Wenn man sich mit Marc Robitzky über seine neueste Veröffentlichung austauscht merkt man sehr schnell, was für ein Herzensprojekt das „Aschaffenburger Skizzenbuch“ für ihn darstellt. Fast ein ganzes Jahr war der freiberufliche Illustrator, der ansonsten für unzählige Verlage, Spielehersteller und Agenturen arbeitet und auch für das gigantische Mural in der Würzburger verantwortlich ist, mit seinem mobilen Arbeitstisch im Bauchladenformat in der Stadt unterwegs und hat händisch ausgewählte Spots, Ereignisse und Menschen in fesselnden Skizzen festgehalten. In Kooperation mit dem Kulturamt und dem Alibri Verlag ist daraus nun ein Buch entstanden, das nicht nur bekannte Motive zum Leben erweckt, sondern auch für alle Einheimischen garantiert neue Entdeckungen bereithält.
Wie es dazu kam, welche Herausforderungen zu meistern waren und wie wichtig der richtige Blickwinkel ist, hat Marc FRIZZ Das Magazin in einem ausführlichen Interview verraten.
FRIZZ Das Magazin: Lieber Marc, wann und wie kam dir die Idee, deine Wahlheimat auf 120 Seiten zu porträtieren? Und wie kam es zur Kooperation mit der Stadt?
Marc Robitzky: Die Idee zum Aschaffenburger Skizzenbuch kam mir, als ich im Wartezimmer eines Arztes im Bahnhofsgebäude saß und eine Skizze vom Bahnhofsvorplatz anfertigte. Seit ich denken kann, benutze ich ein Skizzenbuch, um meine Ideen oder Szenen, die ich gerne festhalten möchte, aufzuzeichnen. Ähnlich wie ein Tagebuch gehört das Arbeiten mit einem Skizzenbuch zu meinem Alltag. Beispiele dazu findet man auch auf meiner Webseite. Ein Stadtporträt in Form einer Skizzensammlung anzufertigen, war eine von mehreren Ideen, die ich dem Kulturamt für die Kulturtage 2024 vorgeschlagen habe. Als dann auch der Alibri Verlag sofort von der Idee begeistert war, begann ich direkt mit der Planung und den ersten Skizzen.
Nach welchem System hast du dir die gezeichneten Spots ausgesucht?
Zunächst habe ich eine grobe Liste erstellt mit allem, was mir spontan eingefallen ist: Dinge, für die Aschaffenburg bekannt ist, seine Wahrzeichen und Orte, die auf keinen Fall fehlen dürfen. Zusätzlich habe ich einen Fragebogen an mehrere Personen verschickt und so haben etwa 70 Menschen mir ihre Eindrücke, Lieblingsplätze und auch besondere Personen genannt, die für sie eine wichtige Verbindung zu Aschaffenburg haben. Vieles stimmte mit meinen eigenen Vorschlägen überein, doch es wurden auch Ideen eingebracht, die ich zuvor nicht auf dem Schirm hatte. Beim Skizzieren vor Ort bekam ich zudem hilfreiche Hinweise von interessierten Passanten. Nach kurzen Recherchen konnte ich die Liste weiter ergänzen. Anschließend ging es nur noch darum, die Liste terminiert und sukzessive abzuarbeiten.
Gibt es Plätze und Spots, die du selbst erst durch dieses Projekt neu entdeckt hast?
Tatsächlich habe ich ganz bewusst die ganze Stadt auf ganz neue Weise wiederentdeckt. Mit den Augen eines Touristen bin ich durch die Straßen und kleinen Gassen am Dalberg geschlendert und habe viele Ecken und Besonderheiten gesehen, die mir zuvor im Alltag nie so richtig aufgefallen sind. So war ich zum Beispiel zum ersten Mal beim Carillon im Glockenturm des Schlosses, habe das Eckertsmühlen-Open-Air oder ein Philharmoniekonzert erlebt und das Kettenschiff „Määkuh“ kennengelernt. Auch die Legende der „Weiß Gaas“ war mir neu!
Ich unterstelle einfach mal, dass Künstler wie du sowieso schon mit einem anderen Blick ihre Umgebung wahrnehmen. Gab es trotzdem einen Ort, für den du deinen eigenen Blickwinkel neu justieren musstest?
