Was war dieser Kuttergarten überhaupt? Biergarten, Kulturstätte, Kreativpool oder doch „nur“ Open-Air-Party-Spot? Für alle, die (unglaublicherweise) noch nie dort waren und für alle Interessierten hat FRIZZ Das Magazin mit den Gründern Timo Geißel und Basti Goßmann über ihre Motivation sowie die Geschichte und den Stellenwert des Kuttergartens gesprochen.

© Markus Christl
Basti Goßmann und Timo Geißel
Dass Timo Geißel und Basti Goßmann im Team aktuell prägende Mitgestalter der Aschaffenburger Kulturszene sein würden, war vor knapp über zehn Jahren noch gar nicht wirklich abzusehen. Der eine war treibende Kraft hinter den angesagten SWEAT-Partys, der andere Mastermind der nicht minder gehypten Neorhythm-Reihe. Anfang der Zehnerjahre entpuppten sich beide Marken mit ihren Events in der legendären Unsagbar sowie zahlreichen weiteren Off-Locations als wahre Magneten für das tanzwütige Publikum unserer Stadt. Wer auf der Suche nach feinstem Deep Disco House und Elektro-Tunes war, kam nicht an Timo oder Basti und ihren Crews vorbei. Das sollte sich auch auf Jahre hinaus nicht ändern, was auch darin begründet lag, dass beide ihre Kompetenzen, Visionen und Leidenschaft bündelten und ab 2012 unter dem Label Sweat Events gemeinsame Sache machten.
Vom Mini-Rave zum Großevent: Unten am Fluss
Eines der ersten gemeinsam gedrehten Dinger war ein Open-Air-Rave am Mainufer unterhalb des Schlosses. „Dort stand damals ein Schild auf dem konnte man lesen ‚Hier darf Musik gemacht werden‘, das haben wir halt einfach mal wörtlich genommen“, erzählen die beiden im Gespräch. Eine kleine Bühne aus Holz, ein bisschen Technik, ein Notstromaggregat und gerade mal genau so viel Gäste wie Spieler beim Fußball auf dem Platz – fertig war die Urversion dessen, was in den darauffolgenden Jahren unter dem Namen „Unten am Fluss“ tausende von Besuchern anlocken sollte. „Wir wurden direkt im Anschluss von der Stadtverwaltung zum Gespräch gebeten“ führen beide schmunzelnd weiter aus, und „wir haben eine Standpauke erwartet.“ Doch das Gegenteil war der Fall, die Verantwortlichen im Rathaus fanden die Initiative der Sweat-Leute gut und wurden direkt zum Auftraggeber. „Wir sollten das Event nochmals wiederholen, und zwar genau eine Woche später. Mit der Stadt als Veranstalter“ – und mit großem Erfolg. In den folgenden drei Jahren war „Unten am Fluss“ eine städtische Veranstaltung, blieb aber konzeptionell, gestalterisch und programmatisch komplett in den Händen der Sweat-Crew. Die Fanschar wuchs und wuchs, bald ravte eine vierstellige Anzahl von Besuchern zu feinsten House-Sounds am Ufer und UAF erweckte auch überregionale Aufmerksamkeit. Was bis zur letzten Ausgabe 2018 blieb, war ein besonderer Vibe, der unter den Gästen herrschte und viel mit der Motivation der Sweat-Leute zu tun hatte. „Wir wollten nie Standard sein, deswegen haben wir so unfassbar viel Liebe und Zeit in die Vorbereitungen und auch den Look des Events gesteckt. Handgemachte Dekoelemente, die selbstgebaute Bar, das ganze Beleuchtungskonzept, alles war von unserem Team in vielen, vielen Stunden erdacht und gebaut worden.“ Und genau diese Liebe zum Detail, die Leidenschaft der Macher und der etwas andere Style traf einen Nerv. „Das Publikum war bei UAF schon sehr besonders! Wo kommt es sonst vor, dass sich nach dem letzten Ton ein Teil der Besucher Müllsäcke schnappt und einfach mithilft, alles wieder sauber zu machen?“ Allein dieses Beispiel sagt schon mehr als tausend Worte über die Bedeutung und den Stellenwert des Events.

