„… selbstverständlich habe ich allergrößten Respekt vor dem, was Burkard Fleckenstein in den letzten zwei Dekaden hier unter Oberbürgermeister Klaus Herzog aufgebaut hat.“ (Jörg Fabig, ab 1.7. neuer Kulturamtsleiter, im Gespräch mit FRIZZ Das Magazin Aschaffenburg 5|2021)
Dieser Aussage können wir FRIZZen uns nur anschließen. Zudem sind wir der Meinung, Burkard Fleckenstein – aufgrund seiner „öffentlichen“ Tätigkeiten in mehr als 40 Jahren mitsamt seiner Professional Skills – nicht mehr vorstellen zu müssen. So haben wir mit dem nahezu ausschließlich in der Schublade mit der Aufschrift Kultur einsortierten 66-Jährigen stattdessen einfach mal querbeet geplaudert und einige Fun Facts in Erfahrung gebracht, die der gebürtige Hösbacher rausgerückt hat.
FRIZZ Das Magazin: Hatten Sie in Ihrer Zeit als Leiter des Kulturamts mal den Gedanken „Wäre ich nur in der (Musik-)Schule geblieben“?
Burkard Fleckenstein: Nein, eigentlich nie. Der Kontakt zur Musikschule blieb ja erhalten und wurde mir umso wertvoller, je weniger ich dort zu tun hatte. Mir ging jedes Mal das Herz auf, wenn ich Schülerinnen und Schüler der Musikschule dort, im Theater oder woanders gehört habe.
Welcher Job hat Sie – im Nachhinein betrachtet – persönlich am meisten weitergebracht: die Arbeit an weiterführenden Schulen, an der Städtischen Musikschule oder die Leitung des Aschaffenburger Kulturamts?
Jeder Job auf seine Weise – jeder scheint mir gleich wichtig: Ich habe großen Respekt vor Kolleginnen und Kollegen an den allgemeinbildenden Schulen und an der Musikschule. Es gehört unendlich viel Geduld, Leidenschaft und Durchhaltevermögen dazu, Schülerinnen und Schüler zu begeistern, bei der Stange zu halten und mit der notwendigen Mischung aus Konsequenz, Motivation und Zuwendung zu fordern und zu fördern.
Besonders lagen mir die Projekte am Herzen, die einen unmittelbaren Bezug zu unserer Stadt herstellen.
Unter Ihrer Ägide wurden viele neue Projekte auf den Weg gebracht, durchgeführt und für die Zukunft fixiert. Kulturtage, Brentano-Akademie, Theaterförderverein, Internationaler Wettbewerb für Kammermusik mit Gitarre, Theaterumbau, um nur einige zu nennen. Welches dieser Projekte war für sie ein Herzensprojekt – etwas ganz Besonderes, worauf Sie stolz und gerne blicken?
Besonders lagen mir die Projekte am Herzen, die einen unmittelbaren Bezug zu unserer Stadt herstellen: Angefangen beim Sterkel-Jubiläum Ende 2000 über das Heinse-Jahr bis hin zu Grünewald, Cranach und Brentano. Den Versuch, die überzeitliche Bedeutung dieser mit Aschaffenburg verbundenen Künstler und Geistesgrößen deutlich und mit Vermittlungsformen des 21. Jahrhunderts dem Publikum zugänglich zu machen, empfand ich als eine große Herausforderung. Markantes Beispiel dafür war die Aufführung von Sterkels einziger Oper „Il Farnace“ 2017, aufgeführt anlässlich des 200. Todestags des Komponisten. Es war die Zusammenarbeit mit dem Originalklangensemble Accademia di Monaco sowie Solisten und einem Regieteam der Theaterakademie August Everding in München. Das junge Regieteam setzte nicht auf museale Darstellung, sondern akzentuierte, interpretierte langatmige Rezitative neu und hinterfragte den Opernstoff auf seine eigene Weise. Daran entzündeten sich heftige Diskussionen, die versammelte Musikwissenschaft war entsetzt, Opernliebhaber wandten sich entrüstet ab. Ich konnte dem Interpretationsansatz viel abgewinnen, hatte natürlich den Vorteil, die Entstehung der Produktion zu erleben, zu begleiten und manche Krise zu schlichten. Und eine anerkennende Rezension in der FAZ ist ja auch etwas wert.

