thomas Burkhardt
Viele denken sich jetzt vielleicht: Kann ja so schwer nicht sein. Klar, Rechner an, Synthie dran und los geht’s. Pustehase! Hier entsteht ein Labyrinth aus Racks und Kabelbäumen, bei denen man sich fragt, wie jemand überhaupt darauf kommt, Derartiges aufzubauen und auszuprobieren. Es muss unzählige Varianten geben, das Ganze zu koppeln und zu modulieren. Und was wirklich spannend wird: Wie lange braucht man, den Fehler zu finden, wenn etwas nicht funktioniert. FRIZZ hat Thomas besucht und nachgefragt.
FRIZZ Das Magazin: Was bedeutet LIN/LOG?
Thomas Burkhardt: Die Abkürzung LIN/LOG steht für „Linear Logarithmisch“. Das sind mathematische Funktionen, die in solchen Musiksystemen oft vorkommen. Die Wortkombination beschreibt die Machart der Musik ganz gut.
Das, was du hier machst, ist analog, wenn man das so sagen kann?
Ja hauptsächlich, das sind alles analoge Synthesizer-Bausteine. Anders als bei einem fertigen Synthesizer aus dem Handel. Man kauft die einzelnen Soundbausteine oder konstruiert sie selbst und setzt sie dann so zusammen, wie man das gerne hätte. Dadurch kann man sich von der klassischen Architektur von fertigen Synthesizern lösen.
Also ein bisschen wie Synthesizer-Lego.
Richtig, im Prinzip ist es das.
Kennen dich die Leute in Aschaffenburg? Gibt es hier in der Stadt eine Szene für die Art von Musik, die du machst?
Nein, überhaupt nicht. (lacht)
Das heißt, du bist eher außerhalb Aschaffenburgs bekannt?
Ja, das Internet hat vieles leichter gemacht. Es gibt Communities für solche Art von Musik und die Modularszene erstreckt sich weltweit. Von Deutschland über Japan bis Amerika.
Ich schätze mal, die Szene ist sehr speziell und deshalb nicht sehr groß?
Ja, der Kern ist klein, aber tendenziell wachsend.
Machst du das alleine?
Ja, das alles hier ist eine komplette One-Man-Show. Angefangen von Grafiken über die Website bis hin zur Konzeption und natürlich Musik.
Kreierst du nur für dich oder spielst du auch live?
Ich spiele natürlich auch live. Dafür habe ich ein transportables System. Das ist ein Koffer, der sich verkabelt zusammenklappen lässt. Da sind einige Module verbaut, mit denen ich dann die Liveshows umsetze. Früher habe ich alleine fürs Verkabeln etwa eine ganze Stunde gebraucht und da es meistens keinen Soundcheck gibt, konnte ich immer nur hoffen, dass alle Kabel richtig verbunden sind. (lacht)
Wie findet man bei so vielen Kabeln, Modulen, Netzteilen den Fehler, wenn etwas nicht funktioniert?
Der Kreis der Verdächtigen wird mit der Zeit immer kleiner, wenn etwas nicht funktioniert, weiß ich ungefähr, wo ich schauen muss.
Ist das alles ein reines Hobby oder nutzt du die Musik auch professionell?
Die Musik verkaufe ich vorwiegend über eine Agentur im Internet, aber auch über Streamingdienste und Musikdownloadportale. Physisch habe ich auch schon ein paar Platten gemacht, aber immer nur kleine Auflagen. Ansonsten bin ich nicht darauf angewiesen, das alles zu finanzieren, es ist in erster Linie Kunst und da investiert man immer mehr rein, als man raus bekommt. Allein von der Musik könnte ich nicht leben.
Wie kategorisierst du LIN/LOG? Musik? Kunst? Eine Mischung aus beidem?
Ja es ist eine Mischung. Allgemein geht es mir bei der Musik um Konstruktion und Dekonstruktion. Ich hinterfrage oft: Was ist eigentlich Musik? Hat das immer unbedingt etwas mit Notenlehre oder Harmonielehre zu tun oder kann ich auch mit Hilfe eines Geräuschteppichs Assoziationen hervorrufen? Man muss sich halt darauf einlassen.
Die Musik ist sehr elektronisch und erzeugt Bilder im Kopf. Zielst du darauf ab?
Absolut. Es gibt Stücke, die sind freier, aber in den meisten Fällen habe ich etwas Konkretes, was ich transportieren möchte. Ich habe dabei Themen im Kopf und die EPs oder Platten sind meistens auch konzeptionell.
