© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag #61: Kardinalfehler
Manchmal frage ich mich, welche Hirnkreisläufe bei mir ab und an falsch gesteckt sind. Ich mache immer noch einige Kardinalfehler. Dabei müsste ich es besser wissen. Aber ich habe freie Sicht auf die Falle und tappe trotzdem rein. Und das nach über zwei Jahren intensivster Erziehungserfahrung. In vorderster Reihe. Doch wer nicht hören will, muss lernen. Zumindest die harte Ochsentour gehen. Oder so ähnlich. „Bruno, wollen wir jetzt mal zähneputzen?“, „Nein“. Schon sitzt der erste Knopf der Weste falsch. Aber Herr im Himmel, was veranlasst mich denn überhaupt zu fragen, ob er zähneputzen will? Kein Kind der Welt will zähneputzen, wenn Du es fragst. Das ist genauso behämmert wie die Frage, ob es heute Grünkohl mit Pinkel oder Eisbein essen will. Nein. Kinder mögen nie Eisbein oder Grünkohl. Zumindest kenne ich keines. Und in der Regel haben die Kinder auch kein Interesse daran, ihre Hacker zu wienern. Sie sehen dafür keinerlei Notwendigkeit. Das ist auch völlig ok aus ihrer Sicht. Sie überhaupt zu fragen, ist der eigentliche Schwachsinn. Ich weiß es und mache es trotzdem. Es muss heißen „Bruno, zähneputzen. Los geht’s!“ Ausrufezeichen. Kein Fragezeichen. Bibi Steinhaus hat es doch gesagt. „Zähneputzen. Jetzt. Sofort!“
„Bruno, komm doch jetzt bitte mal her“. Auch falsch. Es lässt viel zu viele Hintertüren. Es offenbart die ganze Schwäche der Eltern. Am besten funktioniert der Laden, wenn ich rufe „Bruno. Herkommen. Sofort!“ Bibi Steinhaus eben. „So spricht man doch nicht mit einem Kind. Es ist doch kein Hund.“ Ich weiß, das klingt nicht charmant, schon gar nicht schön, aber es ist mir gerade völlig wurscht. Bei kurzen, knappen, markanten Ansagen, steht er vor mir. Ich darf keine Lücken lassen. „Jetzt wird gegessen!“ „Hose anziehen!“ Remember: Immer im Ausrufezeichen-Modus. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Only Sheep need a Leader. Jaja, das stimmt alles. Aber in der Früh um halb Acht hab’ ich eigentlich keine Zeit für political Correctness. Eigentlich. Aber was mache ich? „Bruno, es wäre echt cool, du würdest jetzt mal den Schneeanzug anziehen.“ Wäre, würde, könnte, solltest. Ich beginne mich gerade selbst zu nerven.
Andere Facette, gleiches Thema. Ich schildere mal an einem aktuellen Beispiel, wie manchmal Entscheidungsprozesse bei unserem Sohn laufen, wenn wir nicht aufpassen. Wir brauchen eine Begrenzungsleiste für Brunos Kinderbett. Diese gibt es in mehreren Farben. „Bruno, welche Farbe willst Du? Grün?“ „Grün.“ „Ok. Oder orange?“, „Orange“. „Oder weiß mit Birkenkante?“ „Weiß mit Kwirkikan“. Kwirkikan heißt bei ihm Birkenkante. So kann das jetzt gehen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Irgendwann beißt er sich bei der blödesten Farbe fest und ist nicht vom Gaul zu heben. Ich weiß derweil nicht, welcher Idiot uns geritten hat, diese Entscheidung gemeinsam mit unserem Sohn treffen zu wollen. Es ist völliger Quatsch ein Kind – bis sagen wir mal fünf Jahre – bei solchen Entscheidungsfragen einzubinden. Wenn schon Mitbestimmung, dann nur zwei Dinge zur Wahl geben. Hab ich alles schon mal aufgeschrieben, glaube ich. Ich muss mich nur gerade selbst daran erinnern.
