© Ralph Rußmann
Abbruch
Irgendwann rief meine Frau „Es reicht mir. Wir brechen das jetzt hier ab.“ Kurz zuvor hatte die britische Dame gehobenen Alters meinen Sohn streng und spitz mit „You need to walk!“ ermahnt. Sie tat dies mit dem Tonfall, den ich aus einer Fernsehserie über ein konservatives englisches Eliteinternat erwarten würde. Sie in der Rolle der Schulleitung. Und sie wies meinen Sohn zurecht, nachdem er in vollem Tempo in Schlangenlinien wie ein betrunkener Rennfahrer auf sie zustürmte. Ohne Rücksicht auf Verluste. „You need to walk!“. Dabei versuchte sie ihn mit ihren Händen zu stoppen und stellte sich seinem Lauf breitbeinig in den Weg. Es gelang ihr nicht. Sie sah auch nicht, dass meine Tochter hinter ihrem Rücken genau das Gleiche machte. Hätte sie Augen hinten gehabt, meine Güte. Sie wäre so sauer geworden, wie das wahrscheinlich nur eine britische Internatsleitung werden könnte.
Wir sind in der Tate Gallery in St. Yves. Ein prächtiger Bau direkt am Meer. Blick auf Strand und Wellenreiter. Drinnen ansprechende Kunst. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Ein sehr schöner Ort. Sagen wir. Unsere Kinder sind dagegen sehr schnell gelangweilt. So viel zur Kunst, Kindheit und der Kompatibilität. Meine Tochter wollte zunächst unbedingt rein. Sie steht vor allem auf die Museumsshops. Museen könnten ihrer Meinung nach nur aus Shops bestehen. Dazu drei, vier Kunstwerke. Das reicht. Bruno hat noch keine eigene Meinung zu. Im Zweifel die Meinung seiner Schwester. Ruft die „Hurra, Museum! Nix wie rein“, stimmt er ein in den Jubelchor. Mosert sie „Boah, wie langweilig“, rümpft auch er die Nase. Hannis Position - sein Gesetz. Hanni hatte keinen Bock mehr, deshalb setzte er aus Solidarität zum Sololauf an. Vorher versuchte er Skulpturen zu ertasten, küsste mich vehement wie ein spanischer Liebhaber und demonstrierte rundweg seine Bocklosigkeit auf diesen Programmpunkt.
Warum ich mit zwei kleinen Kindern einen auf Bildungsbürger mache? Also gut. Weil ihr es seid. Ein bisschen Kunst ist meiner Meinung auch im jugendlichen Alter nie verkehrt, früh ranführen in entspannter Urlaubsatmosphäre, außerdem müssen wir mal was gegen die allgemeine kulturelle Verblödung unternehmen. Ich kann nicht alles nur auf Peppa Wutz und Bibi & Tina setzen und hoffen, dass das mal salonfähige Themen einer Abendunterhaltung werden. Und überhaupt, was geht es jemanden an, was wir so alles an Unternehmungen mit den Kindern machen. Meine Kernfrage in diesem Beitrag ist vielmehr: Warum versuchen wir einerseits Fußballstadien so zwanghaft familien- und kindertauglich zu machen, aber Museen bleiben geschlossene Systeme, die alleine Kraft ihrer unausgesprochenen, aber streng praktizierten Regeln einzelne Zielgruppen ausschließen. Und über geschlossene Systeme wie Knast und Psychiatrie haben sich andere bereits schlauer ausgelassen. Ich halte nur fest: So wird das nix mit Kunst für alle. Sollte das jemals überhaupt irgendwer irgendwann ernsthaft gewollt haben.
Museen sind völlig spaß- und bewegungsbefreite Zonen. Ich glaube allerdings, würden wir das alles in Museen ein wenig lockerer sehen, hätten auch die Kinder mehr Freude. Und nur für die Spitzfindigen unter uns: Ich halte meine Brut schon im Zaum und praktiziere beileibe keine antiautoritäre Pädagogik im Feldversuch und das auch noch in der Tate Gallery. Ich will auch kein Kinderland mit Bälleparadies inmitten von Ölmalerei oder eine Bierzeltstimmung. Also Füße still halten. Aber in jedem Hinterlandmuseum auf Föhr wirst Du angepfiffen, wenn dein Kind nur kurz mal Stimmung macht. Das ging mir schon immer auf den Senkel. Mit 13, mit 26 und jetzt mit 46 erst recht. Lasst also alle mal besser die Kirche im Dorf. Man kann Kunsts selbst dann auf sich wirken lassen, wenn beispielweise die Metalpunkrock-Band Pagan im Hintergrund ein Konzert geben würde. Das ist nämlich meine These.
Nach Brunos Sololauf „Coast to Coast“ brachen wir ab. Geschlossen gingen wir Eis essen, bis sich alle Gemüter wieder beruhigten. Aber wir geben nicht auf und versuchen es wieder. Jahr auf Jahr. Mal schauen, wer sich durchsetzt. Also nehmt euch alle in acht in den Museen dieser Welt. Eure Spießigkeit wird Euch noch das Genick brechen. Uns die ungebremste Energie von Hanni und Bruno vorher vielleicht aber auch.
Bruno und ich hören: The Shins „Wincing the Night Away“ (Sub Pop)