Wie schreibst du deine Songs?
In vielen Fällen habe ich schon eine Vorstellung, was es sein soll – auch die Thematik. Aber man muss sich das anders vorstellen. Die Maschinen haben ihren eigenen Willen. Es ist ein „mit den Maschinen arbeiten“. Der Sinn und Zweck ist es auch, den Maschinen in den Kompositionen einen gewissen Freiraum zu lassen. Das klingt jetzt etwas verrückt, aber ich verwende auch Zufallsgeneratoren. Beispielsweise wird eine Tonlänge zufällig bestimmt. Ich lege die Sequenz fest, also was gespielt wird, aber die Art und Weise legt dann die Maschine selbst fest. Man kann es als kontrolliertes Chaos bezeichnen.
lin/log-studio
Das heißt, ein Liveauftritt ist eine reine Zufallsnummer oder versuchst du zu rekonstruieren, was du auf CD herausgebracht hast?
Nein, das mache ich nicht. Gerade die Livegigs sind Experimente und die fangen an und hören auf, so wie es kommt. Ich stelle mich vorher auf mein Publikum ein und schaue mir die Leute an. Wenn ich das Gefühl habe, das Publikum sind eher esoterische Menschen, dann weiß ich schon, da brauche ich nicht viel Bassdrum reinhauen, sondern gehe eher in Richtung Klangteppich. Oder wenn es ein Abend ist, an dem auch getanzt wird, schaue ich, dass ich mehr rhythmische Nummern fahre. Alles reine Improvisation.
LIN/LOG ist auch ein Label. Heißt, du hast auch Künstler, die Sachen über dich rausbringen?
Jein. Im Prinzip vertrete ich mich nur selbst. Ich bin Künstler UND Label. Lieber klein bleiben und dafür alle Freiheiten ohne Verpflichtungen haben. Aber ich arbeite auch mit anderen Leuten zusammen, beispielsweise mit Joss Turnbull, einem Percussionisten speziell für orientalische Instrumente, mit ihm zusammen habe ich ein Album gemacht, das nächstes Jahr über LIN/LOG erscheint.
Gibt es die Möglichkeit, dich hier in der Region mal live zu sehen?
Aktuell nicht, aber ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder Projekte hier gemacht, zum Beispiel mit dem 12-Stufen-Theater in Kleinostheim. Dort haben wir ein Stück von Edgar Ellen Poe performt, Thorsten Kleemann hat das Stück gelesen und die Leute erhielten Augenmasken, so dass sie nichts sehen konnten. Dann haben wir eine Echtzeitvertonung mit den Modulen gemacht, aber auch ein paar passende Geräusche eingebaut. Es war eine recht gruselige Atmosphäre und kam auch gut an.
Ich würde in Aschaffenburg gerne mehr Fuß fassen. Gerade in der Künstlerszene – Konzerte selbst schweben mir da gar nicht vor. Ich möchte lieber kuschelige Abende, bei denen ich mit dem Publikum interagieren kann.
Was machst du, wenn du live spielst und etwas nicht funktioniert?
Normalerweise läuft das System dann schon weiter, was mir die Möglichkeit gibt, den Fehler zu finden. Es ist nicht alles mit allem verbunden. Ich stecke die Verbindungen so, dass man mehrere Instrumente hat. Das sieht zwar alles sehr kompakt aus, aber es ist eine Kombination aus mehreren Modulen. Es passiert sehr selten, dass gar nichts mehr geht.
Gibt es noch etwas, was du mit LIN/LOG loswerden möchtest?
Grundsätzlich ist es mir wichtig, dass man Musik wieder erfahrbar macht. Ich stelle immer wieder fest, dass ich schnell genervt bin von populärer Musik, weil mir das oft wie ein Brainwash vorkommt. Immer die gleichen Muster, egal ob textlich oder spielerisch. Die Musik wird immer einfacher und vor allem konsumierbarer. Dabei kann man mit Musik soviel mehr machen. Traut euch auch mal an Musik, die ihr nicht kennt. Ich mache das schon immer so und es ist wesentlich interessanter. Ich habe eine Platte zuhause von einer chilenischen Black-Metal-Band, die mit tropischen Instrumenten spielen. Das passt natürlich überhaupt nicht zusammen und klingt total bizarr, da die Instrumente selbst gar nicht böse klingen können. Es ist quasi böse Musik mit lustigen Instrumenten. Das finde ich total cool.
Vielen Dank, Thomas, für das nette Gespräch. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg, Ideen und Kreativität.