© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#34 Urlaub
Vor ein paar Wochen haben wir unseren ersten Urlaub für das nächste Jahr gebucht. Reiseziel Schwarzwald. Das haben wir vor zwölf Monaten schon einmal gemacht. Jetzt waren wir im Herbst auf Föhr. Auch mittlerweile Familien-Tradition. Wahnsinn! Das sind meine Hot-Spots als zweifacher Vater. Meine Freunde schicken mit derweil Bilder aus San Antonio, Texas. Andere Kollegen sitzen in Südafrika und essen Fleisch bis der Magen quietscht. Dafür sendete ich im Gegenzug im Januar ein Foto aus dem Eiscafé in Titisee. Bei minus zwölf Grad. Wohlgemerkt Minus! Oder wir kaufen Matjesbrötchen im Fischladen in Wyk. Das sind Reiseziele wie zu Großvaters Zeiten? Stimmt genau. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen.
Vor der Geburt meiner beiden Kinder war ich nicht unbedingt Hardy Krüger, aber wir waren regelmäßig unterwegs. Mit dem VW-Bus und mit dem Flugzeug. Wir schliefen am Strand von Kreta und wie Rock Hudson und Doris Day in Palm Springs in coolen Motels. Wir aßen Burger in Brooklyn und landeten versehentlich in einem Nudisten-Camp auf der Insel Pag. Jetzt achte ich auf die Ausstattung der Ferienwohnung und überlege, wieviel Reisezeit ich vor allem mir antun kann. Das war mal anders geplant. Aber erstens kommt es nicht immer so und zweitens steckt jeder in der eigenen Haut.
Manchmal überlege ich und denke, es könnte auch Alternativen geben. Dann schauen wir nach Flügen und Ferienhäusern auf entfernten Inseln. Gleich drauf lege ich jedoch die Stirn zum ersten Mal in Falten und kurze Zeit später lassen wir es besser sein. Vor dem geistigen Auge sehe ich mich packen und mit einem Anhänger voller Dies und Das am Flughafen stehen. Da wird mir schon übel. Der ganze Krempel wird ja auch eingecheckt. Übergepäck muss bezahlt werden und das alles wahrscheinlich um 5 Uhr in der Nacht, denn da geht der einzig halbwegs rentable Flug. Die nächste Vorstellung ist mit Bruno im Flugzeug, der sich wütend aus seinem Kindersitz stemmt. Oder aus heiterem Himmel Durchfall bekommt. Da trinke ich schnell den Schnaps des Tages. Der finale Alptraum ist, dass ich mich an der Ankunftshalle und am Gepäckband stehend sehe und die Hälfte der Dinge fehlt. Oder das Kind wird krank und ich stehe in einem Land, dessen Sprache ich nur vom Hörensagen kenne. Ich stand einmal mit Hanni vor der Tür eines Arztes auf einem italienischen Campingplatz. Schnell entschied ich mich, die Behandlung besser auf eigene Verantwortung fortzusetzen. Während ich so denke und denke, wechsle ich ganz schnell die Seite, gehe auf Ferienwohnungen.de und gebe rucki-zucki „Wyk auf Föhr“ ein.
Ich habe keine Terrorangst. Im Gegenteil. Macheten lauern überall. Selbst im Zug nach Würzburg. Da soll die Provinz mal nicht alles auf die Großstadt schieben. Integration gelingt und misslingt überall. Aber manchmal finde ich sogar den Freitagsabend-Einkauf im Rewe-Center mit beiden Kindern im Gepäck schon sehr anstrengend. Wie soll es mir dann erst in der Ankunftshalle von Gran Canaria gehen? Genau. „Urlaub ist Alltag unter erschwerten Bedingungen“. Ein sehr schlauer Satz. Leider nicht von mir. Das meinte irgendwann einmal unser Nachbar. Der ist Vater von Zwillingen, sehr nett, war auch mal reiselustig und ich bin sehr froh, nicht allein auf weitem Gelände zu stehen. Ich brauche mit Kindern eindimensionale Anreise, eine halbwegs gute Verständigungsgrundlage und eine gewisse Sicherheit, was mich tatsächlich erwartet.
Deshalb bin ich neuerdings auf ganz anderem Terrain zuhause. Strandkorb im Herbst und Rodeln am Feldberg. Völlig neue Herausforderungen. Und ein Höhepunkt jagt den nächsten. Was ich mir gestern nie vorstellen konnte, ist morgen Realität. Also stehe ich vormittags im Nieselregen mit einem stinkenden Pony an meiner Seite auf einem Bauernhof in Wyk. Ponyreiten. Aber von der feinen Sorte. Ich dachte, wir geben Hanni in fürsorgende Hände ab, doch stattdessen drückte mir Bauersmann Hinak gleich das Seil mitsamt Pony Max am anderen Ende in die Hand. Dankeschön. Dann marschierte ich dem stoisch schweigenden Knecht hinterher. Der hatte ein sehr finster-kantiges Gesicht, zeigte keinerlei Regung und hätte uns der Weg nicht nur über schlammiges Geläuf, sondern direkt zu einer Mutantenfamilie geführt, die uns sofort in Gefangenschaft genommen hätte, keiner hätte sich wundern dürfen. The Acker Has Eyes. Oder so ähnlich. Die Gesamtszenerie hatte mächtig Potenzial. So maulte Hanni nur. Max sei sehr langsam und überhaupt, das Pony im Opel-Zoo sei deutlich schneller unterwegs gewesen. Und gewackelt hätte es auch nicht so stark. Ich versuchte derweil nur den Gaul auf Distanz zu halten. Meine Sorge: Entweder er beißt er mir gleich die Hand ab oder er stirbt mir direkt unter den Fingern weg. Max pumpte wie ein Stier und niemand außer Hanni und ich sprach ein Wort. Klingt gut? Ja. Das war es. Zumindest am Ende für Hanni. Nach 20 Minuten war sie doch glücklich, eine Art „Bibi und Tina“-Moment, und ich war froh lebend das Gelände verlassen zu können. Meine Freunde fliegen zwischenzeitlich mit dem Helikopter über Kapstadt. Obwohl. Dafür müsste ich zudem die Ohrstecker meiner Großmutter verkaufen …
Die Freunde sagen mir auch, ich dürfte dieses Urlaubsthema nicht so eng sehen. Das sei alles gar nicht so schwer mit Kindern. Augen zu, durch und rein ins Abenteuer. Ich will es ihnen glauben, aber ich bring es nicht übers Herz. Ich beneide niemanden, der unentwegt mit seinen Kindern in nutzlosen Restaurants abhängt, mit ihnen frühstücken geht oder ein Kulturprogramm durchzieht, dass sie eh nicht kapieren. Aber ich ziehe meinen Hut vor den Reiselustigen. Wie sie das machen, ohne sich während der Anreise zu trennen, zu töten oder ohne zumindest eines ihrer Kinder auf einem Busbahnhof zurückzulassen. Meinen ganz großen Respekt. Wirklich. Bald traue ich mich auch. Ich nehme es mir fest vor. Versprochen. Nächsten Sommer buche ich aber zur Sicherheit nochmal eine Ferienwohnung in Bayern!
Bruno und ich hören: Touché Amoré „Parting the Sea Between Brightness and Me“ (Deathwish)