© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#21 Vatertag 2.0
Vorletzte Woche war Vatertag. Früher sah mein Vatertag so aus: Wir waren drei Freunde und trafen uns abwechselnd bei einem von uns am späten Vormittag, wir hörten den ganzen Tag Punkrock- und Gitarrenplatten und tranken ausschließlich Apfelwein. Natürlich nur eine ganz erlesene Auswahl. Ungefähr zwölf Stunden lang redeten wir viel schlaues wie dummes Zeug und der Tag endete wahlweise alle drei schlafend in irgendwelchen Wohnzimmern, in besonders abgerissenen Eckkneipen oder bei völlig abstrusen Goldenen Zitronen-Dokus. Mal so, mal so. Manchmal auch alles drei zusammen und hintereinander. Dann wurde ich wirklich Vater. Nach der Geburt meiner Tochter schafften wir es noch zweimal, seit Bruno auf der Welt ist noch gar nicht.
Jetzt gestaltete sich mein Tag wie folgt: Ich bekam von meiner Tochter zum Frühstück ein Bild und eine Papiermedaille mit der Aufschrift „Ales Libe zum Fatertak“, die ich ab sofort tragen musste. Selbstverständlich. Danach zeigte meine Tochter eine knapp dreiminütige selbstausgedachte Ballettperformance, irgendwo zwischen Contemporary und Klassik. Verbunden mit der Ansage „Nicht lachen und nicht klatschen. Sonst höre ich sofort auf!“. Der Tanz stand entsprechend mehrere Male auf der Kippe. Dann ging ich mit Bruno im Laufwagen joggen, woraufhin ich von Hanni nach meiner Rückkehr beschimpft wurde. „Ich finde das richtig blöd, dass Du am Vatertag nur etwas mit Bruno machst.“ Da war es noch nicht mal elf Uhr in der Früh. Ich versuchte ihr zu erklären, was andere Väter an diesem Tag machen. Taube Ohren waren die einzige Reaktion. Danach richtete ich das Fahrrad meiner Frau und traf mich kurz mit einer alten Freundin an der nahegelegenen Bude. Dort trank ich schnell einen Sauergespritzten, ohne zu ahnen, dass dies für heute mein einziger blieb. Meine Frau bekam am Nachmittag Besuch von einer Freundin mit ihren beiden Kindern und ich hatte kurz Zeit, mein neues Mobiltelefon einzurichten. Das funktionierte zunächst nicht und ich war schlecht gelaunt. Dann bekam ich Bruno an die Seite und die Damen verschwanden geschlossen in die nächste Eisdiele. Kurzzeitig überlegte ich, wo ich falsch abgebogen bin, denn auch der Rest des Tages bot wenig Spektakuläres.
Ich habe nach der Geburt meiner Tochter relativ schnell beschlossen, dass ich so weit als nur möglich irgendwelche David-Hasselhoff-Situationen umgehen will. Keines meiner Kinder soll und muss mich sehr angetrunken erleben. Egal ob mit oder ohne Burger in der Hand. Ein leichter Glimmer ist ok, mehr braucht es allerdings nicht fürs Familienglück. Das ist für alle Beteiligten besser. Ich war einmal als Kind mit meinen Eltern und einer Reisegruppe im Skistützpunkt Meran 2000. Dort – völlig abgeschieden von der Außenwelt – müllerten sich die geschätzt 40 Erwachsenen an einem Abend völlig und ohne Rücksicht auf Verluste auf allerübelste Weise weg. Es war purer Exzess, für mich Zustände wie im alten Rom und wir Kinder standen etwas verloren dazwischen. In den späten 70ern und frühen 80ern war das zwar politisch noch völlig korrekt, eine Offenbarung war es für den Nachwuchs allerdings nicht. Entsprechend nachhaltig hat mich das geprägt. Deshalb bewahre ich Disziplin vor Hanni und Bruno. Das ist meine felsenfeste Position.
Und dennoch, je weiter der Vatertag voranschritt, wurde mir einmal mehr bewusst, wie schmal ab und an der Grat ist. Zwischen fürsorgender und moderner Vater und Depp vom Dienst. Ich bin ein großer Freund der geteilten Verantwortung und begrüße alle Männer, die das ähnlich sehen und tun. Herein mit Euch, wer will einen Espresso aufs Haus? Ein jeder darf tun und lassen was er will und doch muss nicht jeder die Rolle der Väter aus den 80ern weiterleben und nacherzählen. Ist doch auch fad und langweilig und euer Nachwuchs weiß das einmal zu schätzen. Meine große Überzeugung. Aber ganz so spärlich muss der Vatertag ja auch wieder nicht ausfallen. Ich wollte keinen Bollerwagen, aber gepflegt New Bomb Turks hören mit zwei guten Typen an meiner Seite wäre durchaus eine Ergänzung gewesen. In regelmäßigen Abständen die Familie auch Familie sein lassen und sich auf ganz andere Dinge konzentrieren. Die Freude beim Wiedersehen ist umso größer und das Wickeln geht plötzlich wieder ganz leicht von der Hand. Ich schwöre, Brudi! Und bevor wieder die empörten Hosentaschen-Gender-Forscher auf den Plan treten, hier nochmal ganz laut, dazu schreib’ ich es dick mit Edding an die Wände: Das ist kein Exklusiv-Recht für Väter, das empfehle ich allen Elternteilen und aus Erfahrung besonders den Müttern. Traut Euren Partnern was zu, nehmt sie in die Pflicht, lasst die Rackepeter zuhause und verschwindet für ein bis zwei Tage oder Nächte. Das ist wichtig für alles.
Zwei Tage später wurde ich um fünf Uhr in der Früh von vier Männern in einem Sprinter abgeholt. Wir fuhren in knapp fünfeinhalb Stunden nach Berlin und jeder von uns hatte eine Karte für das DFB-Pokalfinale in der Tasche. Noch bevor die Turmuhr neun Uhr am Morgen schlug, hatte ich bereits einen Liter gespritzten Apfelwein getrunken und freute mich so sehr auf die nächsten 36 Stunden wie Nachbars Lumpi auf den Frühstücksspeck. Ich wusste es ja schon vorher: Manchmal muss ein Vater tun, was ein Vater tun muss.
Bruno und ich hören: Bad Religion „No Control“ und weil es so schön schnell und gut ist, gleich noch „Against The Grain“ (beide Epitaph)