Kürzlich hatten wir unser erstes Männerlazarett. Bruno und ich waren zusammen und blitzsauber krank. Das gab es bislang noch nicht. Premiere nach fast vier Jahren gemeinsamer Existenz. Das ist aber keine ideale Situation. Während ich früher, wenn ich krank war, einfach auf der Couch vor mich hin schwitzen, leiden, doof Barbara Salesch glotzen oder – bei leichter Besserung – endlich wieder einmal Pulp Fiction würdigen oder ein Musikmagazin lesen konnte, ist Krankheit mit Kind ein einziger Zustand. Denn du machst weder das eine noch das andere richtig mit Vernunft und Hingabe. Weder erholen, noch Zeit mit dem Kind halbwegs würdevoll verbringen und schon mal gar keine hirnverbrannten nutzlosen Dinge tun. Und statt glotzen, spiele ich Playmobil-Zoodirektor und statt Pulp Fiction heißt es Paw Patrol. Genesen und regenerieren geht nur in ganz kurzen Phasen. Wie ein Powerschlaf. Nur muss sich der Körper in noch kürzeren Zeiteinheiten, das holen, was er wirklich braucht. Unvorstellbar. Wir Eltern sind plötzlich aus ganz anderem Holz geschnitzt.
Der ideale Krankheitszustand von Kindern ist so ein „bisschen krank“ – den gibt es aber so gut wie nie. Entweder liegen sie da wie erschossen, haben eine rote Birne wie früher Jupp Heynckes, nur hier vor lauter Fieber und alle sind in heller Aufregung. Oder sie fühlen sich – trotz Temperatur – schon wieder so fidel, dass sie im Haus auf und ab spazieren und springen, Mundharmonika spielen und permanent etwas wollen. Hier die Kiste mit den Schleichtieren, dort das Feuerwehrauto mit Sirene oder sie erinnern sich plötzlich an die Knete im Keller. Das ist dann das Worst Case. Ich hasse Kneten. Das habe ich vor ewiger Zeit in diesem Rahmen schon mal thematisiert. Kneten ist das Schlimmste. Noch schlimmer ist aber krank kneten zu müssen. Aber klar doch, Bruno, wir können auch kneten!
Ab und an lungerten wir doch auf der Couch. Dann verfingen wir uns in grundsätzlichen Fragen und verloren uns in weitreichenden Themen. „Warum sind Papas eigentlich größer als Mamas.“ Das fand ich, war eine sehr gute Frage. „Das stimmt Bruno, dass das meistens so ist. Das müsste aber gar nicht so sein.“ Aber kleine Männer und große Frauen sind in Paarform nun einmal so selten wie Vertragsverlängerung bei Vodafone bei der ich alle Rahmenbedingungen verstanden habe. „Das hat der liebe Gott wohl so gemacht.“ War seine Erklärung und gleich weiter „‘Lieber Gott‘ ist ein Jungs-Name, Papa, oder?“. Herrje. Wo fang ich da jetzt an? Es ist ein langer Weg zur gendergerechten Gesellschaft. „Nein, Bruno, Gott ist alles. Nicht unbedingt ein Mann und es ist auch kein Jungs-Name“. Das fand ich jetzt wiederum, war eine gute Antwort. Bin mir aber bis heute nicht sicher, ob er sie in ihrer Tragweite verstanden hat.
Dann tauchten wir ab in die Tierwelt, wenn schon die ganze Armada an Schleichtieren in Position gebracht wurde. „Papa?“ „Ja, Bruno?“, „Ist das eine Robbe oder ein Seehund?“ Herr im Himmel, wie war das nochmal? Seehunde sind Robben. Oder doch nicht? Hab ich das überhaupt jemals richtig gewusst. Und was ist das jetzt als Schleichtier? Zumindest kein Seehund. Es ist erschreckend, an wie viele oder wenige Dinge ich mich noch erinnere. Und apropos lieber Gott: Ich war doch einfach nur krank. Und es sind noch nicht mal olympische Spiele oder ein Tennis-Turnier, das wir gemeinsam hätten schauen könnten. Das wäre mein Spezialgebiet, da könnte ich glänzen! Stattdessen arbeitete ich mich in die Robben und Seehund-Thematik ein.
So verging Stund‘ um Stund‘. An Genesungsschlaf war nicht zu denken und Bruno spielte mittlerweile im Wechsel Trommel und Ziehharmonika. Sehnsüchtig wartete ich auf die Ankunft meiner Frau. Die kam mit Hanni im Schlepptau und ein Wimpernschlag später eskalierte die Situationen endgültig. So wie sie seit ein paar Wochen immer eskaliert. Handgreiflichkeiten zwischen den Kindern. Tränen und erbostes Türeschlagen. Kinder, wollen wir uns nicht einfach noch ein wenig über Robben und den lieben Gott unterhalten? Nach drei Tagen beschloss ich, dass ich besser wieder arbeiten gehe. Opa Edgar kam und übernahm. Ich sag es gestern und sag es morgen: Krank mit Kind ist ein einziger Zustand!
Bruno und ich hören: Blackmail „Science Fiction“ (BluNoise)