© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#19 Fremde Kinder
Ich mag Kinder. Ich mag auch fremde Kinder. Ich mag leider nur selten fremde Kinder in unserem Haus! Ich kann es drehen wie ich will, sie machen mich nervös. Sie kennen unsere Regeln nicht, ich kann sie nicht ins Lot stellen wie meine eigene Brut, sie sauen mir die Bude ein und essen entweder alles, was sich in unseren Vorratskammern befindet oder gar nichts, was wir zuvor mühevoll zubereitet haben. Meine Tochter ist jetzt viereinhalb und sie hat eine Reihe von unterschiedlichen Freunden. Das freut mich für sie. Alleine ist ja auch langweilig und schlecht fürs Karma. Am liebsten wäre mir aber, die ganze Bagage käme nur im Sommer. Und pinkelt wegen mir in die Nidda. Ich weiß, ich werde ungerecht. Sie hat Freundinnen, die nicht mit fettigen Händen vom Tisch aufstehen, die mit ihr das Zimmer aufräumen, nachdem sie alle Regale leergefegt haben, die nicht die Toilette wie ein Trunkenbold im Fußballstadion verlassen. Das sind die – sagen wir mal – Almas dieser Welt. Die drücken nicht gleich nach Ankunft einen Dicken in unsere Schüssel, dass ich verzweifelt im Supermarkt eine Brise Pyramide suche, schießen keine Blumentöpfe vom Sideboard und kommen auch nicht alle fünf Minuten zu mir und erzählen mir irgendwelchen Nonsens oder fragen ob sie kneten dürfen. Kneten ohne Aufsicht ist eine der schlimmsten Beschäftigungsformen für Kinder.
Mein Großvater war ein sehr ordnungsliebender Mann. Seit ich eine Tochter im besuchsfähigen Alter habe, bricht der Großvater in mir durch. Ich kann es nicht ändern. „Hände waschen“, „Bleibt doch einfach im Garten“, „Schuhe aus“. Es schlummerte wahrscheinlich schon immer in mir. War mein Opa auf einer Veranstaltung und hatte plötzlich einen Fettfleck auf dem Revers, ging er sofort an die handgemachte Reinigung. Und machte alles nur noch schlimmer. Genauso handele ich. Vielleicht ist es ein wenig wie bei Boris Vian und seinem Roman „Tote haben alle dieselbe Haut“. Nur in anderem Kontext. Es helfen die ganzen Punkrockplatten im Regal nichts, laufen fremde Kinder unsere Treppe hoch und sie halten sich nicht am Geländer sondern an der Wand fest, dann bin ich kurz davor, ihnen Hausverbot zu erteilen oder sie allesamt in den Keller zu sperren. Allein die Punkrockplatten halten mich davon ab.
Vor ein paar Tagen kam ich von einem meiner ersten Arbeitseinsätze nach Hause und alle Nachbarschaftskinder waren zu Besuch bei uns. Das war für mich so fürchterlich, als hätte ich das Wohnzimmer-Konzert von Pascow gewonnen. Das war kürzlich mein schlimmster Albtraum. In einer der vor geraumer Zeit angebotenen Pascow-Boxen war neben der EP, dem Fotoband und sonstigem Schnickes auch noch ein Blind-Date mit der Band versteckt. Eine einzige – in 99% Prozent der Fälle dann überglückliche – Person bekam Besuch von Pascow, die dann in ihrem Wohnzimmer ein Konzert gaben. Ich hätte mich über einen Besuch der Musiker sehr gefreut, ihnen auch was gekocht, aber keinen sonst mehr ins Haus gelassen. Daraufhin hätten mir alle Punker wahrscheinlich den Garten verwüstet, mich mit Bier und Schnaps vollgegossen und ihr besetztes Haus in die Au verschleppt. Ich weiß: Es klingt fürchterlich spießig und es ist genau das. Mir ist das sehr bewusst. Aber was will ich denn tun? Ich habe dieses Haus mit sehr viel Schweiß und Kraft saniert, mit viel Unterstützung von Handwerkern, aber ich war immer und überall dabei. Jetzt kommen Vierjährige mit Butterfingern und schmieren mir mal eben auf Sichthöhe alle Wände voll. Diese Wände habe ich bis auf den Grund eigenhändig abgespachtelt und dann dem nettesten Tüncher der Welt, Markus Schuhmann, einen Haufen Geld fürs Tapezieren und Streichen in die Tasche gedrückt.
Ich mache gute Miene zu verdrecktem Spiel. Manchmal pfeife ich etwas unglücklich und etwas zu vehement alle Höllenhunde zurück. Dann pfeift mich meine Frau zurück. Wie ich finde auch etwas zu vehement. Ich bewundere ein wenig Eltern, denen das alles scheinbar völlig egal ist, die alle Kinder immer und jederzeit durch ihr Haus wüten lassen. Aber ich bin nicht wie sie und deshalb bewundere ich sie auch nur ein wenig. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Keiner schickt seinen Sohnemann mit bösen Absichten in unsere Hütte. Im Gegenteil. Fast alle Eltern um uns herum machen, wie ich finde, einen guten Job. Manchmal einen anderen als wir, aber bitteschön. Ich sage nur „Eins, Zwei und die letzte Zahl heißt Drei“ (siehe auch #14). Wer werfe hier den ersten Stein? Eben. Es liegt in meiner Person begründet. Aber jedes Mal einen Bollermann dampfen, bevor ein U5-Kommando Einzug hält, halte ich auch nicht für eine gute Alternative. Ich arbeite an mir. Ein wenig. Und meine Bitte an alle, die mich kennen. Lasst euch nicht abbringen, schickt eure Kinder. Im Kern bin ich sehr fröhlich im Umgang mit ihnen, mache viele Gags und der Sommer steht ja auch vor der Tür. Vielleicht fahre ich den ein oder anderen auch einmal an. Es ist nicht böse gemeint. Aber bitte, hier fällt mir die unvergessliche und wunderbare Charlotte – die Tochter eines Freundes und eine der Almas dieser Welt – ein, als sie mit wunderbar leicht bayrischem Akzent bei uns auf dem Gäste-WC sanft säuselte: „Nach der Toilette Hände waschen …“. Genau, Charlotte, sonst kann uns mal jemand kennenlernen.
Ergänzung: Während ich diesen Beitrag schreibe, sitzt Campino bei Markus Lanz. Plötzlich finde ich mein persönliches Thema mit den fremden Kindern gar nicht mehr so schlimm. Es geht immer übler. Vor allem an Tagen wie diesen!
Bruno und ich hören: ClickClickDecker „Ich glaub Dir gar nichts und irgendwie doch alles“ (Audiolith)