„Reise mit leichtem Gepäck“, lautet die Antwort von Laura Kern, auf die Frage, wie sie auf die Idee für ihr neues Modekonzept gekommen ist. Oder zumindest ist dies der Leitgedanke, der dahinter steckt. Den hat Laura schon vor sieben Jahren mitgenommen, als sie ihre Ausbildung als Yoga-Lehrerin gemacht hat und einige Jahre mit sich herumgetragen.
Die Idee, die dem zu Grunde liegt, ist, dass unser Leben vollgestopft ist von Gedanken und von Dingen, die den Blick auf das Wesentliche verstellen und letztlich nur Ballast sind, der einen am wahren und erfüllten Leben hindert.
Das gilt natürlich nicht nur für Kleidung, sondern eigentlich für alle Lebensbereiche, aber Laura hatte sich schon immer nach einem gründlichen Ausmisten des eigenen Kleiderschranks „freier gefühlt“. Daher der Name „Leihdichfrei“. Damit ist sie mit tatkräftiger Unterstützung ihres Mannes Martin seit September 2020 online und seit April dieses Jahres auch mit einem Laden in der Aschaffenburger Wermbachstraße an den Start gegangen. Auslöser war der Lockdown, den die junge Mutter zweier Kinder gerade in ihrer Elternzeit erleben musste, und dann hat sie eben viel Zeit auf dem Spielplatz verbracht und es hat angefangen, „im Kopf zu rattern“.
© Till Benzin
Leihdichfrei
Und was steckt jetzt hinter „Leihdichfrei“? Das Prinzip ist einfach: Laura hat mit ihrem Mann einen Onlineshop ins Leben gerufen, auf dem man sich Kleider leihen kann, anstatt diese zu kaufen. Die Kunden schließen ein Abo ab und können dann je nach Abo zwei oder vier Kleidungsstücke auf unbegrenzte Zeit ausleihen. Sobald man sich an den Stücken sattgesehen bzw. sie „sattgetragen“ hat, gibt man sie zurück und leiht sich zwei oder vier neue Teile aus. Dabei ist es egal, wie lange man die Teile behält. Man kann nach einer Woche oder auch erst nach mehreren Monaten wieder tauschen – solange das Abonnement läuft. Die Bezahlung erfolgt monatlich und das Abo kann man jederzeit kündigen.
„Das ist wie ein großer unendlicher Kleiderschrank“, sagt die 38-jährige gelernte Optikermeisterin und ergänzt: „Ich kleide mich selbst gerne modisch und für Leute, die eben auch gerne modisch sein möchten, dabei aber auf Fast Fashion verzichten möchten, ist ,Leihdichfrei‘ genau das Richtige!“
Und schon sind wir mittendrin in einer Diskussion über faire Mode, Nachhaltigkeit sowie Konsumgesellschaft und man spürt sofort, dass Laura diese Themen am Herzen liegen. Sie engagiert sich nicht nur mit ihrem eigenen Projekt für ein Umdenken im Konsum, sondern auch zum Beispiel im bundesweiten Netzwerk „Fashion Revolution Germany“. Dessen Ziel ist es, über Missstände in der Modeindustrie aufzuklären und Alternativen aufzuzeigen. Laura ist mit fünf anderen Mädels bei der Aschaffenburger Gruppe von „Fashion Revolution Germany“ dabei. Jüngst gab es dazu auch einen Infostand auf dem Rathausplatz, wo sie mit Gleichgesinnten die Passanten informierte. Viele wüssten beispielsweise gar nicht, dass für die Produktion eines T-Shirts etwa 2.000 Liter Wasser nötig sind.
Aber Laura will bei „Leihdichfrei“ nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommunizieren, sondern zeigen, dass Secondhand und Leihen auch modisch sein können und dass es eben nachhaltiger ist, zu nutzen, was schon da ist, anstatt immer wieder Neues zu produzieren.
