© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag #68: Helfende Hand
Mein Sohn ist ein sehr fleißiger Bursche. Ich kann es nicht anders sagen. Wo immer es etwas zu werkeln gibt, Bruno hebt die Hand. Kuchenbacken? Bruno ist dabei. Schnitzel panieren? „Ich, ich“. Regal aufbauen? Nur mit ihm. Blumen gießen. Wehe, er wird nicht dazu gerufen. Er hilft, wo immer es geht. Es gibt nur eine Sache, die er noch lieber macht als Werkeln, das ist „Peppa Wutz“ glotzen. But das ist ’ne andere Story. Während ich diesen Text schreibe, schrubbt er bereits voller Inbrunst den Holzboden auf der Terrasse. Mit einem acht auf acht Zentimeter großen, völlig dreckverschmierten Lappen. Ich kann ihn gerade noch davon abhalten, damit die Hauswand zu wienern. Die hat es seiner Meinung nach nämlich auch dringend nötig. Am Regenrohr war er bereits. So. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer und guckt blöd. Ich habe jetzt nämlich gleich doppelt so viel Arbeit, die Misere wieder sauber zu machen. Die Terrasse sieht aus wie Sau. Aber wenn ich ihn stoppe, dreht er durch. Aber vom Feinsten.
Am Vormittag hatte er den subjektiven Eindruck, er hätte nicht ausreichend beim Flicken des Reifens vom Fahrrad seiner Schwester geholfen. Ich erklärte ihm, dass das schon ok war und habe mich umfangreich für die Unterstützung bedankt. „Klasse Bruno, ohne Dich hätte ich das nie geschafft. Toller Kerl. Ganz prima.“ Und so weiter und so fort. Er sah es trotzdem anders, wurde stinksauer und forderte, dass ich nochmal ein Loch in den Reifen machen sollte. Ein Loch, völlig ohne Not. Ohne Verstand und Sinnhaftigkeit. Arbeit nur der Arbeit wegen. Lieber Himmel, dass ich das noch erleben darf. Es gab mal eine Punkerpartei, die hatte den Slogan „Euch die Arbeit, uns das Vergnügen“, Bruno besetzt komplett die andere Seite dieser Fahnenstange. Gäb es die Partei noch, er wäre ein strikter Gegner von ihr. Arbeit ist für ihn reinstes Vergnügen.
Ich freue mich über seinen Elan und Willen, nur dauert alles plötzlich fünfmal so lang, macht doppelt so viel Sauerei und wenn ich nicht aufpasse, schmeckt es kacke. Ein Tanz auf dem ganz dünnen Seil. Rasenmähen ohne Bruno? Sobald er in der Gegend ist, undenkbar. Früher konnte ich dafür entspannte 45 Minuten veranschlagen, jetzt plane ich immer gut 2 Stunden ein. Und vorsichtshalber nichts mehr sonst im Anschluss. Der Motor brummt und Bruno klebt treu wie Haftgel an meiner Seite. Das Stromkabel in einer Verknotungsendstufe, geradewegs als habe ein indischer Zauberer einen neuen Trick vorbereiten wollen. Aber nur, weil ich permanent Hacken schlage, damit er seine Füße nicht ins Mähermesser schieben kann.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm? Könnte jetzt galant gedacht werden. Ist aber nicht so. Zumindest bin ich hier nicht der Stamm. Ich kenne auch von keinem aus unserer Familie die Legende vom fröhlichen und glücklichen Arbeiter. Gewerkelt wird viel, aber an keiner Stelle mit dieser Inbrunst und Hingabe. Auch meine Tochter schlittert nicht im gleichen Fahrwasser. Eher im Gegenteil. Jetzt will ich nicht behaupten, dass Hanni stinkend faul ist, das würde ihr auch wieder nicht gerecht werden. Aber immer wenn etwas ansteht, muss sie dringend erst noch 20 Räder schlagen oder den neuen Kopfstand ausprobieren. Es ist kein böser Wille, es läuft nur immer ziemlich unglücklich. Ausgerechnet jetzt Frühstückstisch abräumen? Hhmm, superblöd. Also, was will ich jetzt tun? Und da biegt auch bereits Bruno um die Ecke. Voll im Helfersaft.
Ich habe so die vage Vermutung und das miese Gefühl, dass es im Leben der Kinder nur ein ganz schmales Zeitfenster gibt, in dem zwei Dinge optimal zueinander finden: Richtig Bock zu helfen und tatsächlich auch eine echte Hilfe sein. Helfen aus reiner Leidenschaft, ohne dass mit Geld geködert oder überhaupt ins Spiel gebracht werden muss. Und gleichzeitig ohne größeren Kollateralschaden. Im höheren Alter mag das wieder anders sein, aber ich befürchte bis 18 ist das ein eine ganz schmale Tür, die nur einen ganz engen Spalt hat. Schnapp, schon ist er wieder zu. Bei meiner Tochter scheint die Tür schon wieder verriegelt und die vermaledeite Peer-Group steht mit Hotpants und Tretrollern auf der anderen Seite. Herrje. Nur Bruno, der wartet immer in der Startbox. Allzeit ready to go!
Als er vor kurzem die zweite Tasse aus der limitierten Geschirrreihe mit lautem Knall zu Boden donnerte, waren wir kurz davor jegliche seiner Hilfestellungen bei ihm zu untersagen. Aber dann fing er das Schreien an und zeigte für kurze intensive Momente sein anderes Ich. Und dann wurde uns wieder bewusst, egal wie und wann, die Kinder müssen gefördert werden. Sie brauchen Zeit und Raum um Dinge zu lernen. Die Parolen heißen: Am Alltag teilhaben lassen, sie einbinden, Aufgaben geben. Es gibt ihnen ein gutes Gefühl. Ach Gott. Es ist ja nur Geschirr. Also weiter im Text. „Klar Bruno, hilf mit bei der Spülmaschine. Logo, du bist ein ganz feiner Kerl. Deine Schwester? Lass sie, die trainiert ja gerade Rolle rückwärts.“
Bruno und ich hören: PJ Harvey „Rid of Me“ (Island)