Von der Antilopengang über Ferdinand von Schirach bis hin zu den Wiener Philharmonikern – für den neuen Leiter des Aschaffenburger Kulturamts ist der weitläufige Oberbegriff viel mehr als ein Job – er ist im wahrsten Sinne des Wortes sein Leben.
Jörg Fabig, vielen als leitender Dozent an der Aschaffenburger Musikschule ein Begriff, übernimmt das Amt des Chefs im hiesigen Kulturamt in Kürze von seinem Vorgänger Burkard Fleckenstein. FRIZZ Das Magazin hatte die Möglichkeit, mit ihm vorab über Respekt vor dem neuen Job, die Liebe zur Kultur, sein Faible für Digitales und den bevorstehenden kulturellen Neubeginn post Corona zu sprechen.
FRIZZ Das Magazin: In Kürze wirst du dein neues Amt als Leiter des Aschaffenburger Kulturamts übernehmen. Dein Vorgänger hat das kulturelle Leben in Aschaffenburg durch sein Wirken nachhaltig geprägt – was überwiegt im Moment bei dir: Vorfreude auf die neue Aufgabe oder Respekt vor den durchaus großen Fußstapfen von Burkard Fleckenstein?
Jörg Fabig: Es überwiegt die Vorfreude, ganz klar. Ich bin ein Mensch voller Tatendrang, der nach vorn denkt und auch das Risiko nicht scheut. Daher freue ich mich vor allem darauf, bereits jetzt ab Juni mit den Sommerbühnen einen Akzent setzen zu können und mitzuhelfen, die Kultur aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, in dem sie die letzten Monate verbringen musste. Aber selbstverständlich habe ich allergrößten Respekt vor dem, was Burkard Fleckenstein in den letzten zwei Dekaden hier unter Oberbürgermeister Klaus Herzog aufgebaut hat. Durch seinen unermüdlichen Einsatz, sein Qualitätsbewusstsein und feines Gespür, sein Geschick und seine Beharrlichkeit hat er Dinge auf den Weg gebracht, Formate ausgefeilt, Netzwerke geknüpft und Bedingungen geschaffen, in denen Kultur sich entfalten und blühen kann. Dafür gebührt ihm großer Dank, nicht nur von uns Mitarbeitern des Kulturamts und den Kulturschaffenden, sondern von der gesamten Stadtgesellschaft.
„Ich bin fast auf den Tag genau so lange Beschäftigter der Stadt Aschaffenburg, wie Burkard Fleckenstein Kulturamtsleiter ist.“
Was möchtest du deinem Vorgänger mit in den Ruhestand geben?
Vor allem anderen ein herzliches, tief empfundenes „Dankeschön!“. Ich bin fast auf den Tag genau so lange Beschäftigter der Stadt Aschaffenburg wie Burkard Fleckenstein Kulturamtsleiter ist. Meine gesamte berufliche Entfaltung hier hat in dieser wesentlich von ich geschaffenen Atmosphäre der Akzeptanz und Wertschätzung für kulturelle Arbeit stattgefunden und hat mir unglaublich große Möglichkeiten verschafft. Den wenigsten Musikpädagogen ist bewusst, wie wichtig die politische Arbeit im Hintergrund ist, die für die Rahmenbedingungen sorgt und die Räume schafft – im wahren wie im übertragenen Sinne. Durch meine Verbandsarbeit und Dozententätigkeit bin ich viel im gesamten deutschsprachigen Raum herumgekommen und kann aus tiefster Überzeugung sagen: Die Bedingungen in Aschaffenburg sind außergewöhnlich gut und ermöglichen qualitätsvolles Arbeiten mit nachhaltigen Ergebnissen. Das ist nicht zuletzt dein Verdienst, lieber Burkard! Im vergangenen Jahr hatte ich das große Glück, von einem Teil meiner Unterrichtsverpflichtungen entbunden zusein und in die neue Funktion hineinzuwachsen. Burkard Fleckenstein hat mir von Anfang an Bereiche zugewiesen, in denen ich eigenverantwortlich agieren und entscheiden konnte und mich in die Strukturen und Arbeitsabläufe, die ich noch nicht kannte, eingeführt. Das war und ist eine schöne Zeit, und ich möchte mich für das Vertrauen, die Offenheit und Gründlichkeit, mit der ich eingearbeitet wurde und werde, herzlich bedanken. Burkard ist mir über die Jahre auch persönlich ans Herz gewachsen und privat möchte ich ihm auf den Weg geben: Genießedie Zeit, die vor dir liegt, bleib gesund, entdecke Neues, lebe im Augenblick – deine liebenswerte Frau Bettina freut sich ganz gewiss, dich mehr als bisher an ihrer Seite zu haben.
