
Foto: Till Benzin
KEYBOARD TRIFFT BASS
Ein Montagnachmittag, wieder treffen zwei Kombattanten in unseren Räumlichkeiten aufeinander. Wieder gibt es keinerlei roten Faden, keine Marschrichtung und keine Vorgaben. Wieder hatten beide im Vorfeld überhaupt keine Ahnung, mit wem sie sich zum Zwecke der Aufzeichnung über Musik und Leben, was bei unseren Gesprächspartnern nicht selten ein und dasselbe ist, unterhalten sollen. Und wieder wurden wir Zeuge eines interessanten wie informativen Gedankenaustauschs. Wir recken die Faust in die Luft, weil’s wieder mal so schön geklappt hat.
FRIZZ Das Magazin: Kennt ihr euch?
Holger: Nee, so überhaupt gar nicht. Wer bist du?
Chris: Bin Chris, Bassist und spiele aktuell bei Metal Attack.
H: … ah, von euch hab ich schon mal gehört! Wieso Bass?
C: Eine Band hat einen Basser gesucht. Kurz zuvor hatte ich eine U2-Coverband gesehen und mir gedacht: ,Dieses Bass spielen kann nicht so schwer sein.‘ Also hab ich mir kurzerhand einen Bass samt Amp gekauft, um direkt danach zu merken, dass auch dieses Instrument was mit Noten zu tun hat (großes Gelächter) … Hab mir dann erstmal alles beigebracht.
H: Als Autodidakt? Respekt …
C: Naja, für den Feinschliff hab ich natürlich Jahre gebraucht. Dabei hat es mir immer geholfen, dass ich mit vielen richtig guten Musikern spielen konnte. Da habe ich am meisten gelernt. Und was machst du? Und vor allem: Warum (alle lachen)?
H: Ich spiele Keyboards, unter anderem bei der Band Soulfire. Zum Instrument bin ich irgendwie zwangsweise gekommen. Es war Weihnachten, ich war neun Jahre alt und hatte seitenweise Wunschzettel geschrieben, sogar inklusive Fotos und Bestellnummern aus den ganzen Versandkatalogen …
C: Haha, das kenn ich noch gut aus meiner eigenen Kindheit!
H: … und so ziemlich das einzige, was nicht auf dem Zettel stand, lag dann unterm Baum: eine Melodica. Zweiter Teil des Geschenks war die Info, dass ich zum Unterricht angemeldet bin. Das hab ich dann gemacht, mehr oder weniger motiviert. Die Initialzündung gab’s nach meinem ersten Auftritt mit einem großen Ensemble in Kahl. In der Zeitung wurde darüber berichtet, samt Foto, auf dem ich groß abgebildet war. Das war dann doch cool …
C: Du hast dich wahrscheinlich sehr erhaben gefühlt …
H: Wer wäre da nicht geschmeichelt? Danach hab ich dann ernsthaft angefangen zu üben und in den ersten Tanzmucke-Bands gespielt. Da war ich Teenager. Damals gab es auch noch das Maxim in Damm, da haben großartige Bands mit Monatsengagements gespielt. Unter anderem meine Vorbilder, die Band Toga. Ich hab mich da reingeschlichen, um die zu sehen und mir was abzugucken. Meine nächste Band hieß dann übrigens zufällig Tonga (großes Gelächter). Aber du hast es vollkommen richtig gesagt: Gute Musiker um dich rum bringen dich immer weiter. Perfekt natürlich, wenn die dich nicht spüren lassen, wer besser und wer schlechter ist.
C: Ach, ich glaube, die Musiker, die richtig gut sind, haben überhaupt kein Problem mit dieser Egokiste. Das lief immer auf Augenhöhe. Joe Brückner hat mir da zum Beispiel viel beigebracht. Der Verrückteste in dieser Hinsicht war aber der Gitarrist Ibrahim Dörtoluk – meine absolute Inspiration. Von ihm habe ich das meiste in Sachen Harmonien und Harmonieren gelernt. Überhaupt war es mir immer wichtig, auch die Zusammenhänge zu verstehen, beispielsweise beim Prog-Rock. Warum und wieso die Sachen so und so komponiert wurden. Hat mir mehr gebracht als Unterricht nach Lehrplan.
H: Früher waren Musiklehrer nur auf ihr eigenes Material fixiert, das ist irgendwann nicht mehr hilfreich. Entweder habe ich die Sachen abgeschaut oder tatsächlich rausgehört.
C: Oha, das hab ich auch gemacht. Eine harte Sache, gerade wenn man nur schlechte Kassetten hatte (lacht)! Aber ’ne gute Schule fürs Gehör ist es allemal.
