© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#35 Threats, Thrills und Verletzungen
Erst neulich rief mich ein Freund an und erzählte mir, er habe sich einigermaßen schwer verletzt. Es passierte beim Laternen-Basteln. Er musste lachen, ich musste lachen. Den Finger durchgestochen oder Teile davon abgeschnitten, ich weiß es gar nicht mehr genau. Vielleicht war es auch nur halb so wild. Dabei dämmert mir aber ganz hinten: Das sind die neuen Wunden, die wir postmodernen Väter uns jetzt zuziehen. Keine Faustkämpfe mehr in schummrigen Bierzelten oder beim Holzhacken den Zeh gespalten. Nein, wir schneiden uns beim Karton zurechtstutzen in die Hände, verbrennen uns bei der Zubereitung des Fläschchens oder holen uns einen Bandscheibenvorfall beim Kinder-Tragen. Haha. Hoho. Dumme Beispiele? Denkste mal, Kamerad Schnürschuh. Alle bereits um mich herum passiert. So. Und jetzt darf jeder gerne dazu dumm gucken! Nachdem ich das heiße Wasser in das Fläschchen füllen wollte und mir alles aus der Hand glitt, saß ich sogar schon wegen einer Verbrennung auf meiner Brust in der Notaufnahme im Frankfurter Nordwestkrankenhaus.
Ist das noch sexy? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Aber was ist daran das Schöne? Es ist mir völlig egal. Aber so richtig. Ich frage mich nur, warum wir Männer uns schneller einen Hüftschaden holen als so manche Mutter. Vielleicht muss sich unser Körper erst an die neue Belastung anpassen? Ein völlig neues Stadium der Evolution und so. Das sind die Rätsel des Alltags, die mich zum Nüsse knacken bringen. Zu Beginn meiner Elternzeit grübelte ich, ob es was mit mir und meinem männlichen Stolz und Ehrgefühl machen wird, wenn ich Bruno tagein tagaus wickeln muss, auf Kindergarten-Versammlungen abhänge oder mit Müttern frühs um zehn an der Supermarkt-Kasse anstehen muss. Einen schreienden Sohnemann Heinz am Hacken? Nix da. Alles gut. Im Gegenteil: Ich fühlte mich selten so zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Ganz ernsthaft. So manches Männergespräch kam mir sogar im Laufe der Zeit eher absurd vor und mich interessierte wirklich die Frage, ob Selbst-Einkochen vernünftiger ist als Gläschen einkaufen.
Aber zurück zum Thema Verletzungen und sexy Sein. Meine Freundin Simone aus Hamburg erzählte mir bereits vor Monaten, dass wiederum eine ihrer Freundinnen vehement in einer Runde betonte, wie sexy sie ihren Mann finde. Denn der putzt zuhause mit und übernimmt so allerlei Aufgaben. Das wäre mal eindeutig sexy! Aber sowas von. Na also. Da sind wir doch mitten im Geschehen 2017. Es braucht bei manchen vielleicht einfach nur noch Zeit. Aber irgendwann wird der Mann allerorten gefeiert, der sich seine Schrammen vom Laufrad-Lernen mit der Tochter zuzieht. Bis dahin bleibt der Haushalt die neue Ausweitung der Kampfzone. Ein Ort mit häufig noch nicht völlig eingeordneten Gefahren. Nahezu alle Brandwunden habe ich mir dort und nicht am Grill oder Lagerfeuer geholt.
Also nochmal das Ganze. Und jetzt gebündelt. Mit dem 800 Kilo schweren Lastenrad der Frau und dem Sohn im Kindersitz über schlammiges Parkgelände eiern und dabei noch eine halbwegs gute Figur machen? Riesige Bügelperlenbilder bügeln ohne sich dabei beim Abziehen alle Fingerkuppen zu verbrennen? Das sind nun unsere Threats. Beide Kinder noch vor Sonnenaufgang im Alleingang fertigmachen, in die Einrichtungen bringen und um 9 Uhr leicht angeschwitzt eine Veranstaltung moderieren? Sich am Hot Dog-Stand mit einer Horde Halbstarker anlegen, weil sie meine Tochter abdrängen? Das sind unsere Thrills. Die Finger beim hundertsten Reparieren von irgendeiner Plastikfigur mit Sekundenkleber verkleben und nicht mehr auseinander bekommen? Im Memory gegen die eigene Tochter 1:5 verlieren und dabei versuchen, noch Würde zu bewahren? Das sind unsere Verletzungen! Pete Townshend lag schon richtig, als er sagte „Das einzig Rebellische in der zerfallenen Gesellschaft ist es, eine Familie zu gründen. Nur dort findet einer zu sich selbst.“ Richtig so. Das ist mal eine vernünftige Sichtweise auf die Dinge. Das ist mein Job! Meine Mission! Oh. Ich muss aufhören. Hanni will Uno mit mir spielen.
Bruno und ich hören: Rival Schools „United by Fate“ (Island Records)