© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#29 Essen gehen
Gestern fragten uns Freunde, ob wir Lust hätten, spontan mit ihnen essen zu gehen. Mit Kindern wohlgemerkt. Ich hätte durchaus Lust, mit ihnen spontan essen zu gehen. Ohne Kinder allerdings. Auch wohlgemerkt! Es gibt wenige Dinge, die meine Frau und ich als unnötiger empfinden, als in dieser Lebensphase unseres Sohnes mit Kindern essen zu gehen. Und spontan schon mal gar nicht. Es ist überflüssig. Ich finde sogar, es ist eine Strafe mit Kindern unter – ich sag mal – zweieinhalb Jahren, essen zu gehen. Für alle. Für die Eltern. Sogar ein wenig für die Kinder, weil sie ständig zurückgepfiffen werden. Und unter anderem für alle, die mit den Familien im Lokal sitzen müssen. Wir sind nicht in Italien! Und das meine ich nicht negativ. Im Gegenteil. In Italien herrscht immer Jubel, Trubel, Heiterkeit. Alle Familien rein in die Stube und alle Mann ran an die Nudeln. Da ziehe ich vor so viel Lebensfreude den Hut! Aber wir sind hier in Deutschland und da schwingen andere Vibrationen. Kann ich auch nix für!
Grundsätzlich gehe ich sehr gerne essen. Ich sehe allerdings keinerlei Mehrwert im Essen gehen mit Kindern. Ich glaube niemand kann einen Mehrwert im Essen gehen mit Kindern sehen. Die meisten, die permanent mit Kindern essen gehen, tun nur so als ob, weil sie immer so tun, als habe sich das Leben trotz Kinder nicht geändert. Alles easy und so. Erinnert sich jemand? Ich wiederhole: Doch – das Leben hat sich geändert. Am Rande: Selbst den Italienern ist das in Deutschland zu viel. Ich erinnere mich noch gut, da waren wir mit zwei weiteren Familien und insgesamt fünf Kindern in einer herkömmlichen Pizzeria. Am Anfang war die Stimmung tippi toppi und der Italiener lachte noch viel. Er wurde schmallippiger, als unsere Kinder wiederholt als Raupe hintereinander kriechend seinen Laufweg kreuzten. Und spätestens als die Fünf-Kinder-Raupe in die Küche einschrägte, verlor auch er sein Kinderlachen. Vielleicht ist es einfach die Luft in Deutschland!
Wenn ich schon einmal dabei bin, schildere ich gerne nochmal ausführlicher wie Essen gehen mit Kindern so aussieht. Wir kommen an. Wie immer viel später, als ursprünglich geplant, weil Bruno nochmal sein Geschäft gemacht hat oder Hanni partout in kurzer Jeans aus dem Haus will oder einer von uns beiden in der ganzen Aufbruchshektik den Geldbeutel hat liegen lassen. Früher war ich immer pünktlich. Nur mal so. Bruno geht dafür schon kurz hinter dem Eingang richtig steil, weil Bruno immer Hunger hat. Er will gleich ran ans erstbeste Brot, das der Kellner an irgendeinen Tisch trägt. Kaum ist diese Klippe umschifft, wartet schon die nächste Monsteraufgabe. Dann will er nämlich nicht in den Kindersitz. Oder er will kurz rein, aber dann sofort wieder raus. Denn es beginnt für ihn gleich die Hölle auf Erden. Erst wird in die Karte geschaut, dann wird bestellt, dann muss erst gekocht werden. Für Bruno fühlt sich dieser Prozess so lange an, als müsste unsereins drei Tage auf das Essen warten. Also raus aus dem Kindersitz. Fortan agieren wir dann in zwei Teams. Einer von uns betreut Bruno, der andere bleibt bei Hanni. Die macht das nämlich im Normalfall wirklich schon sehr gut. Merke: Ab vier Jahren gehe ich auch wieder mit fast vergessener Freude Essen. Meine Frau und ich sprechen jetzt nur noch das Nötigste, denn einer von uns ist ja mit Bruno im Lokal unterwegs.
Ahhh, das Essen kommt. Endlich. Jetzt macht Bruno in Windeseile Riesensauerei. Er will seit kurzem nur noch alleine essen. Rabbatz am Tisch, wir bekommen Angst vor einem Platzverweis, also kümmert sich einer von uns beiden exklusiv nur noch um ihn. Das Essen von diesem Elternteil wird natürlich kalt. Bruno ist irgendwann satt und will sofort wieder raus aus dem Sitz. Dafür hat wenigstens der andere Elternteil gegessen. Bevor Herr Sohn endgültig durchdreht, wieder einmal quer durch den Saloon. Ach ja, wenn da gerade der Kellner steht, bitte die Rechnung. Vielen Dank. Ja, ja, war alles gut! Espresso? Besser nicht. Kinder müssen ja auch so langsam ins Bett. Schnell noch austrinken, na das hat sich wieder einmal gelohnt. Das ist jetzt eine sehr verkürzte Fassung. Denn dazwischen passieren nämlich noch etliche andere Dinge. Hanni muss pinkeln. Oder auch gerne „kackern“. Das muss sie gerne vor allem in den unpassenden Momenten. Dankeschön auch dafür! Schon gut, ich gehe ja mit. Einer der beiden haut ein Getränk um oder das Essen schmeckt nicht. Oder ich muss es essen und selbstlos muss ich mein Gericht der Wahl weitergeben. Kenn ich auch zur Genüge. Einmal die große Rotation am Tisch und am Ende bleibt auf meinem Platz genau das übrig, das ich am wenigsten bestellt hätte. Auch nicht unwahrscheinlich: Bruno knallt nochmal ordentlich auf die Barnatzel oder beschließt, dass er unbedingt die Tischdekoration neu gestalten will. Auf dem Boden.
Meine Eltern unternahmen mit mir einst den – völlig hirnrissigen – Versuch in einem Sterne-Lokal essen zu gehen. Es war vor fast 40 Jahren, aber mein Vater erzählt noch heute gerne die Geschichte, dass ich dort das gesamte Lokal zusammengeschrien habe. Nur weil ich den letzten Rest aus der Karaffe Wein ausschenken wollte. Der Kellner das aber nicht erkannte, nicht wollte oder vielleicht Sorge hatte, sie bekämen dann einen Stern aberkannt. Dafür hatten dann wenigstens alle Anwesenden mein Schreien als Geschenk des Tages. Und von diesen Schoten gibt es mehrere. Das war jetzt nur eine. Das war vor 40 Jahren nicht schön und ist es heute auch noch nicht. Nein, nein, nicht mit mir. Und auch nicht mit meiner Frau. Die Freunde haben wir abgewimmelt. Ich glaube aber, sie verstehen uns nicht.
Bruno und ich hören: Matula „Auf allen Festen“ (Zeitstrafe), dazu tanzt Hanni ein improvisiertes Ballettprogramm.