Es ist für mich eine Art Gedankenspiel, das ich häufig übe – auch ohne die Absicht, eine Zeichnung anzufertigen. Ich versuche Dinge, gerade die alltäglichen, neu zu betrachten oder aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Oft reicht es schon, sich anderes Wetter oder „dämmriges Licht“ vorzustellen, um eine Szene anders wirken zu lassen als gewohnt. Das Buch lebt von genau solchen „Spielen“ mit Perspektiven, die es möglich machen, die Welt in Form einer Skizze neu zu erfassen – und das unterscheidet sich von einem Fotoband. Die Skizzen leben von dem Moment und dem Zugang, den man zu einem Ort oder einer Szene findet. Es geht nicht nur darum, das Gesehene abzubilden, sondern auch darum, die Stimmung und den Moment einzufangen. Gerade in der Skizzenform gibt es viel Freiraum – man kann Dinge kompositorisch hervorheben oder weglassen. Jede Zeichnung war für mich eine Herausforderung, die mit Planung und Überlegung, aber auch mit Spontanität verbunden war. Oft habe ich mich erst einmal intensiv umgesehen, bevor ich mich für einen Ort oder eine Situation entschieden habe. Ich habe den besten Blickwinkel gesucht, um dann die Szene im vorgesehenen Format festzuhalten.
Dabei bist du mit einem selbstgebauten, mobilen „Arbeitstisch“ durch die Stadt gezogen und hast gezeichnet. Gab es so etwas wie einen standardisierten Workflow pro Bild?
Zu Beginn habe ich in mein Skizzenbuch gezeichnet. Doch schnell merkte ich, dass das für dieses Projekt nicht funktionierte, also wechselte ich auf ein größeres Zeichenformat und brauchte dafür eine passende Unterlage für unterwegs. Diese baute ich mir selbst aus zwei starken mattschwarzem Kartonplatten, die genügend Stabilität boten um den Druck beim Zeichnen auszuhalten, aber leicht genug waren, um flexibel mitgenommen zu werden. Einen standardisierten Workflow gab es für mich jedoch nicht, da ich mich gerne vor Ort vom Geschehen treiben lasse und mich spontan auf die Gegebenheiten einlasse. Bei Zeichnungen im großen Trubel, wie etwa beim Faschingszug, dem Stadtfest oder auch auf dem Volksfest, begann ich oft mit einer kleinen Skizze auf einem Schmierzettel, um mich einzustimmen. Erst als ich ruhiger wurde und mein Strich nicht mehr so zittrig war, startete ich mit der eigentlichen Skizze. Bei engen Zeitfenstern, wie etwa beim Boppin’B-Konzert, begann ich erst mit dem Hintergrund, in diesem Fall mit der Bühne, und arbeitete mich dann vor um die Personen bestmöglich in Szene zu setzten.
Auch wenn die Spanne wahrscheinlich „von bis“ geht – gibt es eine grobe Zeitspanne, die so ein Bild vom ersten bis zum finalen Strich in Anspruch nimmt?
Die Zeitspanne hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab, aber grundsätzlich lässt sich sagen, dass eine einfache Strichzeichnung bei guten Bedingungen in etwa 20 bis 30 Minuten dauert. Wenn es sich um eine farbige Skizze handelt, kann die Zeit durchaus auf 60 Minuten ansteigen, vor allem, wenn ich mehr Details und Schattierungen einbringe oder die Farben besonders präzise aufgetragen werden müssen. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen die Zeitplanung weniger vorhersehbar ist. Manchmal passiert es, dass ich eine Zeichnung in zwei Sitzungen aufteilen musste. Etwa, weil plötzlich der Regen einsetzte, mir der Nacken in der Sommersonne verbrannte oder weil der Stift unerwartet funktionsunfähig wurde. Ich halte mir gerne eine gewisse Flexibilität frei in der Durchführung sowie Zeitplanung, die auch immer von den äußeren Bedingungen und der jeweiligen Situation abhängig ist.
Nach welchen Kriterien hast du entschieden, in welcher Art der Malerei und in welcher Farbgebung ein Motiv umgesetzt wird?
