Wie stellt man sich einen Kunsthistoriker vor? Tweed-Sakko, Fliege, strenger Blick und wenig Witz? Dass man damit aber auch sowas von daneben liegen kann, weiß man, seit Johannes Honeck hier ist. Er studierte Kunst- und Bildgeschichte, arbeitete danach in verschiedenen Häusern in Berlin, Freiburg, Baden-Baden, Mannheim und ist seit Dezember 2024 der neue Leiter des Christian Schad Museums und der Kunsthalle Jesuitenkirche. Warum es ihn aus der pulsierenden Metropole Berlin mittlerweile nach Aschaffenburg gezogen hat, er am liebsten Sitzsäcke im Arkadenhof hätte, wie ein Museum zu einem offenen Ort der Begegnung werden kann und vieles mehr hat er im FRIZZ-Gespräch verraten.
FRIZZ Das Magazin: Klär uns bitte erstmal über deine Herkunft auf!
Johannes Honeck: Ich bin in Villingen-Schwenningen geboren und auf der Bodenseehalbinsel Höri in einem 1.000-Seelen-Fischerdorf aufgewachsen. Dort, wo man mit Dix und Hesse zwangsläufig früh in Berührung kommt. Selbst wenn man, wie ich, aus einer Ingenieursfamilie kommt, wird Kunst und Kultur dort direkt eingeimpft (lacht).
Mit der Lokalbrille auf der Nase würden wir sagen: Berlin, Freiburg, Jena, Baden-Baden, Mannheim, Aschaffenburg. Deine Stationen lesen sich wie eine logische Reihenfolge …
… da stimme ich zu! (lacht)
… ohne Lokalbrille stellt sich uns dann doch allerdings die Frage: warum?
Habe ich gerade gesagt, es ist die logische Konsequenz (lacht). Im Ernst: Bei mir persönlich steht die Aufgabe immer an erster Stelle. Soll heißen, wir verbringen so viel Zeit im Leben mit Arbeit, da will ich einen Job haben, der mir auch wirklich Spaß macht. Und hier in Aschaffenburg die Leitung für zwei tolle Häuser zu übernehmen, trifft das eben ganz genau. Mit Christian Schad als dem Meister der Neuen Sachlichkeit hatte ich in Mannheim schon viele Berührungspunkte und dazu die Kunsthalle Jesuitenkirche als Wechselausstellungshaus – für mich persönlich hat Aschaffenburg einfach ideale Voraussetzungen. Zum einen beruflich und – wie ich immer mehr merke – auch persönlich.
Wobei eine Kleinstadt dann doch weniger urbanen Lifestyle versprüht als Berlin. War dieser Cut für dich eine große Umstellung?
Also erstens ist Aschaffenburg ja gar nicht so klein und zweitens ist mit Frankfurt eine Metropole direkt vor der Tür. Wenn ich mal Lust auf Großstadt habe, dann fahre ich halt dorthin. Für mich nicht schlimm, denn für die Strecke vom Ostkreuz ans Westkreuz in Berlin war ich wesentlich länger unterwegs (lacht). Es geht darum, sich wohlzufühlen und die Kultur, egal ob Musik, Theater, Museen etc. zu nutzen, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Und das kann man in Aschaffenburg sehr, sehr gut. Ich habe zwar als Hauptwohnsitz immer noch mein WG-Zimmer in Berlin, da bin ich aber nur noch sehr selten, unter anderem auch, weil es hier so viel zu entdecken gibt.
Welcher Impuls hat dich Kunsthistoriker werden lassen?
Ich habe zuerst zwei Semester Jura und dann BWL studiert, war aber schon immer mehr an Kunst und Kultur interessiert. Kunstgeschichte ist ein spannendes Feld, in dem auch immer schon gesellschaftliche Fragen diskutiert und mit bildnerischen Mitteln Kommunikation und Politik betrieben wurden. Auf der anderen Seite steht die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die einfach so viel lehrt. Dieses Spannungsfeld hat mich schon immer fasziniert und wird zum Beispiel durch einen Künstler wie Christian Schad auch perfekt abgebildet. Erst gestern bin ich wieder durch das Museum gelaufen und habe mir gedacht: Irre, wie ein einzelner Künstler so viele Stile so prägend durchdekliniert hat!
Entspricht das Werk Christian Schads auch deinen persönlichen Vorlieben in der Kunsthistorie?
Ich bin ein großer Fan der Neuen Sachlichkeit und auch der Art, wie dort der Umbruch in den Goldenen 1920ern behandelt wurde. Jeder kennt den Begriff, aber diese Zeit war auch düster und dunkel. Diese Diskrepanz hat Christian Schad als spannende Figur der Kunsthistorie sehr deutlich gemacht.
Du bist mit „Kulturhock“ und „Open Office (s. Seite 38 dieser Ausgabe)“ als neuen Eventkonzepten gestartet. Warst du skeptisch, ob deine Ideen hier bei uns funktionieren?
