© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#27 Kaputt
Meine Frau war am Telefon sehr entnervt. Ich konnte es gut nachvollziehen. „Jetzt hat er auch noch den Spargeltopf kaputt bekommen!“ Der Spargeltopf war eines der wenigen Dinge, die wir von der Vorbesitzerin unseres Hauses übernommen hatten. Er hatte bereits eine ehrliche Stange Zeit auf dem Buckel. Der Spargeltopf. Die Vorbesitzerin aber auch. Die war obendrein dazu noch eine sehr alte Nazi-Braut. Das wussten wir allerdings zunächst nicht. Erst als wir im Keller eine übergroße Deutschlandkarte entdeckten, bimmelte es bei uns in der Birne. Die zeigte das Land in seinen Grenzen. Aber denen des Dritten Reichs. Na da schau an. „In diesem Sinne eine ewig Gestrige“, meinte dazu nur unser neuer Nachbar. Wir distanzierten uns entsprechend von vielen Dingen, aber so ein Spargeltopf. Lieber Himmel. Wir hätten uns nie einen gekauft, aber für lau. Sehr gerne. Dazu in authentischem Braun und in echter Qualität. Jetzt hatte Bruno den Deckel demontiert. Wir konnten uns partout nicht erklären, wie er das wieder hinbekommen hat.
Unsere Tochter ging mit allen Dingen, die wir ihr an die Hand gaben, sehr sorgsam und pflegend um. Sie mag jetzt manchmal ein übellauniger Starrkopf sein, aber sie feuerte nie ihr Spielzeug durch die Räume, haute mit Schlüsseln keine Macken in die Möbel und räumte auch nicht die ganze Küche aus. Bruno zieht mittlerweile eine Schneise der Verwüstung durch unser Haus. Er bekommt über kurz oder lang alles kurz und klein. Er übernahm von seiner Schwester eine stattliche Anzahl von geschlechtsneutralen Jogginghosen, unisex und so. Keine Sorge! Hanni trug die Hosen zum Teil über zwei Jahre. Tip top, eine Art Neuware. Bruno juckelte in alle von ihnen Löcher. Teilweise innerhalb von zwei Wochen. Damit ging letztlich alles los. Er krabbelte sie alle komplett durch. Kein Material hält ihm bis heute stand, auch wenn er mittlerweile läuft. Er bekommt eine Holzente in die Hand, zwei Tage später ist der Schwanz gespalten. Milchaufschäumer aus Glas, seit 14 Jahren mit guten Diensten, Bruno zerschmettert ihn bei seinen täglichen Räumaktionen. Müslischale der Patentante, einmal gezielt gespalten, weg damit.
Die meisten Gegenstände teilen eine Gemeinsamkeit: Sie haben bereits ein bis zwei Generationen überdauert. Vielen Kindern und Erwachsenen haben sie bis dahin große Freude bereitet. Bis Bruno kam. Erst heute meinte ein Freund, was wir denn erwarten würden, wenn wir unser Kind Bruno nennen. Es wäre völlig klar, dass das auf einen Krawallmacher hinausläuft. Vielleicht wäre er ja wirklich ein ganz anderer, hätten wir ihn Justus, Dominik oder Pascal getauft.
Manche Dinge kann ich noch kleben, bei vielen ist Hopfen und Malz verloren. Er zerfetzt manchmal in Windeseile. Zielgerichtete Zerstörung! Kürzlich pflügte er so konsequent durch seine Spielsachen, dass ich unweigerlich an eine Armee aus der Verfilmung "Herr der Ringe" denken musste. Irgendwann haben die Orks so eine Art noch größere Orks dabei und diese Monsterorks schnappen sich alles, was ihnen in die Quere kommt, am Schlafittchen und feuern es wahllos durch die Luft. Wie der unglaubliche Hulk, aber nur, wenn er richtig sauer wird. So macht es Bruno. Ich sehe schon den ersten Bagger im Fernseher stecken. Ach was, eigentlich warte ich nur darauf. Heute bekam Hanni ein Styroporflugzeug von einem ihrer Freunde geschenkt. Er hielt keine Stunde. Styropor ist für Bruno eine reine Lachnummer. Flügel und Heck gebrochen. In zwei Sekunden. Ich zog ihn noch weg, da war die Maschine aber bereits im Eimer. Und Hanni auf 180. Ich konnte ihrer Wut und Rage nur reinstes Verständnis entgegenbringen. Wir sitzen mittlerweile alle hier im selben Boot. Bringt alle eure euch wichtigen Sachen in nicht erreichbare Höhen. Unsere Familien-Parole! Meine Schallplatten stecken mittlerweile so eng, dass selbst ich sie nicht mehr aus dem Regal ziehen kann. Und darauf vertraue ich auch nicht wirklich.
Ich hoffe sehr, dass wir das alles in vernünftige Kanäle lenken können. So viel Energie kann ja auch Gutes bewirken. Ich sagte es ja bereits an anderer Stelle. Olympiagold im Gewichtheben oder Boxkämpfe in Las Vegas. Ich sehe mich allerdings schon bei diversen Elternabenden, weil er den ein oder anderen am Wickel hat. Seit dieser Woche läuft die Eingewöhnung in der Krabbelstube. Ich baue an allen Stellen vor, mache ein freundliches Gesicht und halte die Luft an. Bruno ist ein fröhlicher Knabe, dazu durchaus ein hübscher Kerl, nur hat er die ganze Kraft, die in ihm wohnt, in keinster Weise unter Kontrolle.
Bruno und ich hören: Frau Potz „lehnt dankend ab“ (Delikatess Records)