Kennt ihr dieses grimmige Gefühl mit steifem Nacken aufzuwachen, der Pulli kratzt und der frisch gebrühte Kaffee schmeckt irgendwie nach Tennissocken. Der Tag ist bereits im Eimer, bevor er begonnen hat, und dann erfahrt ihr ganz beiläufig, dass die Buddha-Instrumentalisten von My Sleeping Karma ein neues Album veröffentlicht haben. und schon scheint wieder die Sonne! Das war bereits Ende Juli, doch wie so oft in der heutigen Veröffentlichungsflut, koppelt man den eigenen musikalischen Horizont nicht zwingend an Release-Dates.
Doch auf die Vorfreude folgt die Melancholie, wenn man realisiert, dass auch die vier tiefenentspannten Musiker, die sich in ihrer instrumentalen Kunst der Vertonung hinduistischer Gottheiten und Weisheiten widmen, von alltäglichen Problemen und Schicksalsschlägen gezeichnet sind. Und tatsächlich geht die Band offen mit der Tatsache um, dass sie vor einiger Zeit am Abgrund stand. Zwar ging es nach der Veröffentlichung ihres bis dato erfolgreichsten vierten Albums „Moksha“ von 2015 konstant aufwärts, ein Vertrag beim renommierten Metal Label Napalm Records sowie höchste Anerkennung von Musikfachpresse und Liebhabern weltweit waren die Folge, Konzerte in Übersee inklusive. Doch dann: Selbstzweifel, Inspirationslosigkeit und die Krebsdiagnose von Drummer Steffen. Ein Schock für die gesamte Band.
Musik als Rettungsanker
Die Erkrankung war bereits so weit fortgeschritten, dass umgehend mit der Chemotherapie begonnen werden musste. Also lagen die Aktivitäten der Band in dieser Zeit auf Eis, was zu einer wahren Belastungsprobe für alle Mitglieder führte. Zwar konnte der charismatische, Drummer, der mit seinem positiven, bodenständigen Gemüt sein ganz eigener Tempel ist, den Krebs temporär besiegen, doch was im Anschluss folgte, konnte niemand vorhersehen. Es ist der Beginn der globalen Corona-Pandemie. Der erste Lockdown, der komplette Zerfall der Musik- und Kulturbranche sind die Folgen. Eine Zeit, in der nun Bassist Matte mit eigenen persönlichen Problemen zu kämpfen und seine Scheidung zu regeln hatte. In solchen Etappen des Lebens schöpft man Kraft im eigenen Bandgefüge, in der Kunst, in seiner eigenen Traumwelt, die man erschaffen und in die man sich flüchten kann. Genau für solche Schutzräume ist Musik als Lebensrettung essenziell. Doch Ende 2020 realisiert die Band, dass das neu komponierte Material – welches ursprünglich viel härter ausfallen und in eine Metalplatte transformiert werden sollte – nicht zur Trademark der Band passte und nicht mehr die gegenwärtige Stimmung der vier Musiker widerspiegelt. Man könnte es als den eigenen, bandinternen „Metallica St. Anger“-Moment bezeichnen. Doch es hilft alles nichts. Zähne zusammenbeißen, in die Hände spucken, als Freunde zusammenstehen und diese schwierigen Jahre gemeinsam meistern! Entstanden ist ein Album, welches in der Karriere der Band die bisher schwermütigste Gesamtstimmung innehat und beim ersten Hördurchgang ungewohnt düster ausfällt.
„Beim Komponieren verfolgen wir immer eine simple Vorgehensweise. Der Song muss sich für alle gut anfühlen beim Spielen. Und so beeinflussen allein die Gefühle was die Entstehung und den Aufbau der Songs bestimmt“, so Gitarrist Seppi. Das spiegelt sich so auch im thematischen Konzept von „Atma“ wider, was als „die ewige unzerstörbare innere Gestalt“ übersetzt werden kann. Es geht um das eigene Ich und Sein, häufig als Seele bezeichnet, doch in dem Begriff der indischen Philosophie steckt mehr: Es ist die unsterbliche, immaterielle Seele, die nicht befreit werden muss, sondern schon von Anbeginn an ewig frei ist. In der Erlösung vereinigt sich Atma mit Brahman, dem absolut Höchsten, dem alles zugrunde liegt.
Besinnung auf innere Stärke
Trotz der gegenwärtig pessimistischen Weltlage bleibt die Band ihren eigenen Mantras treu und schaut hoffnungsvoll nach vorne: „Wir sind davon überzeugt, dass eine friedvolle und glückliche Zukunft der Menschheit kommen wird. Möglicherweise ist das möglich, wenn wir uns dem eigenen Inneren öffnen und uns dessen bewusst werden, wer wir sind und zugleich mehr Spiritualität in den eigenen hektischen Alltag integrieren lernen.“ Für das erste Wohlbefinden hilft der bewusste Konsum von „Atma“, um sich ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern und trotz der zum Teil traurigen Stücke, Kraft und Energie in der Musik zu tanken. Im Frühjahr 2023 plant die Band eine größere Tour, die auf Grund der aktuellen Unplanbarkeit von Veranstaltungen allerdings noch nicht final kommuniziert werden kann. Es ist der Band zu wünschen. Schließlich es ist vor allem diese ekstatische Live-Erfahrung, bei der es My Sleeping Karma mit Bravour schaffen, die intensivsten Gefühle aus ihrer Hörerschaft zu kitzeln, um in ihrem transzendentalen Soundkosmos vollends zu versinken. Halten wir es daher abschließend mit den Worten von Gitarrist Seppi: Bleiben wir zuversichtlich!