©Till Benzin
Stadttheater
Du bist Schlagzeugdozent von internationalem Renommee, hast Fachbücher veröffentlicht, bist gefragter Workshop-Leiter und warst und bist viel live unterwegs – wie groß ist der Schritt von der Berufsmusik in ein Amt?
Vor knapp zehn Jahren wurde ich schon einmal gefragt, ob ich an anderer Stelle in eine Leitungsfunktion wechseln möchte. Damals habe ich überlegt, kam aber sehr schnell zu dem Schluss, dass mir das Unterrichten und das Musizieren viel zu wichtig und wertvoll ist. Ich liebe die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und stehe auch gern auf der Bühne. Diese Arbeit erfüllt mich jetzt seit fast einem Vierteljahrhundert. Ich bin 49 Jahre alt und werde noch knapp zwei Jahrzehnte berufstätig sein – und da ist es für mich der richtige Zeitpunkt, noch einmal andere Herausforderungen zu suchen. Man soll immer dann aufhören, wenn es am schönsten ist, und mit dem Unterrichten und Konzertieren werde ich im Juli aufhören. Natürlich gibt es da ein weinendes Auge, es wäre unehrlich, das zu leugnen. Aber: Die Vorfreude überwiegt! Was die Wenigsten wissen, bereits als Schüler und Student war ich sehr aktiv in kulturellen und politischen Initiativen, habe Veranstaltungen organisiert, mich in Interessenvertretungen engagiert und vernetzt. Und ich hatte und habe ein großes Faible für Digitaltechnik, habe früh Computer zusammengeschraubt, Software selbst programmiert, mit 18 war ich Geschäftsführer einer eigenen Datenverarbeitungs-GmbH. Wir haben Schulen mit Netzwerken ausgestattet, diese administriert, Schüler und Lehrer geschult und qualifiziert. An diese Fähigkeiten und Leidenschaften anzuknüpfen und den spannenden Digitalisierungsprozess, in dem wir stecken, aktiv mitzugestalten, reizt mich ungemein. Auch hier haben wir in Aschaffenburg bereits jetzt hervorragende Rahmenbedingungen geschaffen, die fundamentale Bedeutung dieser Entwicklung erkannt und beginnen damit, diese in der Verwaltung abzubilden. Mich hier mit eigenen Impulsen einzubringen und den Bedürfnissen kultureller Institutionen Gehör zu verschaffen, empfinde ich als ein Privileg und eine angenehme Pflicht.
Kultur ist so viel mehr als „nur“ Musik. In welche Sparten des riesengroßen und doch so kleinteiligen Oberbegriffs „Kultur“ musst du dich noch besonders einarbeiten?
