© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag: #53 Frühstückskönig
Vor knapp zwei Wochen kam Frau E. in unser Leben. Direkt nach der Sommerpause und in dieser Qualität unverhofft. Frau E. ist die Grundschullehrerin meiner Tochter. Seit Frau E. mit von der Partie ist, läuft manches anders. Und seit Frau E. einen Teil der Zuständigkeit für Hanni übernommen hat, gilt plötzlich nur noch ihr Wort. Zumindest beim Thema gesunde Ernährung und im Besonderen bei der Beschaffenheit des Brots. Frau E. will nämlich den Frühstückskönig küren. Und eine Tugend des Frühstückskönigs ist es anscheinend, dass sein Brot besonders körnig und vor allem besonders dunkel sein muss. Nur mal am Rande und dass wir uns nicht falsch verstehen: Uns ist gescheites Brot sehr wichtig. Eigentlich schon immer. Mein Großvater war nämlich Bäcker, mein Vater Koch und Konditor und wir haben durchaus grundsätzlich eine allgemein gut funktionierende Antenne für gesunde Ernährung. Aber jeden Tag Vollkornbrot ist meiner Meinung nicht immer das Mittel der Wahl und kann gerne auch auf den Geschmackssenkel gehen. Entsprechend variieren wir und das mit großer Freude.
Hanni hatte am zweiten Tag ein sündhaft teures Bauernbrot von einem dieser Zeitgeist-Hipster-Bäckerläden im Gepäck. Ich hatte dafür fast unsere ganzen Ersparnisse geplündert, doch das juckte augenscheinlich niemanden, denn es war eben nur ein Bauernbrot. Kein Vollkornbrot. Viel zu hell und kein Korn zu finden. In der Liga der ambitionierten Frühstücksesser ist das anscheinend bereits ein absolutes No-Go. So kam Hanni nach Hause und sagte, dass Frau E. gemeint hätte, das da wäre kein gesundes Brot. Viel zu hell oder eben nicht dunkel genug und überhaupt. Ab morgen bitte Vollkornbrot und das bitte in der Farbe Eiche rustikal. Alle weitere Diskussion war zwecklos. Es schien als habe ein Diktator aus einem fernen Land ein Machtwort gesprochen und ein Verstoß gegen die Brot-Doktrin zöge bittere körperliche Strafen nach sich. Oder es würde wirklich am Ende eine Krone warten. Irgendwie musste ich plötzlich wieder an die Zwergenäpfelchen denken (siehe #3 Eurythmie).
Würde ich hier im Haus die Wahl zum Frühstückskönig ausrufen, dann bekäme ich hohles Gelächter und eine Riesenportion völlige Gleichgültigkeit entgegengebracht. Der Frühstückskönig ist nämlich ein Titel, der nur in bestimmten Zusammenhängen etwas wert ist. Da ist es aber wohl ein Titel, der mit aller Macht errungen werden muss. Zuhause ist er dagegen so wichtig wie der Deutsche Meister in der „Ich räume mein Zimmer möglichst gründlich auf“-Disziplin. Also nichts. Nada. Vielleicht sogar noch viel weniger. In der Klasse 1d wollen jetzt alle Frühstückskönig werden. Eine Mutter musste sogar gegen 21 Uhr nochmal das Haus in Richtung Supermarkt verlassen, weil nur noch Toastbrot im Schrank war. Toastbrot und Frühstückskönig. Weiter entfernt können die Pole nicht sein. Die Brotwahl hält derzeit mindestens 18 Familien im Frankfurter Nordwesten in Atem.
Frau E. ist vergleichsweise attraktiv. Sie dürfte so Ende 30 sein und könnte nordafrikanische oder vielleicht auch türkische Wurzeln haben. Das tut im Grunde nichts zur Sache, aber es hilft vielleicht, ein Bild von ihr zu bekommen. Vielleicht erklärt es auch, warum fast alle Väter aus der Klasse meiner Tochter am Einschulungstag über die Maßen begeistert waren und sich vor allem sehr für den ersten Elternabend in der kommenden Woche interessierten. Fachlichkeit hin oder Fachlichkeit her. In manchen Augenblicken zählen andere Argumente. Manche Mütter waren etwas reservierter in ihrer Einordnung und wunderten sich über das Engagement der Männer. Lange Rede, einfacher Sinn: Wir können festhalten, dass sie von allen zu verteilenden Lehrkräften wohl eindeutig den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat. So nachhaltig, dass bereits ein Mitschüler von Hanni vollmundig zu Hause behauptete „Ich glaube, wir haben den Hauptgewinn gezogen“.
Ich weiß nicht, ob das der Grund für ihren großen Erfolg ist. Aber während vor meinem geistigen Auge Frau E. neue Titel vergibt und ich so vor mich hin schreibe, kommt mir, dass ich wohl besser das Ganze mal enger begleite. Was weiß ich denn, welche Championate da noch auf der Agenda stehen. Notfalls muss ich mal ein Einzelgespräch mit ihr suchen. Bis dahin kaufe ich zur allgemeinen Orientierung und Sicherheit Vollkornbrot und schneide Gurken und Karotten bis der Schäler raucht. Besser zum Einstieg einen guten Eindruck machen. Je länger ich darüber nachdenke: Ich glaube, sie ist keine schlechte Lehrerin. Und überhaupt, Vater der Frühstückskönigin – so übel hört sich das auch wieder nicht an.
Bruno und ich hören: Frank Carter & The Rattesnakes „Blossom“ (International Death Cult)