© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag #72: Bleistiftdieb
In unserem breiteren Umfeld treibt ein Dieb sein Unwesen. Es ist nicht irgendein Dieb, der wahllos klaut. Er oder sie hat sich spezialisiert. Auf Bleistifte nämlich. In den letzten zwei Wochen sind meiner Tochter drei Bleistifte abhanden gekommen. Sie behauptet steif und fest, sie müssten ihr gestohlen worden sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht. In der Schule. Tatort Klassenraum. Wir glauben ihr mal nur so halb. Zur anderen Hälfte sind wir vor allem verwundert. Denn dieser Dieb stiehlt ausschließlich Bleistifte. Keine Buntstifte, keine Radiergummis, kein Filzschreiber. Von hochwertigen Jacken mal ganz abgesehen.
Ich bin ehrlich: Ich habe keine Ahnung, ob vielleicht mittlerweile Bleistifte der heiße Scheiß an Frankfurter Schulen sind. Die Jugend verändert sich und wir Erwachsenen glauben ja meist nur noch aus reiner Selbstüberschätzung, wir wüssten, was so angesagt ist. Doch kaum haben wir uns in Snapchat eingearbeitet, setzt der Nachwuchs schon auf TikTok. Machen wir uns also nicht lächerlich, wir sehen meist eh nur noch das Rücklicht und das von ganz hinten. Das ist auch völlig ok. Also was soll ich schon dazu sagen? Hhm. Doch Bleistifte? Ich weiß nicht. Ich mag es nicht recht glauben. Aber sie sind weg wie dem Bub’ seine Kapp‘.
Wir kauften bislang treu immer neue. Keinen Schund. Die guten Stifte von Faber-Castell. Ordentliches Schriftbild und so. Früh übt sich, wer eine Schönschreibmeisterin werden will. Meine Tochter hegt hier übrigens keine Ambitionen. Aber ich glaube, 999 Kinder von … äh … 999 Grundschülern kennen Faber-Castell noch nicht mal. Also, dass jetzt ein Nike-Air-Max-Hype durch Frankfurt weht, wenn nur ein Kind einen stinknormalen Faber-Castell Bleier auspackt? Die Vermutung scheint völlig fehl am Platz. Ach ja, apropos „fehl am Platz“: Bleier sagt bestimmt der Nachwuchs auch nicht mehr. Und Erdkäs' ruft ebenso kein Schüler 2019 quer über den Pausenhof. Und der alte Klassiker „Heimat- und Sachkunde“ wird jetzt – zum Unmut der AfD Hessen – Sachunterricht genannt. So ändert sich das alles, Bro’!
Dass die Faber-Castell Bleier weg sind, ist kein Beinbruch. Zumindest finanziell gesehen. Wir sind nicht Rockefeller, aber so ein Doppelpack Bleistifte geht schon einmal die Woche, das können wir stemmen. Es nervt nur. Denn Hanni entdeckt es immer erst um kurz nach 20 Uhr. Meist beim Mäppchen-Check meiner Frau am Sonntagabend. Am Rande: Ich bin der völlig Falsche für den Mäppchen-Check. Ich hab’ hier zu viel Gottvertrauen. Also Mäppchen-Check und wieder fehlt der Bleistift. Dann werden – auch auf Druck meiner Frau – wilde Verdächtigungen ausgerufen. Also meine Frau bohrt nach, wie das denn jetzt schon wieder sein kann. Und meine Tochter verstrickt sich in abstruse Gangsternetzwerke.
Ich will ihr ja auch ein wenig glauben. Auch wenn meine Tochter grundsätzlich etwas vergesslich ist und gerne Dinge irgendwo liegen lässt oder hundertmal von links nach rechts trägt, nur um dann nicht mehr zu wissen, wo sie den Kram zuletzt positioniert hat. Alles taucht wieder auf. Nur die Bleistifte nicht. Deshalb ihr Generalverdacht. In einem Fall waren noch zwei Schüler aus ihrer Klasse im Raum, als sie rausging. Ihre Aussage. Die könnten es gewesen sein. Wie gesagt: sonst alles da. Die Vermutung unsererseits, dass sie den Stift irgendwo liegen lässt und es schlicht ihrem Hirn geschuldet ist, weist sie entschieden von sich. Sie hat aber auch nicht das Gefühl, dass sie ein strategisches Diebstahlopfer ist. An den Bleistiften hängt schlichtweg nicht ihr Herz. Sie sind ihr egal.
Wären aber die Emojis weg. Meine Herren, da wäre was los. Da könnten wir gleich die lokale Detektei Tudor engagieren. Keine Ruhe wäre mehr im Haus und an keinen Schlaf zu denken. Die tauchen aber immer wieder auf. So habe ich keine andere Wahl. Wo ist der Einkaufszettel? Milch, Gurken, Käse, Tomaten für Bruno und – ganz wichtig – Bleistifte für Hanni.
Bruno und ich hören: Tomte „Buchstaben über der Stadt” (Grand Hotel van Cleef)