Wer einen Blick in meine älteren Skizzenbücher wirft wird sehen, dass ich gerne mit verschiedenen Techniken und Stilen experimentiere. Mit der Zeit hat sich für mich eine ganz bestimmte Herangehensweise für das Zeichnen unterwegs herauskristallisiert. Da ich so wenig Material wie möglich mitnehmen wollte habe mich auf ein Set von drei wasserfesten Stiften mit unterschiedlicher Spitze zum Vorzeichnen festgelegt. Zusätzlich einen Farbkasten mit Aquarellfarben, der später durch Gouache ersetzt wurde. Auf diese Weise konnte ich gezielt farbige Akzente setzen, die den Zeichnungen mehr Tiefe und Lebendigkeit verleihen. Mir war es besonders wichtig, den typischen Look eines Skizzenbuchs beizubehalten, eine Mischung aus Schlichtheit und Ausdruckskraft. Mal habe ich mit dezenten Farbtönen gearbeitet, die nur angedeutet wurden, mal habe ich kräftigere Farben verwendet, um bestimmte Elemente hervorzuheben. Doch das wichtigste Kriterium war für mich, ein harmonisches Zusammenspiel aller Skizzen zu erreichen: Jede Zeichnung sollte ihre eigene Atmosphäre haben, aber gleichzeitig gut ins Gesamtbild des Buches passen.
Welche Motive haben dich dabei vor besondere Herausforderungen gestellt?
Das Skizzieren während einer Aufführung, etwa im Theater, im Hofgarten oder in der Stadthalle, war durch das Zeichnen in der Dunkelheit eine besondere Herausforderung. Ich hatte versucht mit einer kleinen Leselampe Abhilfe zu schaffen, doch ich wollte niemanden zu sehr stören oder ablenken. Und es ist eigentlich immer so, dass meine Aufmerksamkeit auf der Zeichnung liegt und ich im Zeichenprozess mein Umfeld aus den Augen verliere. So kam es, dass ich am Dalberg beinahe von einem Auto erfasst wurde oder nach einer Zeichensitzung in der Fasanerie völlig von Mückenstichen übersät nach Hause kam. Es gab auch Momente, in denen sich Passanten oder sogar Autos direkt in mein Blickfeld stellten. Nach einem kurzen Hinweis wurde dann aber freundlicherweise umgeparkt oder Platz gemacht.
Gibt es dein ganz persönliches Lieblingsmotiv im Buch?
Alle Bilder sind eng mit den Erlebnissen verknüpft, die ich während des Skizzierens hatte. Jede Zeichnung ist für mich speziell und erzählt ihre eigene Geschichte, weshalb es mir schwerfällt, einzelne Motive herauszuheben. Wenn ich jedoch einige nennen müsste, die meine Künstlerseele besonders berührt haben, dann wären es das Konzert im Colos-Saal, bei dem die Energie im Raum förmlich spürbar war, oder die kreative Atmosphäre, die ich erleben durfte, als ich Demian Sky bei seinem Musikprozess begleiten konnte. Auch die herzliche und berührende Stimmung im Café Grenzenlos hat mich nachhaltig beeindruckt. Natürlich könnte ich diese Liste fortsetzen, aber am Ende würde ich vermutlich jede Zeichnung aufzählen, denn jede hat auf ihre Weise eine besondere Bedeutung für mich.
Ist Aschaffenburg für dich mit diesem Buch final erzählt, oder gibt es noch weitere Orte, die eine Skizze wert wären?
Aschaffenburg ist für mich mit diesem Buch nicht endgültig erzählt. Das war mir aber bereits zu Beginn bewusst, dass es mir nicht möglich sein wird in der Kürze der Zeit die Stadt vollumfänglich für jeden entsprechend aufzuzeigen. Ich habe auch noch unveröffentlichte Arbeiten, die es aus Platzgründen nicht ins Buch geschafft haben. Weitere Orte, die mich noch reizen würden wären Szenen in der die Eis- oder Schwimmhalle, die Herstallstraße oder auch die Großmutterwiese. Auch das Nachtleben der Stadt als Thema, zum Beispiel im Quincy Schultz, hätten ihren Reiz.
Welche Projekte stehen bei dir als nächstes auf dem Plan? Auf was dürfen wir uns freuen?
Am 22.2 gibt es im Urban Art Market in der Riesengasse eine Signierstunde für das Aschaffenburger Skizzenbuch. Darüber hinaus könnte es sein, dass noch in diesem Jahr einige Fassaden in Aschaffenburg mit farbigen Gemälden verziert werden. Ein weiteres Highlight, das bereits feststeht und auf das ich mich freue, ist eine umfangreiche Ausstellung zum Aschaffenburger Skizzenbuch, die am 1.10. im Stadt- und Stiftsarchiv eröffnet wird.