Ich vermute, der Kern allen Übels ist dieser Partnerkram. Kinder als gute Freunde der Eltern zu begreifen. Einbeziehen, Partizipation, eine rundum kindgerechte Welt. Auch wieder alles richtige und schöne Werte, alles gut. In vielen Zusammenhängen bin ich da ganz stark dafür zu haben. Aber doch nicht flächendeckend und nur in Maßen. Ich war vor geraumer Zeit beim Auswärtsspiel der Eintracht im Rom. Da ging es plötzlich hoch her. Hools und Ultras gegen die italienische Zivilpolizei. Raketen flogen, Bengalos brannten, Schlagstöcke wurden markig geschwungen. Männliche Pose wohin das Auge reicht. Da meinte einer meiner Reisebegleiter, dass ihn das ziemlich ankotzt. Wenn das so weitergeht und keiner Einhalt gebietet, kann er niemals mit seinem kleinen Sohn in die Kurve gehen. Das hat doch mit Fußball nichts mehr zu tun. Spätestens jetzt rufe ich aber „stop!“ Und zwar nicht in the Name of Love. In diese Falle laufe ich nicht auch noch. Es ist der völlig falsche Ansatz, einen Besuch der Stehtribüne eines italienischen Stadions mit dem Maßstab „kindgerecht“ bewerten zu wollen. Wenn wir das machen, sind wir endgültig auf dem falschen Dampfer. Ob nun Raketen fliegen oder Fäuste knallen. Der Maßstab für sowas ist meine Sicherheit und nicht die eines dreijährigen Sohnes. Eine völlig kindgerechte Welt? Fürchterlich. Das ist ja Brainwash galore. Wer so etwas will, der führt nämlich noch viel Ärgeres im Schilde. Aber ich will nicht zu politisch werden. Ich gehe mit Hanni ja auch nicht auf ein Death-Metal-Konzert und beschwere mich, dass dort okkulte Sachen gebrüllt werden oder es sehr laut aus den Boxen dröhnt. Das ist Death-Metal. Der gibt die Taktung vor. Es gibt wunderbare Konzerte für Kinder und den Familienblock im Stadion. War das jetzt verständlich?
Daher rührt das aber alles. Vermute ich. „Magst Du“, „Würdest Du“, „Ich würde mich freuen, wenn Du mithilfst“. Und alle rein in den Salon und stellt mal ordentlich die Bude auf den Kopf. „Sind sie nicht süß?“ Nein, sind sie ganz oft, aber nicht immer. Vor allem nicht in allen Settings. Ich liebe Partys, bei denen die Gastgeber mittlerweile ganz offensiv die Kinder ausladen. Richtig so. Ab und an mal klarer Kante und eindeutige Linie zeigen. Es gibt Räume für Kinder, Plätze für alle zusammen und Orte, die nur uns Erwachsenen gehören. Zumindest das habe ich klar. Wie die berühmte Kloßbrühe. Für den Rest fehlt mir leider manchmal die richtige Konsequenz.
Meine Frau mag diesen Beitrag nicht besonders. Sie hat ihn vorab gelesen und meinte, dass wir so jetzt ja wahrlich nicht mit den Kindern sprechen und es vor allem auch zukünftig nicht sollten. Das sei ja keine Perspektive und überhaupt, veröffentlicht gehört das schon mal gar nicht. Dann machte sie heute früh Hanni fertig und stand ordentlich unter Strom. Hanni machte dies und machte das. Nur nicht das, was sie sollte. Da brach es aus meiner Frau heraus. Um 7.20 Uhr. Laut und deutlich. Mit Ausrufezeichen. „Hanni. Herkommen. Sofort!“. Es funktionierte. Ach. Die schönsten Geschichten schreibt immer noch der Alltag!
Bruno und ich hören: At the Drive-In „In/Casino/Out“ (Fearless Records)