Ballett
Noch einmal schlafen, dann ist Tournee-Auftakt. Es ist eine Mini-Tournee. Aber verflixt nochmal, es ist eine Art Tour. Drei Stationen. Dreimal unterschiedliches Publikum. Meine Tochter geht nicht mehr zur Eurythmie. Sie geht jetzt ins Ballett. Und das auch schon etwas länger. Keine Zwergenäpfelchen und Zauberkiste mehr, dafür jetzt die robuste ost-europäische Schule. Jetzt kommen die ersten Gigs! Ihre Lehrerin Frau T. ist ein ganz alter Schlag aus Budapest. Hart im Geben, hart im Nehmen. Dazu immer noch mit einer etwas barschen Grandezza ausgestattet. Das Leben im Osten Europas war und ist wahrscheinlich nicht immer einfach. Hanni mag Frau T. sehr gerne. Wir mittlerweile auch!
Die Balletttruppe ist ein recht bunter Haufen. Ich weiß nicht so recht was Frau T. geritten hat mit dieser Art weiblicher „Die-Bären-sind-los“-Mannschaft ein Stück einzutrainieren. Aber sie ließ nicht locker. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Drei Shows innerhalb kürzester Zeit stehen auf der Agenda. Einmal beim Faschingsball der Gemeinde – Tourauftakt und die ganz große Bühne – einmal beim Seniorentreff und die dritte Veranstaltung ist eine Art „Coming Home“: Kinderfasching. Generationenübergreifendes Tanzen nennt man das dann wohl 2018. Die Senioren sind wohl das heikelste Publikum. Weil am schwierigsten zu knacken. Der Kinderfasching wird dagegen ein Heimspiel. Das steht die ganze Peer-Group vor der Rampe. Wie wenn Kettcar in Hamburg zum Abschluss der Tour spielen oder Gisbert Zu Knyphausen Wiesbaden besucht.
Meine Frau sagte vorletzte Woche unter vier Augen, die ganze Aufführung sei gegenwärtig noch ein einziges Trauerspiel. Ballettlehrerin Frau T. aus Budapest meint nur, das alles sei „sähr, sähr, schlächt“ und zu der Combo direkt „Ihr seid schlächt, sähr schlächt“. Selbst Bruno würde es – ihrer Auffassung nach – ja bereits schon viel besser können. Zur Erklärung: Bruno hebt auch manchmal das Bein, wenn er zuschaut. Oder geht in die Hocke. Oder dreht sich im Kreis. Mehr nicht. Das nutzt Frau T. dann aber sofort, um den Mädchen nochmal ordentlich Dampf zu machen. Die juckt das leider nur begrenzt habe ich den Eindruck. Die lachen und kichern und scheren sich einen feuchten Pups um synchrone Abläufe. Die Voraussetzungen könnten also nicht besser sein.
Frau T. ist auch sonst mit den Kindern streng. Sie drückt sie mit Vehemenz in den Spagat und hat eine sehr direkte und laute Ansprache. Meine Tochter fragte sie einmal, warum sie immer so viel schreie, woraufhin Frau T. sagte: „Damit ihr Kinder besser hört!“ Ach, ich liebe diese robuste und nur scheinbar überholte Pädagogik und Logik. Und meine Tochter für diese Frage! Und wie gesagt: Meine Tochter liebt im Gegenzug Frau T. So schließt sich eine Art Kreis. Der Clou kommt allerdings noch: Seit dieser Frage entschuldigte sich Frau T. fortan wiederholt bei Hanni, wenn sie lauter wurde. Verstehe einer mal wieder die Welt.
Als ich Frau T. das erste Mal sah, musste ich aus mir nicht erfindlichen Gründen an Oberst Klebb aus dem frühen James Bond Film „Liebesgrüße aus Moskau“ denken. Nur zur allgemeinen Orientierung. Frau T. hat aber deutlich mehr Charme. Einmal umarmte Hanni Frau T. mit voller Inbrunst, woraufhin Frau T. Hanni wie einen Sack Mehl am Bein hinter sich her zog. Für Liebe und Körperlichkeit ist in der harten Welt des Balletts nur ganz begrenzt Platz. Die Zuneigung und der Respekt meiner Tochter steigerten sich allerdings nach dieser Aktion nochmal ganz ordentlich. Kein schlechtes Wort und bitte schon mal gar keinen Spaß über die ganze Veranstaltung. Sonst gibt es eine Ladung Budapester Applaus! Ich glaube es gibt aber doch ein paar Dinge, die sind auch in einer modernen digitalen Welt immer noch ein No-Go. Die Ballettlehrerin zu umarmen beispielsweise. Vermute ich mal.
Ich habe von Ballett relativ wenig Schimmer. Allein deshalb überlasse ich dieses Gebiet fast komplettomento meiner Frau. Ab und an tauche ich dort allerdings auf. Was Frau T. zunächst meinem Empfinden nach etwas irritierte. Vielleicht war das aber auch nur Einbildung. Doch Brunos augenscheinliches Talent und meine Offenheit ihm auch diese Tür der möglichen Entwicklung nicht zu verwehren, brachte mich im Ranking relativ weit hoch. Alles für den Erfolg! Denn Jungs können wohl im Ballett eine gute Stange Geld verdienen. Die meisten brechen nur vorher die Karriereleiter ab. Die Welt ist eben immer noch ein Billy Elliott-Film. Mir ist das allerdings völlig gleich. Ach was, im Gegenteil. Ich fände das sogar sehr originell. Ich habe nur das dumpfe Gefühl, dass Bruno persönlich lieber den Kraft- oder Rennsport wählen wird. Von daher setze ich alles auf meine Tochter: Tanz Hanni, tanz! Bis die Senioren vor Rührung weinen und dem Praunheimer Faschingsprinz die Kappe vom Kopf rutscht. Frau T. hat für August bereits die nächsten Gigs angesetzt. Sie wird schon wissen, was sie macht.
Bruno und ich hören: Helmet „Meantime“ (Amphetamine Reptile Records/ Interscope)