„Wie geht’s denn?“, „Ach der ganz normale Wahnsinn!“. Oder: „Der ganz normale Wahnsinn eben“, vielleicht auch „Frag nicht. Der ganz normale Wahnsinn!“. So laufen seit Jahren viele Dialoge. Ausschließlich Dialoge mit Eltern allerdings. Fiel mir kürzlich auf, als ich eine Mutter fragte, wie denn die Lage gerade sei. Es war eine ganz allgemeine Frage, auf die diese Mutter augenscheinlich sehr erschöpft mit dem „Ganz normalen Wahnsinn“ parierte. Früher – in einem anderen, kinderfreien Leben – erzählte mir nie jemand was von einem „Ganz normalen Wahnsinn“ auf so eine allgemeine Frage.
Ich glaube, auch die Eltern von vor 40 Jahren fabulierten nie etwas vom „Ganz normalen Wahnsinn“. Entweder ertrugen sie ihr elterliches Leben der Entbehrungen einfach mit gewisser Grandezza und Akzeptanz der Selbstaufgabe, der Wahnsinn war damals noch gar kein richtiger Wahnsinn, die Arbeitsdichte war nicht so hoch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf keine Zeitgeist-Floskel oder alle nahmen die Rollenverteilung hin, wie von Gott bestimmt. Ich weiß es nicht genau. Ich habe allerdings eine Vermutung. Es ist eine Mischung aus allem. Tut aber in diesem Beitrag nichts zur Sache. Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich noch gar nicht, wo dieser Neverending Vatertag überhaupt enden wird. Ich lass mich mal selbst überraschen.
DGNW. Die Zustandsbeschreibung also known als „Der ganz normale Wahnsinn“. Eine Titulierung des Alltags, die ausschließlich von Müttern und Vätern verwendet wird. Am allermeisten allerdings von Müttern. Stelle ich gerade fest. Was wahrscheinlich daran liegt, dass die Dinge, die zu diesem ganz normalen Wahnsinn führen, sich meist bei den Müttern bündeln. Das ist 2025 immer noch so. Da dürfen wir uns nichts vormachen, liebe Männer. Remember Rollenverteilung. Ungleiche Bezahlung. Schnackelt es? Meine Freunde sagen so gut wie nie „Der ganz normale Wahnsinn“. Ich verzichte übrigens auch auf diese Beschreibung. Meine Frau nutzt sie allerdings ebenfalls nie. Das will ich an dieser Stelle einmal festhalten. Was nicht bedeutet, dass wir nicht in ähnlichen Situationen des Wahnsinns knietief versinken. Jeden Tag wohlgemerkt.
„Der ganz normale Wahnsinn“ ist eine Umschreibung von: „Das Elternteil steht um kurz sechs Uhr auf, macht Frühstück, das dann im weiteren Verlauf nicht oder maximal nur halb gegessen wird, prüft Ranzen oder Rucksack, checkt den Stundenplan, packt die Sportsachen für die Kinder, weil sie selbst nicht daran denken, rastet dreimal aus, weil sie nicht aufstehen oder die Zähne nur 15 Sekunden geputzt haben, geht dann Teilzeit oder Vollzeit arbeiten, erwartet die Kinder von der Schule oder dem Hort oder dem Kindergarten, für ein kurzes unfreundliches Hallo und um kurze Zeit später die am Morgen mühevoll geschmierten Pausenbrote ungegessen in den Müll zu schmeißen. Derweil sich die Kinder unentwegt streiten. Anstatt einfach einmal freiwillig ihre Zimmer aufzuräumen. Oder Ranzen und Rücksäcke für morgen zu richten. Sie verteilen ihre Dreckwäsche im ganzen Haus und hängen dann sinnentleert vor der Switch oder auf der Couch ab, bevor sie ins Training gekarrt werden müssen. Gott sei Dank gibt es noch Sportvereine. Der letzte – leider auch bröckelnde – Rettungsanker in dieser verlorenen Zeit. Am Abend schmeckt das Abendessen nicht, sie wollen nicht ins Bett oder haben – entgegen der Familienregel – doch das Tablet im Bett liegen und glotzen sinnfreie Reels oder Shorts. Und am nächsten Tag dann die gleiche Scheiße wieder von vorn.“
Das ist so in etwa DGNW. DGNW wird allerdings auch etwas fahrlässig, inflationär und manchmal sogar fadenscheinig und alibimäßig verwendet. Gerne auch von Eltern, die gar nicht so viel tun haben. Weil die Oma alles macht oder man eine Zugehfrau im Beritt hat. Mittlerweil gehört nämlich zum guten Ton, dass man immer DGNW hat und gestresst ist mit den Kindern. Egal, ob es stimmt oder nicht. Denn das zeigt, dass man auch irgendwie dazugehört in dieser schnelllebigen Welt und ja ausschließlich nur Gutes für die Kinder will. Deshalb fährt man sie vom Alphornkurs direkt zum Schwimm- oder Leichtathletiktraining, kauft schnell ein, um sie rechtzeitig wieder im Empfang nehmen zu können, nachhause zu bringen und dann selbst ganz persönlich bei einem der dauernd anfallenden Elternabende aufzuschlagen. Der ganz normale Wahnsinn eben.
DGNW ist eine Beschreibung der Gegenwart, eine Art Unwort, für einen Zustand, der Eltern oft genug an den Rand der Vernunft bringt. Er ist ein Modebegriff und ein Etikett für eine, wahlweise wirkliche oder nur gefühlte Dauersituation. Fragt mich jemand, spreche ich nie vom „Ganz normalen Wahnsinn“ und habe das auch niemals vor. Obwohl ich bis zur Hüfte mit meiner Frau bereits darin versunken bin. Ich weiß nur eins. Ohne diesen DGNW wäre mein Leben auch nur halb erfüllt. Das muss auch einmal gesagt werden.
Bruno und ich hören: Voodoo Jürgens „Ansa Woar“ (Lotterlabel)