© Stefan Gregor
Burkard Fleckenstein
Welche Aufgabe hat sehr viel Ihrer Geduld erfordert/Sie besonders viele Nerven gekostet?
Verwaltungsarbeit kostet mich viel Überwindung – ich weiß, dass sie sein muss und habe höchsten Respekt vor allen, die tagein, tagaus Berge von Dokumenten und E-Mails abarbeiten. Ich musste mich immer dazu zwingen, halbwegs ordentlich zu arbeiten. Wenn beispielsweise ein Zuschussantrag gestellt und bewilligt war, befand ich mich gedanklich schon wieder beim nächsten Projekt. Dann kostete es besonders viel Überwindung, den abschließenden Verwendungsnachweis frist- und sachgerecht abzuliefern.
Sie treiben Ausdauersport, sind sogar schon beim Boston-Marathon mitgelaufen. Hat Ihnen diese Aktivität geholfen, den kulturellen Kopf auch mal freizukriegen?
Klar, Laufen macht den Kopf frei, löst manchen Knoten und relativiert. Am Anfang eines Laufs sieht man Probleme, am Ende die Lösung. Mitunter formuliere ich während eines Laufes ganze Briefe – das Dumme ist nur: Bis ich nach Hause gekommen bin, habe ich vergessen, was ich schreiben wollte.
Was hätten Sie gerne noch realisiert?
Es hätte die eine oder andere Eigenproduktion gegeben, die ich gerne noch realisiert hätte. Beispielsweise die vier Einakter „Mors Immoratalis“ von Kurt Eisner, die von dem in Aschaffenburg lebenden Eisner-Forscher Prof. Dr. Frank Jacob herausgegeben wurden. Auch theaterpädagogische Angebote hätte ich gerne in größerem Umfang realisiert. Die Jugend ist offen, muss aber aufmerksam gemacht werden auf Theater- und Musikangebote. Begegnungen mit Musikern, Schauspielern und Regisseuren machen Theater lebendig. In dem Bereich hätte ich gerne mehr realisiert.
Aschaffenburg verfügt über eine interessante, lebendige freie Szene.
Wo sehen Sie in der ja prinzipiell sehr lebendigen und vielfältigen lokalen Kulturszene noch Verbesserungs-/Ergänzungsbedarf?
Aschaffenburg verfügt über eine interessante, lebendige freie Szene. Es gibt viele förderungswürdige Projekte. Stellvertretend für viele Künstlerinitiativen nenne ich das M27 in Damm. In bescheidenem Rahmen unterstützen wir da z. B. im Rahmen der Beteiligung an den Kulturtagen, aber hier wäre zusätzliche Hilfe durchaus gerechtfertigt.
Was würden Sie – bezogen auf die lokale Kultur – sozusagen zeitlebens als Ihr „Vermächtnis“ bezeichnen?
Über mein Vermächtnis, wenn es denn eines geben sollte, lassen ich lieber andere urteilen.
Wenn Sie statt Kulturamtsleiter Oberbürgermeister (gewesen) wären, was würden Sie anders machen, was wäre Ihnen ein besonderes Anliegen?
So viel fällt mir da nicht ein. Vielleicht hätte ich das KirchnerHAUS kaufen lassen.
Was ist das Wesentliche, was Sie Ihrem Nachfolger Jörg Fabig mit auf den Weg gegeben haben?
Ich kenne Jörg Fabig seit 20 Jahren. Ich schätze ihn als intelligenten, kompetenten, zupackenden, engagierten, vielseitig interessierten und gebildeten Menschen. Es steht mir nicht zu, ihm Ratschläge zu erteilen, er wird seinen Weg gehen und ich bin zuversichtlich, dass er die richtigen Weichenstellungen vornimmt, das gesamte kulturelle Spektrum unserer Stadt im Blick haben wird und sich für ein hochklassiges Angebot in der ganzen Bandbreite einsetzen wird.