Und da stand am Anfang erst einmal nur die Verleih-Idee als Onlineshop, der vor gut eineinhalb Jahren live ging. Ihr Start-Sortiment hat sie über Ebay bzw. Anzeigen beschafft und auch Kleiderspenden angenommen. Der Shop ist aber nicht ganz so gut gelaufen wie erhofft, auch wenn sie sich mittlerweile eine kleine Stammkundschaft aufgebaut hatte, die regelmäßig Teile ausleiht und austauscht. Alles per Paket – natürlich mit 100 Prozent recyclebarer Verpackung.
© Till Benzin
Leihdichfrei
Von Anfang an hat Laura aber auch immer nach Läden in Aschaffenburg gesucht und seit 4. April betreibt sie nun auch einen „klassischen“ Secondhandladen in den Räumen, in denen früher der Plattenladen „AB Disco-Shop“ beherbergt war.
Die Räume sind hell, großzügig und nicht vollgestopft. Die bunten Kleidungsstücke auf den Ständern leuchten wie Blumen vor den weißen Wänden. Man fühlt sich gleich wohl. Es gibt alles, was das Modeherz begehrt: Jacken, Hosen, Hüte, Accessoires, auch Taschen und Schuhe. Das Sortiment ist umfassend und richtet sich an Männer und Frauen ab 14 Jahren. Fast alles ist Secondhandware, die auch auf Kommission verkauft wird. Nur und hier da gibt es auch neu Produziertes – dann allerdings von Labels, die sogenannte Überhangstoffe der Modeproduktion, die sonst entsorgt werden würden, zu neuen modischen Stücken verarbeiten.
Und die Kunden? Die sind aufgeschlossen und begeistert vom Sortiment. Nicht alle wissen, dass man nicht unbedingt kaufen muss, sondern dass man auch im Laden ein Abo abschließen und die Sachen gleich mitnehmen kann. Das hat den unschlagbaren Vorteil, dass die Sachen – im Gegensetz zum Online-Shop – auch hundertprozentig passen. Die Qualität der Kleider ist für Laura „absolute Prio eins“ bei der Auswahl des Sortiments. Prio zwei sind die Stoffe, oft Naturmaterialien, die eben den Modegeschmack der Leute treffen – da hat Laura den entsprechenden Riecher dafür. Wenn sich ein „Leih-Kunde“ dann doch in eines der Stücke verlieben sollte und es nicht mehr hergeben möchte, dann kann er oder sie das Teil natürlich auch nachträglich noch kaufen. Im Moment gibt es bei „Leihdichfrei“ mehr Käufer als Mieter.
© Till Benzin
Leihdichfrei
Den Laden schmeißt sie von Dienstag bis Samstag mit ihren vier Kolleginnen. Das ist aber noch nicht alles. Laura sprüht vor Ideen: Einmal im Monat gibt es Stopf-Workshops, im Juni ist ein Flick-Kurs geplant, es gab einen Pop-up-Shop bei ADAM FAIRkaufen (siehe FRIZZ-Ausgabe 3|2022) und sie liebt die Vernetzung mit Menschen, die mit ihr „die gleiche Vision“ teilen. Sie organisiert Kleider-Tausch-Events oder plant einen Siebdruck-Abend, bei dem man alte Sachen verschönern kann. Das Obergeschoss, zu dem eine Wendeltreppe aus dem Verkaufsraum hinaufführt, soll Raum bieten für weitere Workshops, für Vernetzung und Begegnungen.
Man darf noch einiges erwarten von Laura und „Leihdichfrei“ – der Ideen-Rucksack ist prall gefüllt. Und wie war das noch mal mit dem leichten Gepäck …? Keine Sorge – soweit wir wissen, wiegen Ideen fast nichts und verleihen manchmal sogar Flügel!
Leihdichfrei
Wermbachstraße 6, Aschaffenburg
Ladenöffnungszeiten: Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. 11–16 Uhr
Mode-Leih-Abo: 2 Teile: 19 Euro/Monat; 4 Teile: 29 Euro/Monat