© Ralph Rußmann
Neverending Vatertag: #43 Fragen, Fragen
Heute musste ich im Bürgeramt anrufen. Da sagte die Frau auf der automatischen Tonspur als Slogan „Ihr Bürgeramt Frankfurt – wir lieben Fragen.“ Da dachte ich so für mich und noch eh ich eine Madame vom Amt in der Leitung hatte: „Hola, jetzt bin ich aber gespannt. Das ist ja eine mutige Ansage für ein Amt!“ Und gleich hinterher: „Da soll mal meine Tochter anrufen“. Das wäre durchaus eine Aufgabe fürs Bürgeramt. Meine Tochter hat nämlich nur noch Fragen. Sie besteht förmlich aus Fragen. Sie fragt den ganzen Tag. Von früh bis spät. Sie fragt einfach alles. Auch Dinge, die meine Frau oder ich ihr bereits beantwortet haben. Manchmal zwei Minuten vorher. Wie bitte? Ich soll mich doch freuen, dass ich so eine wissbegierige Tochter habe? Freundchen Schlaukopf, beantworte DU erst einmal den ganzen Tag Fragen, dann reden wir weiter. Ich verwette meine nicht vorhandenen Reiterstiefel, dass selbst das Bürgeramt seinen Anruftext austauschen würde, hätten die nur einmal meine Tochter an der Strippe.
Hanni kommt auf Fragen, da habe ich meinen Lebtag noch nie daran gedacht, dass das auch gefragt werden kann. Dazu quasselt sie ununterbrochen. Zu jedem Thema ein Stehgreif-Referat. „Hanni, zieh bitte die dicke Kappe auf, draußen ist die Russland-Peitsche am Start.“ Peng. Schon bekomme ich einen fünfminütigen Vortrag zu Kappen. Zu dicke Kappen, zu dünne Kappen. Warum das so nicht geht. Zopf unter Kappen. Wieso ich noch keine Kappe aufhabe und überhaupt, welche Kappe der Bruno denn jetzt aufziehen muss. Die ganze Welt der Kappen in fünf Minuten referiert. Das ist nur ein Beispiel. Dazu haben wir am Tag mindestens zehn solcher Beiträge. Schuhe anziehen, Zimmer aufräumen, Türen nicht so knallen. Zu allem ein Fachvortrag vom Feinsten und bis unsere Ohren schmerzen. Wenn das so bleibt, dann tut mir der erste Freund jetzt schon leid. Das ist entweder eine ganz starke Persönlichkeit oder die ärmste Sau der Stadt. „Was kann ich denn dafür, ich rede einfach gerne“, war kürzlich ihre Antwort auf meine Ansage, dass mir das ganze Gequassel gerade gehörig auf den Senkel geht. Mir wäre lieber, neben Ballett wäre Quatschen nicht ihr größtes Hobby.
Redet sie nix, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie krank ist. Aber richtig krank. Und wenn niemand mehr zuhört, quasselt sie ihre Puppen zu. Bruno im Gegenzug beschränkt sich nach wie vor auf gut und gerne zehn Wörter, die seine Welt erklären. Diese Wörter, einfache Handbewegungen und markante Geräusche reichen ihm völlig aus, um durch seinen Alltag zu kommen. Ich kann ihn gut verstehen. Mit zunehmender Dauer will ich auch nicht mehr viel reden. Mein Vater hatte mal zwei Kellner. Der eine hörte nix, der andere sprach sehr schlechtes Deutsch. Die zwei schickte er immer im Paket auf die Gäste los, in der Hoffnung sie würden sich ergänzen. So ein ähnlich furioses Duo sind auch meine Kinder. Hätte eine Familie ein bestimmtes Kontingent an Wörtern, die sie am Tag verbrauchen dürfte, ich verwette auch das Pferd, das ich nicht besitze, für uns drei – meine Frau, Bruno und mich – bliebe nichts mehr übrig.
Meine Hoffnung: Ich glaube so Dauerquatscher wie Barbara Schöneberger, Anke Engelke oder diese Ina aus Inas Nacht haben auch als Kinder immer alle anderen aus der Klasse zugetextet. Vielleicht lässt sich damit wenigstens eines Tages Geld verdienen. Einfach quatschen bis es dunkel wird. Sie redet ja auch kein dummes Zeug. Allein die schiere Masse haut mich komplett aus den Socken. Und eben im Schwerpunkt Fragen. Aus allen Fachrichtungen. Gott und die Welt. Physik und Sprachen. Es gab mal auf einer meiner alten Drei-Fragezeichen-Kassetten den Song „Fragen, Fragen“. Das wäre der Soundtrack meiner Tochter. Besser fünfmal fragen, als einmal die Klappe halten.
Wir brauchen für sie einen Kinderreisepass, denn bald fährt sie in die Schweiz. Deshalb mein Anruf beim Bürgeramt. Dazu muss sie allerdings mit ins Amt kommen. Bruno auch. Also fast die ganze Mannschaft. Ich würde am liebsten das Amt vorwarnen, aber ich befürchte das muss gar nicht sein. Das meiste der Fragen bekommen zu diesem Vorgang eh wieder wir gestellt. Ich muss vorsorglich arbeiten an diesem Tag. Leider nicht zu verschieben.
Bruno und ich hören: The Distillers „Coral Fang“ (Sire Records)