© Evelyn Neschenz
ONE-DAY-Charity-Event
Der Verein, der Kutter, der Kuttergarten
2014 gründeten die Macher auf Anraten der Stadt die „Musik, Kunst & Kultur-Initiative Aschaffenburg e.V.“, um auch nach dem Ende der städtischen Veranstalterfunktion das House-Event am Ufer weiter fortführen zu können. 2017 mietete der Verein zudem eine Location am Dalberg, die als Vereinsheim fungierte und in der nicht nur die die Deko- und Ausstattungsgegenstände für UAF gezimmert wurden, sondern auch weitere, (sub-)kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen, Lesungen und kleine Konzerte stattfanden. Bei der Namenssuche für die Heimstatt des Vereins, der zwischenzeitlich bis zu 300 Mitglieder hatte, wollte man in Bezug auf „Unten am Fluss“ irgendwas maritim Angehauchtes finden, dass die Verbindung zu Wasser und Ufer herstellen würde. Man rätselte und tüftelte, bis ein Anwesender des Gremiums mit Blick auf ein Schiffsbild in den Räumlichkeiten das entscheidende „Lass das Ding doch einfach Kutter nennen“, in die Runde warf. Done. Bis 2020 diente der Kutter am Dalberg also als Kommandozentrale und beherbergte nicht nur die Vereinsmitglieder und die angesprochenen Kulturevents, sondern auch den ein oder anderen prominenten Gast: So diente der Kutter nicht nur als Aftershow-Location während der Proseccolaune-Tour, auch der Schweizer Singer/Songwriter Faber machte nach seiner Show im Colos-Saal nochmal dort fest. Mit dem Verkauf des Hauses endete die Kutterfahrt genau zu der Zeit, als Corona die Kulturschaffenden sowieso schon neuen Herausforderungen gegenüberstellte.

Event zur Bundestagswahl des Stadtjugendrings Aschaffenburg
Schnell war also im Inner-Kutter-Circle die Idee geboren, sich mit einem Pop-Up-Biergarten an den Sommervarianten der Stadtbelebung zu beteiligen. Nach Gesprächen im Rathaus und der Prüfung der angebotenen Platzmöglichkeiten fiel die Wahl schließlich auf das Rasenstück angrenzend an das Baseballfeld zwischen Freibad und f.a.n. arena, direkt neben der Ebertbrücke am Mainufer. Am 20.8.2020 öffnete der Kuttergarten seine Pforten: Inspiriert von Festivalgrounds wie dem Melt oder dem Fusion erwartete die Besucher eine Szenerie wie aus einer subkulturellen Deko-Traumwelt, die von einem großen Zelt, überdimensionalen Stehlampen, Upcycling-Interior und mehreren Betten als außergewöhnlicher Sitzgelegenheit bestimmt wurde. Wurde im Jahr 20 die Speisen-Abteilung noch von diversen Food-Trucks abgedeckt, übernahm im Jahr 21 mit dem Hannebambel eine weitere subkulturelle Institution im Kuttergarten den Kochlöffel – eine Win-Win-Kooperation, die unter anderem auch den Kritikern den Wind aus dem Segel nahm, die im vereinsgeführten Kuttergarten eine Konkurrenz zur Aschaffenburger Gastronomie sahen. Ab dem ersten Tag verbanden die Damen und Herren SWEAT also wieder auf spannendste Art und Weise Look, Feel, Sound und Kulinarisches mit einem kunterbunten Kulturprogramm, das die eingangs erwähnte Fragestellung komplett beantworten dürfte.
Kultur im Kuttergarten. Einmal die große Rundfahrt, bitte!