Für den Bereich der bildenden Kunst möchte ich Folgendes sagen: Ich habe hier einen Geschmack, eine Meinung und eine große Leidenschaft – aber mir fehlt Expertise. Zum Glück kann ich hier bei Bedarf immer auf die Kollegen bei den Museen der Stadt zurückgreifen und „Amtshilfe“ bekommen. Ich möchte mich allerdings auch nicht auf die Musik allein reduzieren lassen. Theater hat in meiner professionellen Ausbildung und Entwicklung immer eine große Rolle gespielt – ob als Bühnenmusiker in Sprechtheaterproduktionen, Orchester- oder Bandmitglied in großen Opernproduktionen und Musicalshows oder experimentellen Produktionen habe ich mit großer Leidenschaft mitgewirkt und tiefe Einblicke gewonnen. Ich bin in Frankfurt geboren und habe viele Jahre in dieser Metropole gelebt. In den 1980er-Jahren hat William Forsythe dort das Ballett revolutioniert und ganz wesentlich die Weiterentwicklung zu dem, was Tanztheater heute ist, in Gang gebracht und geprägt. Ich habe diesen Prozess miterlebt, war fasziniert und begeistert. Kultur wird für mich vor allem dann besonders spannend, wenn Grenzen überschritten werden. Insofern halte ich Spezialistentum zwar für wichtig, um die jeweiligen Sparten qualitativ voran zu bringen, aber ein offener Geist und Neugier sind ganz wichtige Voraussetzungen, um Kultur insgesamt weiterzuentwickeln und die Genres miteinander zu verbinden. Als Schlagzeuger ist man hier prädestiniert – Schlagzeug war immer ein Motor von Innovation und Neudefinition, begonnen im klassischen Orchester über die Musik der Zwischenkriegszeit und die Erfindung des Drumsets. Wer bedient heute in den progressiven Bands die elektronischen Tools? Das sind neben den Keyboardern vor allem die Drummer, die sich übrigens immer mehr auch als Musikalische Leiter in den Bereichen Pop, Rock und Musical betätigen. Also um auf die Frage zurückzukommen: Ich habe Expertise natürlich vor allem im Bereich Musik, aber viel Erfahrung in anderen Kunstbereichen und kilometerlange Wege auf schmalen Graten als Grenzgänger zwischen den Sparten hinter mir (lacht).
Jörg Fabig
Du bist ja tief in der Aschaffenburger Kulturszene verwurzelt. Was gefällt dir an der Kulturstadt Aschaffenburg prinzipiell besonders gut und wo siehst du noch Entwicklungspotenzial?
Der persönliche Kontakt zwischen den Akteuren, vor allem den professionell agierenden, ist sehr gut, die Wertschätzung und das Vertrauen groß. Ein kurzer Anruf, eine schnelle E-Mail ohne langes Vorgeplänkel, und schon sind die Fragestellungen geklärt, Details geregelt, Absprachen getroffen – ohne seitenweise Protokolle oder Verträge und stundenlange Sitzungen. Auch die Bildungseinrichtungen von den KiTas über die Schulen bis zur vhs, Stadt- und Stiftsarchiv und Stadtbibliothek bringen sich ein, fragen nach, äußern sich – das JUKUZ ist hier ein unverzichtbarer Baustein. Und alle arbeiten hochprofessionell, sind miteinander bestens vernetzt. Die Beteiligung und das Interesse der Kirchen, des Martinushauses, des SJR sowie der semiprofessionellen Initiativen, Vereine, Bündnisse sind großartig. Im Bereich der ehrenamtlichen Strukturen bin ich manchmal erstaunt, dass sich doch viele nur vom Sehen und Begegnen kennen und gar nicht so genau wissen, was der oder die jeweils andere eigentlich nun genau treibt. Da gibt es noch Luft nach oben in der Vernetzung. Ich sehe da Chancen für Synergien, Kooperationen, Tandems und vor allem auch für den notwendigen Generationenwechsel im ehrenamtlichen Bereich. Hier möchte ich Menschen zusammenbringen und Prozesse moderieren, das halte ich für eine meiner Kernkompetenzen.
„Ich mag alles, was authentisch, leidenschaftlich, spannend und mutig ist.“
Welche persönlichen Vorlieben hast du, wenn es um den privaten Besuch von kulturellen Events geht?
