© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#38 Playmobil
Plötzlich war die Frikadelle weg. Ausgerechnet. Auf den letzten Metern. Kurz vor dem Abschluss des Gesamtwerks. Gestern die Aufkleber für die Wohnzimmereinrichtung. Heute die Frikadelle. Herrgott! Seit Heiligabend verbringe ich nahezu jede freie Minute mit dem Aufbau von Playmobil. Ich lag in den letzten Handgriffen. Grill, Baum, die Außenbeleuchtung. Alles stand bereit und das Bier zur Eröffnung kalt. Das Christkind brachte zunächst ein großes Familienhaus aus der fränkischen Spielwarenfabrik, dazu kamen an den Folgetagen von allen Verwandten jeweils die fehlenden Zimmer. Natürlich auch im Auftrag des Christkinds. Ein schlauer Plan. Eigentlich. Nur war ich jetzt der Schlüssel zur Vollendung. Wo ist die Frikadelle?
Playmobil bestand meiner Erinnerung nach 1979 zwar aus mehreren Teilen, war aber in seinem Anspruch an den Zusammenbau sehr grob sortiert. Wer sich wie ein Nerd in komplexere Dinge reinfummeln wollte, bekam damals schon Lego oder Fischertechnik. Zumindest in meiner Kindheit und sofern ich meinem Hirn vertrauen kann. Jetzt ist die Frikadelle ungefähr so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers. Oder noch winziger. Und weite Teile der Außengrillanlage bewegen sich in noch minimaleren Dimensionen. Wenn hier aber etwas verschwindet, dann tut sich die Welt schwer, es wieder zu finden. Ich kenne das von meiner Kontaktlinse. Die Frikadelle muss noch zwischen die zwei Hälften des Burgerbrötchens und ein Plastiksalat wird auch noch dazu gepackt. Nur mal so: Nachdem ich all das zusammengebaut habe, traue ich mir durchaus auch die Durchführung einer OP am offenen Herzen zu. Ich habe in einer Art Intensivkurs alles dafür Notwendige trainiert. Geduld, Fingerspitzengefühl, Aufbaupläne lesen und kapieren. Ruhige Hand und so. Verstanden? Und außerdem: Arterien können nicht viel kleiner sein als die Mini-Wurst, die in den Plastikweck gesteckt werden muss. Hier ist an alles gedacht. Famos! Nur: Wo ist die verdammte Frikadelle?
Im Falle der Aufkleber habe ich noch Bruno in Verdacht, der schlich während des Aufbaus des Wohnzimmers um uns herum, wie Dackel Fritz um die Tüte Chips. Aber bei der Frikadelle schlummerte er wie ein Engel in seiner Mittagsruhe. Ich erhebe den Anspruch auf Vollständigkeit und auf detailgetreuen Nachbau. Meine Tochter auch. Sie hat diesen Drang eindeutig von mir geerbt. Sie hat ihn noch ausgeprägter. Leider. Hanni bekam als Adventskalender einen Bibi & Tina-Reiterhof. Jeder Tag hatte ein Element versteckt, mal die Bibi, dann die Tina, Eimer, Katze und so weiter und so fort und zum krönenden Abschluss am 24. noch den Gaul Sabrina. Da war was los. Jetzt stehen die Figuren so akkurat, dass jeder Diktator an so viel Ordnung seine Freude hätte. Ich wollte, es wäre im Rest des Zimmers genauso. Gespielt wird weniger damit, aber jeden Tag die Riege voller Genuss betrachtet. Doch wehe eine Figur fällt um. Ausrasting in feinster Form und galore! Die ganz große Bühne. „Aber Hanni, der Reiterhof soll doch auch Spaß machen“. Meine Tochter völlig unter Strom und gereizt brüllend „Er macht doch auch Spaß“. Alles eben eine Frage der Sichtweise. Niels Frevert, es stimmt: Das mit dem Glücklichsein ist relativ.
Jetzt fehlten die Aufkleber beim Videogerät – fast so schmal wie eine Wimper – und wir beide blickten schlecht gelaunt in die Räumlichkeit im Playmobil-Haus. Wir suchten drei Stunden das Wohnzimmer ab, dann riss mir der Geduldsfaden und ich rief direkt bei Playmobil an. Unter dem Jubelsturm der Anwesenden. King for a Day! Auch das war 1979 unvorstellbar: Einfach mal bei Playmobil direkt anrufen. Die Frau bei der Firma Geobra Brandstätter in Zirndorf war sehr freundlich. „Ach Herrje, das ist ja blöd und kein Problem. Bitte ihre Adresse, Herr Rußmann.“ Die Aufkleber kommen jetzt nochmal per Post. Hhhhm. Am Ende waren sie nie in der Packung. Ich weiß es, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr. Ich habe in den letzten Tagen einfach zu viel aufgebaut. Da verschwimmt Erinnerung und Realität. Vielleicht waren es auch die Aufkleber vom Schlafzimmer.
Dafür hab’ ich jetzt wenigstens noch eine Frage an die Schlaumeier in der Runde: Was hält so lange wie der Ruhm von gestern? Eben. Nix. Noch vor 24 Stunden für den Anruf gefeiert, wie Mario Götze nach dem 1:0 im Endspiel gegen Argentinien, ernte ich jetzt wüste Beschimpfungen, weil ich mich weigere wegen der Frikadelle nochmal in Mittelfranken durchzuklingeln. Die denken doch ich habe nicht alle Tassen im Schrank. Gestern Aufkleber, heute Frikadelle, weswegen ruft denn der Otto aus Frankfurt morgen an. Wegen eines rechten Schuhs? Glücklicherweise tauchte die Frikadelle wieder auf. Manchmal musst Du nur innerlich loslassen. Sie hatte sich in einen Teller verkeilt und war entsprechend nicht mehr zu sehen. Jetzt warten wir nur noch auf Post von Playmobil. Liebe Güte, wie wird das erst mit Lego. Am Ende muss ich noch dänisch lernen.
Bruno und ich hören: New Bomb Turks „!!Destroy-Oh-Boy!!“ (Crypt Records)