Alleine im Jahr 2021 gaben sich über 70 Künstler aus den Bereichen Musik, bildende Kunst, Malerei und Literatur das Steuerrad in die Hand und nach dem UAF war auch der Kuttergarten wieder Teil der Kulturtage. DJs aus ganz Europa, darunter auch sehr namhafte, haben neben der Ebertbrücke aufgelegt, kleine Live-Acts in die Saiten gegriffen, es gab Ausstellungen, Buchlesungen und Live-Graffiti, Flohmarktaktionen und Events, bei denen Kunst und Musik zusammengebracht wurden. Der Stadtjugendring hielt eine Wahlveranstaltung im Kuttergarten ab, es wurden Aktionen unter anderem vom ONE DAY e. V. und der Lebenshilfe ermöglicht, die Freunde von Proseccolaune nahmen dort eine Podcast-Folge live auf und es wurden auf dem Gelände Plattformen für Initiativen wie Fridays For Future und die Seebrücke geschaffen. Dabei nutzten die Macher beim Informationstransport ausschließlich die eigene, organische Reichweite in den sozialen Medien und verließen sich ansonsten auf das, was ihnen bisher immer am meisten geholfen hat: Die Mund-zu-Mund-Propaganda.
Das alles mit sehr großem Erfolg, oft bildeten sich lange Schlangen vor dem Haupteingang und viele Kutterwillige mussten warten, um einen der 300 verfügbaren Plätze zu ergattern. Unter ihnen auch Gäste aus Wien, Zürich oder Lübeck, die eigens für einen Besuch des Gartens an den Untermain gekommen sind. Dabei war das Rezept für diesen Meltin’Pot der (Sub)Kultur gar nicht kompliziert. „Wir haben gar nicht wirklich nach einer bestehenden Lücke im Angebot gesucht, um diese dann zu schließen. Wir haben schlicht und ergreifend das getan, was wir am meisten lieben!“ Was in Bezug auf Timo, Basti und ihre vielen Unterstützer bedeutet, dass sie mit Leidenschaft, guten Ideen und viel Herzblut die Attraktivität der Stadt Aschaffenburg für jüngere Generationen erhöhen möchten. Um das zu erreichen, „müssen wir als Ergänzung zu den ganzen bestehenden Angeboten aber auch zwingend Themen aus der Subkultur mit auf den Tisch bringen!“ Und das mit gutem Grund, schließlich ist alles, was selbst die größten Traditionalisten heute als Kulturgut verbuchen und beanspruchen, irgendwann einmal einer subkulturellen Strömung entsprungen.

Comedy-Shootingstar Quichotte
Klar ist natürlich auch, dass es immer da wo Menschen aufeinandertreffen und gemeinsam Kunst, Kultur und Musik konsumieren, nicht immer in Zimmerlautstärke zugeht. Klar ist ebenso, dass auch eingehaltene Emissionsgrenzwerte von dem einen oder anderen trotzdem als störend empfunden werden können. Dementsprechend ernst sind im Zusammenhang mit dem Kuttergarten also die Beschwerden derer zu nehmen, die mit (weit entferntem) Kutterschall ihre Probleme hatten.
Spätestens aber, wenn man sich die Verdienste, den Werdegang und die Motive von Timo und Basti anschaut, stellvertretend für alle privaten Kulturtreibenden, kulturellen Institutionen und Vereine, ist es mehr als nachvollziehbar, wenn sie mit dem Brustton der Überzeugung sagen: „Wir sind relevant!“
Es bleibt also die Hoffnung, dass die Stadt es doch noch schafft, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Förderung der Kultur in allen ihren Spielarten, nachhaltiger Ausbau der eigenen Attraktivität für die junge Generation bei gleichzeitigem Lärmschutz der Anwohner. Eine Gratwanderung, keine Frage. Aber eben auch eine spannende Aufgabe, die es unbedingt zu lösen gilt! Es lebe die Aschaffenburger Subkultur!