© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag #59: Uncool
Ich befürchte, es geht schneller als erwartet. Gerechnet habe ich damit allemal. Bin ja nicht völlig von der abgehalfterten Reservetruppe. Allerdings noch nicht mit gerade mal sechseinhalb Jahren. Doch die Momente häufen sich. Keine maximale Verdichtung, aber ich spüre es. Nicht nur im Nacken. Meine Tochter findet mich in regelmäßigen Abständen uncool. Dazwischen und zuhause findet sie mich immer noch cool. Wenn ich mit ihr ordentlich Flieger mache, ihr zwischenzeitlich konfiszierte Eintracht-Schals aus Rom mitbringe oder laut Punkmusik höre. So als Beispiele. Da bin ich ganz vorne. Lonely at the top! But only in the Wohnung. Doch draußen in der Welt? Dort, wo der Wind manchmal so grässlich pfeift und lichtscheues Gesindel lauert? Da bin ich in zunehmenden Momenten uncool. Nicht schlimm uncool und nicht dauernd uncool. Aber auch nicht mehr ultrawitzig und keinesfalls ein „Hey schaut mal, Mädels, da kommt mein superspitzenlässiger und megalustiger-Vater“.
Die ersten Anzeichen gab es vor weit über einem Jahr. Da zum Themenfeld „Witzigkeit“. Wir fuhren eine blitzsaubere Überlandtour und ich fragte mehr oder weniger aus einer Laune heraus „Hanni, ich habe so das Gefühl, Du findest mich nicht mehr ganz so witzig.“ Daraufhin sie: „Ja, Papa, das stimmt. Früher warst Du witziger.“ Ohlala. Damals traf es mich unerwartet ohne Deckung und ich hakte nach. „Wieso, warum?“ Alle W-Fragen halt. „Weißt Du Papa, das hat zwei Gründe: Erstens bin ich älter geworden und zweitens merke ich jetzt, dass Deine Witze doch nicht so witzig sind, wie ich das früher immer dachte.“ Soweit zum Thema Witzigkeit. Jetzt kommt in manchen Momenten meine bloße Anwesenheit dazu. Noch bevor ich überhaupt annähernd über einen Witz nachgedacht habe.
Laufen wir in der Herrgottsfrüh in die Schule, wollen andere Kinder aus der Laufgruppe noch an meine Hand. Sie sind müde, unsicher, ja auch noch verhältnismäßig klein. Dazu ist Winter. Dunkel, nasskalt und überhaupt. Das Letzte, was Hanni um halb Acht einfallen würde, wäre nach meiner Hand zu greifen. Eben weil es absolut uncool wäre. Vor allem vor den Jungs und noch schlimmer: Vor den Mädchen aus der zweiten und dritten Klasse. Am Tor zur Schule lässiges Abnicken, ab und an ein fixer Drücker, aber von der ganz schnellen Sorte und auf keinen Fall einen Kuss. Rein in den Schulschlund. Ich passe mein Verhalten an. Manches habe ich verdrängt, aber nicht dieses Gefühl, wenn einem die ganzen Situationen und vor allem die eigenen Eltern peinlich werden. Da heißt es aus der eigenen Geschichte lernen. Demut ist in diesen Momenten mein treuester Gefährte.
Ab und an sehe ich wie Hanni die anderen Kinder beobachtet. Ob die über meine Faxen lachen. Und machen die das – dann lacht sie mit. Ich mache im Kern ja keine schlechten Gags. Das will ich mal festhalten. An guten Tagen würde ich mir sogar ein kleines spontanes Stand-up-Pogramm zutrauen. Allerdings nur an den Guten. Und nur im privaten Rahmen. Aber sie ist immer auf halb acht. „Papaaaaa! Kannst Du bitte aufhören so blöd zu reden!“. Wahlweise so blöde Gesichter zu ziehen, so blöd zu tanzen. Oder einfach nur so blöd rum zu stehen oder mitgehen zu wollen. Gestern hat es das erste Mal geschneit und alle Kinder wollten los. Auf, auf zum nahegelegenen Abhang! Absurderweise Schlittenfahren. Auf einem Zentimeter Neuschnee. Großstadt von ihrer rührenden Seite. Aber das ist nicht das Thema. Manche Nachbarskinder verlassen den Hof nicht ohne ihren Vater, für meine Tochter wäre es das Überflüssigste überhaupt, wenn ich mich da im Schlepptau einreihen würde.
Aber was will ich denn tun? Ich bin schließlich nicht Eddie Spaghetti von den Supersuckers. Vor Jahren war ich einmal auf einem Solokonzert von ihm und er hatte seinen Sohn Quattro Spaghetti auf Tour dabei. Der war damals so alt wie Hanni jetzt und behielt ein wenig das Merchandise im Auge, während sein Vater uns einen sang. Ich hatte das Gefühl, Quattro war nichts an seinem Vater peinlich. Und die Witze zwischen den Liedern waren keinen Deut besser als meine. Was ist die Moral? Und die Geschichte? Eine Chance hab ich noch. All meine Hoffnungen ruhen auf Bruno. Der findet standesgemäß alles lustig. Und wenn Hanni Mitte 20 ist, wäre vielleicht auch das Gröbste überstanden. Bis dahin mach’ ich gute Miene! Dabei bin ich wirklich ein ganz witziger Typ und schon mal gar kein uncooler Vater.
Bruno und ich hören: Hot Water Music „A Flight and A Crash“ (Epitaph)