© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag #73: Blöd singen
So. Das war’s. Kein einziges Hausmittel hab ich mehr in petto. Nichts fällt mir ein. Nix. Nada. Nullinger. Das Hausmitteltipp-Regal ist geräumt wie eine Flasche leer. Eine Ur-Großmutter, die ich fragen könnte, ist auch weit und breit nicht in Sicht. Also Feierabend. Auf dem Gebiet. Doch wo kein Hausmittel, ist vielleicht ein Alltagstipp ein Weg. Das kam mir so beim traurigen Sinnieren und Nachdenken. Denn wenn ich mir eines in den Jahren der Vaterschaft angeeignet habe, dann sind das Tricks und Kniffe, wie ich durch den trüben wie sonnigen Alltag komme. Als Vater wohlgemerkt. Manche davon habe ich gehört, über andere habe ich gelesen, einzelne habe ich gemeinsam mit anderen entwickelt und ein paar davon mir sogar selbst ausgedacht.
Doch bitteschön. Für mich behalten bringt ja auch nix. Väter, Mütter und all die, die es noch werden wollen. Zuhören, drüber nachdenken, gerne nutzen oder in die Tonne hauen. It’s all yours. Macht damit was ihr wollt. Eine Open Source sozusagen. Ganz ohne Digitalisierung. Freies Wissen für alle. Also Licht aus, Spot an. Ohne Ilja Richter, den kennt eh fast keiner mehr. Alltagstipps, Klappe die Erste. Der hier funktioniert ausschließlich im öffentlichen Raum, dafür dort umso besser. Aber grundsätzlich zündet der Kniff nur ab einem bestimmten Alter.
Bitte in folgende Situation hineinversetzen: Wir stehen in einem Einkaufszentrum der ganz besonderen Art im Frankfurter Nordwesten. Genauer in einem Zeitschriftenladen dort. Hanni fragt aus heiterem Himmel, ob sie eine Packung Hubba Bubba bekommen kann. Weil sie irgendwo in Kinderkopf-Höhe dumm rumlagen. Wie alles, was wir Eltern gerade nicht so brauchen können, immer gerne irgendwo in Höhe eines Kinderkopfes dumm rumliegt. Kitkat, Überraschungseier, was weiß ich. Auch das ist vielleicht irgendwann einmal ein eigener Beitrag wert. Ich sage nein. Es gibt keinen Bedarf an Hubba Bubba und ich kaufe keine Packung. Zumindest jetzt und gerade hier.
Wir sind keine Anti-Süßigkeiten-Freaks. Aber ein bisschen aufpassen schadet auch wieder nicht. Sonst kann ich gleich 100 Euro im Monat für späteren Zahnersatz zurücklegen. Und ein Nein ist auch manchmal keine schlechte Antwort. Dann nimmt das Drama seinen ganzen Lauf. Lautstark. „Nie bekomme ich Hubba Bubba. Ich habe seit ich auf der Welt bin noch kein einziges Mal Hubba Bubba bekommen. Die anderen Kinder bekommen jeden Tag Hubba Bubba. Ich bin so sauer. Du bist der blödeste und fieseste Papa der Welt. Das ist so ungerecht!“ So geht das die ganze Wegstrecke zum nächsten Geschäft, wo der Rest der Truppe, also meine Frau und Bruno warten. Ein einziger Aufschrei, ohne Luft zu holen.
Ich will die Sache ins richtige Licht rücken. Vernunft und so. Natürlich hat meine Tochter schon einmal Hubba Bubba bekommen. Ich selbst hab ihr beigebracht wie vernünftige Riesenblasen gemacht werden. Die anderen Kinder sind nicht mein Maßstab, die essen vielleicht auch nicht so viel Dany + Sahne wie sie. And so on. Viele Argumente habe ich und außerdem das Beste: NomeansNo. Kapiert? NeinheißtNein! Nix kapiert. Weiter geht es. Anklage an die Welt und insbesondere mich! Ein Königreich für einen Hubba Bubba. Hubba Bubba, Hubba Bubba. Ich höre nur noch Hubba Bubba. Da zünd’ ich die Rakete. „Wenn Du jetzt nicht sofort aufhörst, dann fange ich das Singen an. Ganz laut. Und zwar so blöd, dass Du im Boden versinkst, liebe Tochter, weil es Dir so peinlich ist.“ Und weil sie in ihrem Hubba-Bubba-Wahn nicht zu stoppen ist, fange ich zu singen an. Laut. Ich glaube es war sogar ein Song von Niels Frevert. Na da schau her. Wenngleich was ich singe, in diesem Augenblick völlig egal ist. Kein Kind der Welt im Alter von siebeneinhalb Jahren will, dass sein Vater laut im Einkaufszentrum singt. Nicht mal auf dem platten Land in Nordhessen. Behaupte ich zumindest. Und ich singe und singe und auf einmal ist das Thema Hubba Bubba erledigt. Puff, Päng. Weg! Und wenn es nochmal aufflammt, drohe ich zu tanzen. Vor allen Menschen. Und das besonders blöd.
Nichts zieht so sehr wie diese Drohung. Zumindest bei meiner Tochter. Bruno würde wahrscheinlich mitsingen. Lauthals. Aber bei Hanni ist das der entscheidende Drücker. Kein Netflix-Verbot, keine Süßigkeitensperre. Und die durchzuziehende Konsequenz ist so einfach. Singen und Tanzen. Mehr nicht. Sofort umsetzbar. Ad hoc. Aus der Hüfte. Denn wenn meine Tochter fünf Minuten auf mich so penetrant einquatscht, dass mir Hubba Bubba zu den Ohren rauskommt, bin ich zu allem fähig. Singen. Tanzen. Dumme Verrenkungen machen. Alles ist besser, als einen Fachvortrag über Ungerechtigkeiten und die Bedeutung von Hubba Bubba ertragen zu müssen.
Bruno und ich hören: Deftones „White Pony“ (Maverick Records)