Neverending Vatertag - kulturelle Verblödung
Wir sind kurz vor der kulturellen Verblödung. Meine Frau und ich. Das wurde uns in den vergangenen Tagen sehr bewusst. Wir ahnten es schon lange. Aber wir sprachen es diesmal beide aus. Und machten uns nichts mehr vor. Klartext. Karten auf den Tisch: Wir schaffen gerade noch grob die Tageszeitung durchzublättern. Und bei optimalen Verlauf am Abend ein Nachrichtenformat. Wenn ich hier schreibe Durchblättern, dann meine ich auch nur Durchblättern. Und wenn ich von einem Nachrichtenformat spreche, meine ich auch wirklich nur ein Nachrichtenformat. Ganz erschreckend. Aber es bleiben vom normalen Tag gerade mal zwei Stunden Zeit zur weitestgehend freien Verfügung. Wenn alles klappt. „Es wird besser, keine Sorge“ wollen da manche Nimmermüde unsere Nerven beruhigen. Das mag sein. Bis dahin habe ich aber, was das Zeitgeschehen betrifft, den Wissensstand eines Siebtklässlers aus einer Hochhaussiedlung im Frankfurter Nordwesten. Entschuldigung für das Klischee. Ich kann gerade nicht anders. Es ist die kulturelle Verblödung!
Zwei Stunden. Eine halbe am Morgen. Und anderthalb Stunden am Abend. Ich wiederhole: Wenn es wie seit neuestem gut läuft. Bruno ist Frühaufsteher. Hanni eine Spät-ins-Bett-Geherin. Dazu schlafen beide gegenwärtig nur noch mit Begleitung ein. Ganz unabhängig von Frühaufsteher oder Spät-ins-Bett-Geherin. Bruno aus Gewohnheit. Hanni weil sie Angst hat, jemand würde sie klauen. Von wegen es wird besser. Ich glaube diese Phase hat jedes Kind. Irgendwo was aufgeschnappt, der Fall Maddie oder etwas in die Richtung. Dazu die Mädchen aus der Vierten im Hort, die auch irgendeinen hanebüchenen Bockmist verzapfen. Bums. Schon ist es geschehen. Ich könnte die Fenster zumauern, es hätte keinen Wert. In ihrer Vorstellung kommt der Kinderdieb überall rein. Selbst durch die Rollladenschlitze. Kürzlich hat sie ganz kritisch den Kamin geprüft. So rappeldürr kann der Dieb in ihrem Kopf sein. Dabei ist noch nicht mal dieses neue Youtube-Monster namens Momo in irgendeinem Bibi-und-Tina-Film bei ihr aufgetaucht. Wenn das noch kommt, Gut Nacht! Dann brauchen wir ihr Zimmer gar nicht mehr verlassen. Welcher kranke Kopf denkt sich auch so einen Splatter-Dreck aus. Kinder kann der- oder diejenige keine haben. So ein Vollpfosten!
Aber zurück zur kulturellen Verblödung. Eh ich das auch wieder vergesse. Denn zur kulturellen Verblödung gehört auch, dass ich viele Dinge einfach nicht mehr behalten kann. 15 Minuten nehme zumindest ich mir am Morgen für die Zeitung. Damit ich wenigsten weiß, wer noch Kanzlerin ist, wann ein Krieg vor der Tür steht oder wie der Tatort besprochen wird. Die gröbsten Stränge behalte ich im Blick. Mehr nicht. Das war es mit dem Weltgeschehen. Ich bin eigentlich das ideale Opfer für Fake News. Ich entdecke gute und interessante Beiträge. Die will ich mir für den Abend aufheben und dann lesen. Das ist besonders rührend und naiv. Wenn es nämlich ganz übel läuft, schlafen wir beide in den jeweiligen Kinderzimmern ein. Bis einer den anderen weckt. Dann tutet die Wasch- oder die Spülmaschine, die Arbeitstasche muss für morgen gepackt oder irgendeine Entschuldigung geschrieben werden. Abpfiff. Jetzt richtig „Gut Nacht“. Klingt furchtbar? Es ist zumindest ein bisschen bitter.
Ich weiß ja nicht genau, wie andere Eltern das lösen, aber bei uns ist die Luft für geistige Weiterentwicklung komplett aus dem Schlauch. Meine Aufnahmekapazität reicht noch für eine Folge irgendeiner Netflix-Serie. Dann ist Schluss. Nix geht mehr. Der Artikel von heute früh. Ach Gott, so wichtig war es auch nicht. Liegt schon im Altpapier. Morgen ist ein neuer Tag. In der Öffentlichkeit mache ich noch schlaue Miene zum dummen Spiel. Tue so als ob ich wüsste, von was so manche Leute reden. Aber ich mache mir nichts vor. Irgendwann und bestimmt ganz bald fliegt es auf. Apropos rührend und naiv. Manchmal sind wir ganz mutig und kaufen uns die Wochenzeitung „Die Zeit“. Da wollen wir es allen beweisen. Hintergründe, Meta-Ebene, völlig neue Themen, Dossiers, Feuilletons. Ach. Es klingt so schön. Es wäre so toll. Mir stockt der Atem. So weit weg wie usbekische Dörfer. Der letzte Versuch ging nahezu in der Originalfaltung in den Müll. Wir versuchen es weiter. Nur aus Trotz. Vernunft ist das schon lange nicht mehr.
Seit einem Jahr lese ich an einem Buch. Ich gebe nicht auf. Ein bisschen 11 Freunde und regelmäßig Bild.de. Das sind meine Quellen. Die schaffe ich. Dazu kommen noch die Was-ist-Was-Bücher meines Sohnes. Welche Werkzeuge zieht denn überhaupt so ein Trecker? So als Beispiel. Ich bin mit wenig zufrieden und freue mich über alles. OMG! Das neue Lieblingswort meiner Tochter. In deren Welt kenne ich mich wenigstens auch noch aus. Bibi und Tina und Songs von Pietro Lombardi. Der Tiefpunkt. Dazu schreibe ich vielleicht nochmal gesondert. Damit ich nicht implodiere. Aber auf diesen Gebieten lerne ich zumindest dazu. Vor kurzem fragte mich ein Freund, ob ich an einem Vater-Kind-Wochenende teilnehmen will. Ich vermute, das soll zur Entlastung der Mütter dienen. Und den Vätern endlich mal ein bisschen mehr Zeit mit den Kindern aufdrängen. Ich bin da leider die völlig falsche Zielgruppe und fühle mich nicht angesprochen. Was wir brauchen ist ein „Eltern-ohne Kinder-Wochenende.“ Das gibt es nur leider nicht. Wäre aber 2019 einmal dringend nötig. Sonst ist die kulturelle Verblödung in der finalen Phase angekommen.
Bruno und ich hören Nirvana „Nevermind“