© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#17 Post aus Rosenheim
Warum sind denn manche Menschen so ungehobelt und das auch noch in der Krabbelstuben-Garderobe? Liegt es am Ende an Frankfurt? Überlegte ich bei mir. Hier gibt es viele wunderbare Frankfurter, jedoch auch viele reiche Menschen und unzählige Investment- und was weiß ich für Banker. Möglicherweise macht das ja so manchen linksalternativdenkenden Menschen besonders missmutig. So dass er oder sie gar nicht anders kann, als bereits in der Früh ein extra miesepetriges Gesicht zu machen. Dann telefonierte ich mit meinem alten Weggefährten Hagen Dessau. Der lebt im tiefen Bayern. Wo die Welt bekanntlich ja noch in Ordnung, das Bier besser und die Luft noch sauber und rein ist. Da grüßt sich bestimmt ein jeder mit rosigen Backen und frohem Lachen. Der sagte mir allerdings gleich „Mein Freund, das ist hier doch ganz genauso. Ach, fast noch schlimmer.“ Lieber Hagen, bitte, das brauch ich schwarz auf weiß. Sonst glaubt das ja wieder keiner. Kurze Zeit später bekam ich Post aus Rosenheim.
Bitte – Danke – Mehr davon
Mit großem Interesse lese ich Ralphs wöchentliche Kolumnen. Unsere Töchter haben beinahe dasselbe Alter, seine Erfahrungen sind meine Erfahrungen; seine Ängste sind meine Ängste und wurden zum Teil in langen Telefonaten nicht immer erschöpfend aber oft bis zur Erschöpfung diskutiert.
So sprachen wir jüngst über das Phänomen, dass Kindergarteneltern sich gegenseitig eher nicht grüßen, nicht Danke sagen – Bitte schon mal gar nicht. Nicht nur, dass Ralph und ich ähnliche Erfahrungen in der Erziehung unserer Töchter machen, nein, ich bin quasi auch ein Kollege seiner Frau – allerdings an einer höheren Lehranstalt im Bayerischen. Immer häufiger klopfen Schülerinnen und Schüler an der Tür zum Lehrerzimmer und melden sich mit „Herr Müller!“ – tatsächlich mit Ausrufezeichen. Kein Hinweis auf eine Bitte oder Frage. Meine Option, ich würde die Türe noch mal schließen und der Schüler könne sich in der Zeit bis zum erneuten Klopfen überlegen, was gerade falsch gelaufen sei, quittieren immer mehr Schüler damit, zu gehen …
Niemand muss mir um den Hals fallen, Schüler haben das Recht, mich nicht zu mögen. Und trotzdem ist es dem sozialen Klima ausgesprochen zuträglich, wenn man sich in die Augen sieht und – grüßt. So fragte ich mich eine lange Zeit, warum es mittlerweile so schwer fällt, sich gegenseitig zu grüßen, Danke und Bitte zu sagen. Doch seit meine Tochter in den Kindergarten gekommen ist und ich sie regelmäßig dorthin bringe oder abhole, habe ich keine Fragen mehr. Man trifft sich auf der Treppe, wartet gemeinsam auf das Jackeanziehen der Kinder, hält die Tür auf – Jedwede Art freundlich neutraler Zuneigung – Fehlanzeige.
Interessanter Weise kommt diese Art der Sozialverweigerung aus einer Ecke, mit der man nicht rechnet. Ausgerechnet der Lifestyle-Bartträger, dessen hellbraune Cordhose auf Halbacht hängt, auf dass man die karierte Boxershorts sehen kann – ein Outfit, das übrigens Ende der 90er von Ralph mit angemessener Würde ins hessische Großstadtbild getragen wurde. Diese Bartträger also, die ihre Kinder (und sich selbst) vor dem Unbill der Welt beschützen wollen (was ihr gutes Recht ist) und für die das Schulamt Hamburg Gewinner bei sportiven Schulturnieren abgeschafft hat, damit sich kein Kind gedemütigt fühlt, sind nicht in der Lage, die kleinstmögliche Rücksicht auf andere zu nehmen. Die im Establishment angekommene späte Mama mit Krawattenschal und Bleistiftrock hingegen strahlt mich auf dem Weg zur Vorstandssitzung eines DAX-Unternehmens mit breitem Lächeln an und fragt ehrlich interessiert (hüstel), wie das werte Befinden denn sei. Natürlich falle ich darauf nicht rein und erzähle ihr ausgiebig, dass ich Rücken habe und meine Tochter mich zur Weißglut bringt. Trotzdem grüße ich genauso strahlend zurück. Meine Tochter übrigens auch. Es geht also, denke ich, als der Bartträger mir die Tür vom Kindergarten vor der Nase zuschlägt. Man kann in sein Maurerdekolleté sehen. Ich sage nichts. Das hat er nun davon.
Bruno und ich hören: Foo Fighters „The Colour and The Shape“ (Capitol/ Roswell Records)