. Da sind unsere Schoten mit drei TV-Kanälen, Testbild und kein Internet olle und fade Kamellen. Große Augen und besser schnell noch einen Almdudler zum Abkühlen.
Aber darum soll es sich hier nicht länger drehen. Bauer Alex ist mehr als nur ein ganz feiner Kerl, aber das Thema Bio-Bauernhof mit Kindern überlasse ich den Papi-auf-Reisen-Blogs dieser Welt und trinke schnell noch ein Südtiroler-Helles der Marke Forst. Nicht Corona, nicht Südtirol und Bio-Bauernhof schon mal gar nicht? Ja, um was dreht es sich denn sonst? Ach ja, Überraschung war das Stichwort. Gestern Abend bat uns Hanni, wir mögen ihr doch bitte den Wecker auf halb sechs stellen. Was wir konsequent verweigerten. Denn zum einen ist Urlaub und zum anderen passiert aus Erfahrung dann folgendes: Bruno hört als einziger das Gebimmel, ist um 5:30 Uhr glockenwach, steht vor unserem Bett und will Memory spielen, während Hanni derweil ratzt als habe sie die berühmte Tasse Schlummifix extrastark getrunken. Mit Wirkung bis zehn Uhr. Also nix da. Daraufhin über eine Stunde großes Drama, Tränen und Schluchzen bis uns klar wurde, dass sie einen geheimen Plan verfolgt. Wir willigten ein. Unter der Auflage, dass der Wecker frühestens um 7:30 an den Start geht.
Wir hatten Hochzeitstag und den wie immer überhaupt nicht auf dem Schirm! Also wir beide. Meine Frau und ich. Auch hier zur Erklärung: Würde ich einmal an einen unserer Hochzeitstage denken, täte meine Frau wahrscheinlich vermuten, ich hätte eine Affäre. Also lassen wir es besser gleich. Niemand wirft einen Stein! Uns fällt er immer erst hinterher ein oder wenn uns jemand dazu gratuliert. In der Regel die Schwiegermutter. Die hatte wohl auch Hanni den Floh ins Ohr gesetzt. Denn meine Tochter ist zwar recht schlau, rechnet schnell wie ein italienischer Oberkellner und liest Mengen an Büchern wie andere Wurstbrote essen, aber unser Hochzeitstag gehört jetzt nicht zu ihren Big-Three-Dates zum Erinnern.
Egal. Heute früh sollte es so sein. Riesen-Tamm-Tamm und helle Aufregung. Wir mussten im Bett bleiben und ich freute mich schon. Ein gedeckter Tisch. Wow. Gab es noch nie. Vielleicht versuchen die beiden erstmals einen Kaffee selbst zu kochen? Egal, wenn es nicht klappt. Der Wille zählt. Aber einen ordentlichen Tiroler-Speckteller werden sie schon zusammengezimmert haben. Wunderbar! So sinnierte ich vor mich hin, rieb den Bauch, dann wurden wir zum Tisch bestellt. Was wir dort sahen, verschlug uns die Sprache. Zwei Glückwunsch-Karten und zwei Schalen einsam auf dem Tisch. Eine mit Tomaten, die andere mit Bananenscheiben. Beides verträgt meine Frau nicht. Drumherum ein bisschen Konfetti. Das war‘s!
Ich liebe meine Kinder außerordentlich. Sie können alles von mir haben und ich erwarte keine Gegenleistung. Nur manchmal vielleicht. Aber so ein Aufriss. Über eine Stunde Drama vor dem Einschlafen gestern, Tränen, Wecker stellen. Dann ein Werkeln in der Küche heute früh, als gelte es den lokalen Bürgermeister mit einem Frühstück-Surprise zu bewirten. Und dann zwei spärliche Schalen als Ergebnis. Eine mit Tomaten, eine mit Bananen. Ich glaube, als Eltern sollte man sich in der Regel über alles freuen und sie sind ja auch erst Acht und Vier. Aber ein bisschen mehr Kreativität, Vielfalt und Ideen wären in Anbetracht des Vorlaufs drin gewesen. Meiner Meinung nach. Meine Tochter und mein Sohn spürten meine aufkeimende Enttäuschung, wie ein nahendes Gewitter. Und schauten mit einer Mischung aus Trauer und kindlicher Aggression in unsere gerade noch erwartungsfrohen Gesichter.
Da dachte ich an den Bauern Alex und seine Frau und lenkte innerlich ein. Seine Kindheit hier in den Bergen. Ohne Festnetzanschluss und Fernseher. Winter bis minus 27 Grad. Keine Rockkonzerte, kein Disco-Fever und keine Heimspiele des FC Südtirol. Statt dessen Hausmusik und Heuspeicher füllen. Vermute ich mal. Ich sah ihn vom Balkon aus mit der Harke das Feld bearbeiten und da wurde mir klar: Mir täte ein bisschen Demut und Nachsicht nicht schlecht zu Gesichte stehen. Was erwarte ich immer alles von meinen Kindern? Tomaten, Bananen, das ist doch auch ganz ok. Ich stellte mich an den Herd und kochte uns erst einmal einen Kaffee. Vielen Dank für die Überraschung ihr zwei, das ist Euch ja wirklich gelungen!
Bruno und ich hören: Rocket from the Crypt „Sream, Dracula, Scream!“ (Interscope)