Um ehrlich zu sein: keine! Ich mag alles, was authentisch, leidenschaftlich, spannend und mutig ist. Um Beispiele zu geben für Events, deren Besuch ich (vor Corona) besonders genossen habe: Eine Show der Antilopengang im Colos-Saal, eine Theatervorstellung von Ferdinand von Schirachs „Gott“ in Schweinfurt, ein Konzert der Wiener Philharmoniker in der Alten Oper Frankfurt und eine Musiktheater-Performance von Mnozil Brass in Wiesbaden.
Die aktuelle Corona-Pandemie hat das kulturelle Leben insgesamt bereits seit über einem Jahr nahezu stillgelegt. Hast du Angst vor einem nachhaltigen Schaden im kulturellen Bereich? Und welche Wege siehst du, das kulturelle Leben irgendwann wieder auf ein Vor-Corona-Niveau zu bringen?
Wenn man in die Geschichte schaut, haben große Menschheitskatastrophen – und diese Pandemie ist so eine NICHT, auch wenn sie uns alle Nerven und Kraft kostet – immer auch zu Veränderungen und Innovationen in der Kunst und Kultur geführt. Ein Beispiel ist die Zwischenkriegszeit der 1920er-Jahre, die eine kulturelle Blütezeit war und ganze Genres neu hervorgebracht hat, nicht zuletzt weil die vorigen Formate nicht mehr finanzierbar waren. Künstler zeichnen sich aus durch Kreativität, die Lust am Neuen. Auch wenn es sich im Moment gerade überhaupt nicht so anfühlt, wir werden einen spannenden Neubeginn erleben, neue Formate etablieren sich, frühere Selbstverständlichkeiten werden neu betrachtet, vormals Utopisches wird selbstverständlich. Ein Beispiel aus dem Bereich Tanztheater: Für heutige Jugendliche, sagen wir mal 15-jährige, ist die Pandemie-Zeit, in der Berührungen zwischen Menschen quasi tabu sind, bereits jetzt etwa ein Zehntel ihrer bewusst erlebten Lebenszeit. Ein Jugendlicher wird im Tanztheater inszenierte Berührungen mit ganz anderen Augen sehen, als ein Mensch aus unserer Generation. Das eröffnet auch neue Möglichkeiten und Perspektiven.
Gibt es Projekte, die du direkt zum Start umsetzen möchtest?
Wie oben beschrieben – die Sommerbühnen im Alten Forstamt und im Nilkheimer Park sollen ein Signal setzen: die Aschaffenburger Kulturszene und auch die Institutionen und Vereine leben, arbeiten, entwickeln Konzepte und Strategien, machen Kunst und Kultur. Das wollen wir abbilden und arbeiten mit Hochdruck an der konkreten Ausgestaltung, immer mit dem Damoklesschwert der Infektionsschutzverordnungen über uns, das von jetzt auf gleich die Planungsarbeit von Monaten hinwegfegen kann.
„Ich möchte unsere ,kleineren’ Festivals – die Gitarrentage und das Carillonfest – weiterentwickeln.“
Und zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Welche Ziele würdest du in deinem ersten Jahr als Kulturamtsleiter auf jeden Fall erreichen wollen?
Ich möchte unsere „kleineren“ Festivals – die Gitarrentage und das Carillonfest – weiterentwickeln und habe bereits konkrete Pläne und arbeite schon an deren Umsetzung. Unter „mittelfristig“ verstehe ich eher einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, in der „amtlichen“ Kulturpolitik denken wir weit voraus. Wir haben beispielsweise bereits die ersten Termine für 2023 in der Spielzeitplanung gebucht. Und in diesem Zeitraum wird die Weiterentwicklung der Städtischen Musikschule und die Verjüngung des Publikums bei unseren Veranstaltungen aller Sparten ganz oben auf meiner persönlichen Agenda stehen.
Lieber Jörg, vielen Dank für das Gespräch und ganz viel Freude und Erfolg in deinem neuen „Amt“!