H: Allerdings! Aber man hatte keine Texte, für mich als Teilzeit-Sänger nicht günstig. Es gab immer so kleine A6-Heftchen namens „Top 40“ mit Songtexten, da stand ab und zu ein Text aus der eigenen Setlist drin. Den Rest musste man sich raushören und so aufschreiben, wie man es verstanden hatte. Ich hab noch ein paar alte Zettel daheim und lach mich heute kaputt, wenn ich lese, was ich mir damals zusammengereimt hab.
C: Wie bist du dann in Richtung Funk und Soul gekommen?
H: Durch die Zusammenarbeit mit afroamerikanischen Musikern, die diese Art von Musik leben und lieben. Ich stand auch schon immer auf die entsprechenden Instrumente: Hammond und Leslie, CP-70-Flügel, Fender Rhodes und dergleichen. Sehr zum Leidwesen meiner Mitmusiker, die ja immer auch mitschleppen mussten (lacht). Ich spiele aber heute noch gerne darauf, weil’s einfach geil klingt.
C: Diese Instrumente werden auch niemals verschwinden. Große Produktionen und großartige Bands im Rockbereich nutzen diese nach wie vor, gerade im Prog. Und du hast Recht, es klingt geil.
Was gefällt euch an der Musikszene in Aschaffenburg?
C: Vieles! Ich finde die Vielfalt gigantisch. Super finde ich die Plattformen für junge Bands wie Klangbrett und ABhörn. Persönlich hatten wir schon ein paar Mal das Glück, von Leuten wie Franz Ullrich oder Andy Kirchner mitgenommen zu werden, um mit deren Bands gemeinsam Gigs zu spielen. Das hat uns viel gebracht, vor allem für den Bekanntheitsgrad auch über Aschaffenburg hinaus. Dafür bin ich sehr dankbar.
H: Kann ich mich anschließen. Zudem finde ich es schön, dass die Musiker aus verschiedenen Genres relativ relaxt miteinander umgehen. Das ist sehr angenehm! Leider muss man aber sagen, dass man hinsichtlich der Auftrittsmöglichkeiten schon mehr zu kämpfen hat als früher. Die Veranstalter haben immer mehr Auflagen zu erfüllen und müssen mehr ins Risiko gehen.
C: Zudem hat sich das Ausgehverhalten geändert …
H: Absolut! Früher gab’s in jeder Halle in der Umgebung an fast jedem Wochenende Livemucke. Das ist vorbei. Die Leute gehen zwar schon noch aus, aber der Stellenwert der live gespielten Musik ist nicht mehr der gleiche …
C: Meiner Meinung nach gibt’s so ’ne Art Fast-Food-Verhalten in Sachen Musikkonsum. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen der Einheitsbrei, der uns durch die Massenmedien vorgekaut wird. Zum anderen natürlich das Internet. Du kannst viel schneller viel mehr Inhalte abrufen als früher, alles ist ständig und überall und weitestgehend kostenlos verfügbar. Das hat dazu geführt, dass die Leute nicht mehr in die Tiefe hören.
H: Schau dir die Castingshows an. Dann weißt du, was los ist.
C: Da fällt mir nur ein Fazit ein: Willste Musiker werden oder willste berühmt werden?
H: Bei mir würde sich die Frage nie stellen. Die Musik ist mir wichtiger! Hat vielleicht auch was mit dem Alter zu tun, man weiß, Sachen anders einzuschätzen. Zum Beispiel: Große Bühnen sind schön. Aber kleine Bühnen mit direktem Kontakt zum Publikum gefallen mir viel besser. Was ich allerdings noch mal gerne machen würde, wäre ein Gig im Ausland. Aber nur in Verbindung mit Urlaub (lacht)!
C: Im Ausland zu spielen, ist auch ein Traum von mir. Oder das Warm-up in Wacken, das wäre verdammt cool (grinst)!
Mit neun Jahren entdeckte Holger Böhme die Welt der schwarzen und weißen Tasten für sich. Seitdem erspielte er sich durch die verschiedensten Formationen wie Oldtimers (im Alter von 14!), Speed Kings, Tonga, What’s hip und Connection seinen Platz in der Aschaffenburger Musikszene. Seine Mitstreiter waren und sind unter anderem Gundy Keller, Robert Oursin, Harald Eisert und Guy Parker. Aktuell groovt der diplomierte Keyboarddozent, der eine private Musikschule betreibt, mit der Formation Soulfire.
Christian „Grizz“ Völk ist Bassist der Aschaffenburger Band Metal Attack, die mit einem extrem ausgecheckten Tribut an die Heroen des Genres für Furore unter den Headbangern sorgt. Während seiner Laufbahn, die 1989 begann, bereicherte er mit seinem Tieftöner zudem die Classic-Rock-Formation Maid sowie die Stoner-Rocker Al Gunsha. Seit dem Jahr 2003 ist er Mitglied der Flauer Pauers, die sich allerdings im Moment eine kreative Pause auferlegt haben.