Neverending Vatertag: #44 Frau Doktor
"Lieber Gott, lass Frühjahr werden und die Sonne in unser Familienherz!", rufe ich jämmerlich in die Schneewehe und halte gleich hinterher die Luft an, ob morgen beide Kinder gesund sind. Für 2018 wäre das eine waschechte Sensation. Wir würden in die zweite Woche am Stück gehen. Krankheitsfrei. Aus meiner Sicht ist das ähnlich einzuordnen wie gegenwärtig die fünf Heimsiege der Eintracht in einer Reihe. Noch ist es aber nicht so weit. Und überhaupt: Morgen ist erst Dienstag. Besser mal nicht übermütig werden. Dazu kommt zusätzlich das Tauwetter und Bruno knattert schon wieder als würde er sich für das Marlboro-Nachwuchsteam bewerben. Besser Füße still halten und Euphorietempo drosseln. Es kann alles mit kalter Faust erneut zurückschlagen. Aber bitte, lieber Gott, nochmal, ganz dolle und mit viel Inbrunst: Es wäre jetzt wirklich auch einmal genug.
In den Wochen zuvor hatten wir bereits das komplette Sortiment: Bronchitis, Grippe, Durchfall und als ersten ordentlichen Abschluss noch eine Bindehautentzündung. Auf beiden Augen natürlich. Wenn schon, denn schon. Nur ein kleiner Auszug. Dafür immer im einwandfreien Wechsel – Sowohl die Bindehautentzündung zwischen den Augen als auch die übrigen Krankheiten zwischen den Kindern. Verteilt im Wochentakt seit Jahresbeginn. Hanni übergibt an Bruno und Bruno an seine Schwester. Ah, heute du wieder, na dann, Dankeschön und auf geht’s Buam. Wird schon wieder. Erwerbsarbeit wird manchmal eh überbewertet. Jeder Tag ist eine Lotterie. Im Kindergarten Magen-Darm, in der Krabbelstube Fuß-Hand-Mund. Natürlich. Warum auch nicht. Soll ja auf keinen Fall langweilig werden.
Bevor ich Vater wurde, war ich ungefähr alle vier Jahre beim Arzt. Jetzt bin ich froh, wenn ich fünf Tage am Stück ohne Praxisbesuch überstehe. Da hilft auch die neue attraktive Ärztin nichts. Die macht es nur etwas erträglicher. Januar bis März sind die knackigen Monate. Eine Art Crunch-Time der Kinderkrankheiten. Das wissen alle Eltern und können doch nix machen. Außer vielleicht dumm gucken. Die Wartezimmer sind so voll, es gäbe es im Sprechzimmer bereits Karten für‘s WM-Endspiel. Aber zum halben Preis. Bei Wartezeiten von unter 2 Stunden schlagen wir uns bereits freudig zuhause ab. Hohe Fünf, manchmal läuft es ja doch wie geschmiert. Mittlerweile habe ich Krankheiten in mein Wissensrepertoire aufgenommen, da wusste ich 40 Lebensjahre zuvor überhaupt nicht, dass es die gibt. Fuß-Hand-Mund beispielsweise.
Die ist ein klassisches Krabbelstuben-Phänomen, gerne auch bekannt als Maul-und-Klauen-Seuche. Das klingt nur leider nicht nach Krabbelstube, deshalb hat irgendjemand schnell Fuß-Hand-Mund als Begrifflichkeit gefunden. Später taucht das so gut wie gar nicht mehr auf. Also die Krankheit in höherem Alter. Und ist auch oft nur halb so wild. Hört sich aber so an. Rufst Du Eltern ohne Kindern zu: „Achtung, Achtung! Mein Kind hat Maul-und-Klauen-Seuche!“, wollen die gleich Quarantäne verhängen. Am besten über den ganzen Stadtteil. Das geht aber wieder, wie es kommt, denn langsam kenne ich mich aus. Gegen Etliches haben wir Hausmittel, bei anderen Dingen kapitulieren wir frühzeitig. Guten Morgen Frau Doktor, schauen Sie sich doch bitte mal den Ausschlag an. Den hatten wir bislang noch nicht. Jungs haben wieder ganz anderen Kram als Mädchen und was bei Hanni half, muss bei Bruno noch lang keine Wirkung erzielen. So lerne ich nie aus.
Kamillenbäder gegen Entzündungen am Pillermann, Herpes mitten auf der Backe. Immer eine Überraschung. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Meine Schwiegereltern und meine Stiefmutter stellen sich mittlerweile automatisch schon den Wecker auf halb sechs, glaube ich. Es könnte sein, dass wieder das rote Telefon aus Frankfurt klingelt und sie im Halbschlaf und Pyjama-Hose auf die A3 brettern müssen. Überhaupt: Wieder ziehe ich meinen Hut vor allen Alleinerziehenden und schlage derweil unsere Verwandtschaft fürs Bundesverdienstkreuz vor. Oder zumindest für den goldenen Frankfurt-Bembel am Band. Dazu brauchst du auch noch Arbeitgeber, die halbwegs alle sozialen Tassen im Schrank haben. Alles eine scharfe Kante und doch nicht so einfach wie einst auf dem Pausenklo gedacht.
Im Kinderzimmer jammert derweil Hanni und klagt über schwere Beinschmerzen. Völlig aus dem Nichts. Ich glaube, ich gehe besser mal ins Bett. So rein vorsichtshalber. Was weiß ich, was heute Nacht noch alles passieren kann. Hoffentlich hat morgen wenigstens die schöne Frau Doktor Dienst.
Bruno und ich hören: Danko Jones „We sweat Blood“ (Bad Taste) und die erste Seite der zweifelsfrei noch stärkeren „Born a Lion“ (Bad Taste) auch von Danko Jones