Nein, überhaupt nicht. Es hat schon seine Gründe, warum so tolle Museen in Aschaffenburg stehen. Ich möchte Einladungen aussprechen, gemeinsam mit allen Interessierten auf dieser Basis etwas zu entwickeln und in einen Austausch zu kommen. Deshalb auch der „Kulturhock“, der als ungezwungene Plattform für alle da sein soll, die unsere Museen als neues Erlebnis wahrnehmen wollen.

© Till Benzin
Johannes Honeck
Gilt es, die manchmal überholten Museumsassoziationen durch einen zeitgemäßeren Umgang mit Kunst zu ersetzen?
Mit einem Wechselausstellungsraum wie der Kunsthalle Jesuitenkirche hat man Möglichkeiten, auch mal aktuelle oder augenscheinlich ungewöhnlichere Themen zu bespielen. Das kann übrigens durchaus unter Einbeziehung historischer Gemälde geschehen. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden, an der ich auch mitgearbeitet habe, hat sich beispielsweise mal mit der Entwicklung des Geldes beschäftigt. Das beginnt dann ganz früh mit den ersten Abbildungen von Geld in der Kunst und entwickelt sich als Bildergeschichte bis zum künstlerischen Umgang mit Begriffen wie Krypto. Eine andere Idee ist zum Beispiel, Luft in der Kunst sichtbar zu machen. Das geschah nämlich sowohl schon auf mittelalterlichen Bildern, ist aber auch Gegenstand einiger aktueller Künstler. Ein super spannendes Feld!
„Kulturhock“ und „Open Office“ wurden bereits angekündigt. Gibt es weitere Ideen, über die wir reden können?
Mein Schwerpunkt ist einfach, beide Häuser weiter zu öffnen und da spielen natürlich der „Kulturhock“ und das „Open Office“ zentrale Rollen. Neben einem spannenden Ausstellungsprogramm würde ich zudem gerne auch mehr Gesprächsformate in der Kunsthalle etablieren, wo wir jüngst zum Beispiel mit Anette Hawel von der ehemaligen Galerie Capriola einen sehr tollen Auftakt hatten. Gerade die Zusammenarbeit mit den regionalen Künstlern hier vor Ort ergibt unzählige Ansätze. Auch habe ich große Lust, mit der überwältigen Architektur der Gebäude hier umzugehen; da gibt es schon viele Ideen, die in meinem Kopf herumspuken. Mir ist einfach sehr daran gelegen, noch vorhandene Barrieren abzubauen. Ein Wunschszenario von mir ist, dass es hier zugeht wie im Museumsquartier in Wien: Ein paar Sitzsäcke im Hof, die Leute wuseln darauf herum und haben Lust darauf, das hier als ihren eigenen Ort zu begreifen. Warum nicht beispielsweise auch mal ein Yogakurs im Museumshof?
Du wirst zur Museumsnacht auch selbst Führungen anbieten. Was versprichst du dir von den Kulturtagen persönlich und wie wichtig ist es dir, mit den Besuchern direkt in den Austausch zu kommen?
Genau diese Nähe zu den Besuchern und Gästen verspreche ich mir. Ich will wissen, was sich die Menschen hier von uns wünschen und mit welchen Motiven sie zu uns kommen. Ich sehe die Kulturtage quasi als Entdeckungsreise und freue mich auf die ganzen Dialoge, die im Rahmen einer Führung entstehen.
Bist du der Meinung, dass eine Affinität zur Kunst durch einen entsprechenden Umgang im eigenen Zuhause oder in der Schule nachhaltig geprägt werden kann?
Das ist eine spannende Frage, weil es auch ein gesellschaftliches Thema ist und wieder viel mit dem Abbau von Barrieren zu tun hat. Viele junge Menschen haben gar keine Möglichkeit, ins Museum zu gehen und bekommen daheim auch gar nicht vermittelt, dass ebendiese Möglichkeit besteht. Auch hier ergeben sich wieder Ansatzpunkte, gezielt mit Schulen oder Einrichtungen in den Dialog zu gehen, um herauszufinden, was wir in dieser Beziehung besser machen können. Ich persönlich werde zwar kein TikTok mehr machen, weil ich zu alt bin (lacht), aber vielleicht haben ja Schülergruppen Lust, das Christian Schad Museum auf TikTok zu bringen. Die würden bei mir offene Türen einrennen.
Du bist seit fünf Monaten hier. Welche Eigenheiten sind dir an den Aschaffenburgern aufgefallen?
Hier sind alle unfassbar aufgeschlossen und hilfsbereit. Jeder hat Bock, dir zu zeigen, was die Stadt kann. Gestern Abend durfte ich im Schlappeseppel in den alten Eiskeller schauen. Das ist ein ziemlich cooler Ort, der mich total beeindruckt hat.
Hast du neben dem Eiskeller auch schon andere Lieblingsspots für dich gefunden?
(lacht) Ich wohne ja in der Herschelgass’ und da habe ich es nicht weit ins Gully und da bin ich ziemlich gerne!
Kannst du auch selbst malen oder bist künstlerisch begabt?
Ich hatte meinen Kunst-Grundkurs bis zum Abitur, weil mir das Spaß gemacht hat. Aber Kunst zu erschaffen, überlasse ich dann doch lieber den Profis! (lacht)