© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#2 Flechten
Flechten. Verdammt. Das habe ich völlig vergessen. Ich muss ja auch flechten. Meine Tochter hat Locken fast so schön wie Carlos Valderrama, aber wenn ich hier die Dinge ihrem Lauf überlasse, dann trägt eine Vierjährige aus dem Frankfurter Nordwesten bald die prächtigsten Dreadlocks von der Nidda bis Hamburg-Altona. Um es gleich einmal vorweg zu nehmen: Ich habe noch nie geflochten. Noch nicht mal einen Hefezopf. Ich muss handeln. Meine Frau verlässt um kurz nach sieben das Haus und ich stehe da mit diesem Wunderwerk an Frisur. Guter Rat wo bist Du? Und wenn es geht, nicht allzu zu teuer? Haben sie in der Höhle der Löwen mal eine Flechtmaschine vorgestellt? Fehlanzeige. Zumindest kann ich mich nicht erinnern. Das wäre ein Patent wert, da würde sicherlich auch der immer solvente und fleischgewordene Kotzbrocken Maschmeyer den Igel aus der Tasche für holen. Der kneift aber lieber der Ferres in die Hamsterbacken. Eine Lösung muss her. Dringend. Ich brauche externe Hilfe. Da kommt mir ein blitzgescheiter Plan, für den ich mir gleich an Ort und Stelle auf die Schulter schlage. Alles auf den Männerbonus. Was Frauen bei einer Autopanne können, das kann mir beim Flechten doch allemal lieb und teuer sein. Vielleicht ist das Flechten des Mannes auch so etwas wie das Auto-Überbrücken der Frau.
Ich spreche die Erzieherinnen direkt an. Und siehe da: „Na klar machen wir das, kein Problem. Nein, Du brauchst Dir keine Gedanken machen.“ Zwinker, Zwinker, Lach, Lach. Na also. Zur Sicherheit nehm ich auch gleich noch die Nachbarin mit ins Boot. Kann ja nicht nur auf einen Windhund setzen. Auch hier: „Kein Thema. Mach ich sogar extrem gerne. Habe ich bei meiner Tochter immer geliebt“ Im Gegensatz zu mir, ist Flechten eines ihrer größten Hobbies. Nach einigen Tagen überkommt mich allerdings der Ehrgeiz. Das ist doch keine Atomphysik. So schwer kann das jetzt ja auch wieder nicht sein. Vielleicht bin ich ja genau der Mann, auf den die Flechtszene gewartet hat. Herausforderungen des Lebens annehmen heißt die Parole und ich hebe das Flechten in eine neue Dimension. Flechten 3000 sozusagen. Am folgenden Morgen scheitere ich kläglich. „Kopf gerade. Bleib ruhig sitzen. So funktioniert das nicht.“ Kein finales Fiasko, schön sieht allerdings anders aus. Meine Tochter erträgt es mit Würde. Ich bleibe am Ball und siehe da, von Tag zu Tag wird es besser. Ich hole Hanni am Nachmittag ab und die beiden Zöpfe sitzen weiterhin wunderbar. Mensch, fast noch schöner als am Vormittag. Einmal die Raupe durchs Wohnzimmer und ausgiebig feiern lassen. Soll einer sagen, wir Männer könnten nichts dazu lernen. Das geht einige Tage so. Bis mir eines Nachmittags meine Tochter en passant beim Müsli erzählt, dass sie bereits jeden Vormittag von den Erzieherinnen nachfrisiert werden muss. Hhm, ach so, wirklich? Ist ja interessant.
Nachtrag: Heute früh brachte ich meine Tochter in den Kindergarten. Es war nur die Leitung der Einrichtung anwesend. Als sie Hanni sah, fragte sie mit einem begeisternden Lächeln „Na, wer hat Dir denn die schönen Zöpfe geflochten? Die Mama?“ Darauf meine Tochter: „Nein. Der Papa.“ Respektvolles Nicken der Leitung in meine Richtung. Ich bin angekommen. Ganz oben. Disziplin, Energie, Durchhaltevermögen waren die Tugenden, die mich an die Spitze geführt haben. Ich danke der Academy!
Bruno und ich hören: Death Cab For Cutie „Transatlanticism“ (Grand Hotel Van Cleef)