Es gibt gute und schlechte Kunst, es gibt Bleibendes und Flüchtiges, es gibt Nerv-tötendes und Erquickendes.
Finden sie die übliche Klassifizierung von Unterhaltungs- und Hochkultur heutzutage noch zeitgemäß oder sehen Sie eine immer stärkere Verschmelzung von Genres, Klassik und Moderne, Club und Theater als gewinnbringendes Konzept für die Zukunft?
Die Klassifizierung hilft wenig, weil sie nichts aussagt. Es gibt im Bereich der Hochkultur Unterhaltendes und im Bereich der Unterhaltungsmusik Anspruchsvolles. Es gibt elitäre Kunst, es gibt gefällige Kunst, es gibt in der Kunst Eintagsfliegen und progressive Elemente, die uns weiterbringen. Die Durchmischung der Genres ist nichts Neues: Gehen Sie heute ins Sprechtheater und erleben Sie, wie hier unterschiedlichste musikalische Elemente, Videokunst und Schauspielkunst zu einer Einheit finden! Nehmen Sie junge Streichquartette wie Vision String, die auf allerhöchstem Niveau anspruchsvollste Kammermusikliteratur darbieten und völlig unvermittelt daneben eigene Pop-Arrangements oder Adaptionen unterstützt von Lightshows zum Besten geben! Es gibt gute und schlechte Kunst, es gibt Bleibendes und Flüchtiges, es gibt Nervtötendes und Erquickendes und es gab und gibt die Verschmelzung der Genres und interessante Mischformen. Es gibt aber auch eine Reinheit und Eindeutigkeit in der Kunst. Ein vielgestaltiges Angebot lässt das alles zu seinem Recht kommen.
In den beiden Dekaden Ihrer Amtszeit hat sich in der Digitalisierung und Technisierung generell viel getan. Raubt die Modernität der Kultur teilweise ihren Zauber und ihre „Romantik“ des Einfachen und Ehrlichen?
Niemand hindert uns daran, zum Einfachen und Ehrlichen zurückzukehren – eine Tendenz, die übrigens im Sprechtheater vielfach zu beobachten ist. Überfrachtete Entwürfe mit dominierenden optischen und akustischen Elementen, die vom eigentlichen Sujet ablenken, werden vielfach abgelöst von Entwürfen, die die Einfachheit suchen und damit den Kern der Botschaft erkennbar werden lassen. Es gibt Entwicklungen, Tendenzen und die Abkehr davon. So bleibt das Bühnengeschehen interessant und diskussionswürdig.
In eine Disco werde ich mich vermutlich nicht verirren.
Welche Unternehmungen haben Sie sich unbedingt für Ihren Ruhestand vorgenommen, wo wird man Sie garantiert nie finden?
Wandern, Laufen, Gartenarbeit, Theater- und Konzertbesuche, in eine Disco werde ich mich vermutlich nicht verirren.
Sieht man Sie künftig als Cellist im Collegium Musicum? Oder in einer Position im Philharmonischen Verein?
Es gibt so viele gute Cellisten in Aschaffenburg, wenn ich, was ich mir tatsächlich vorgenommen habe, mein Cello in die Hand nehme, dann nur für mich, für den Hausgebrauch, für die Hausmusik … Mein ehrenamtliches Engagement wird eher in eine andere Richtung gehen.
Sie sind mit einer professionellen Musikerin/Musiklehrerin (Oboe/Klavier) verheiratet. Gibt es zuhause auch andere Themen als die Musik, haben Sie ein Hausmusik-Ensemble?
Wenn ich mit meiner Frau musiziere, haben wir ja schon ein Hausmusik-Ensemble. Aber dazu muss ich mich auf dem Cello erst wieder einigermaßen auf Vordermann bringen. Und natürlich gibt es andere Themen, z. B. gutes Essen und guten Wein.

© Till Benzin
Burkard Fleckenstein
Man sagt, Sie haben einen grünen Daumen. Steht ein Gartenzwerg in Ihrem Garten? Oder vielleicht sogar ein ganzes Orchester aus Gartenzwergen?
Das mit dem grünen Daumen ist relativ: Manche Kulturen gedeihen sehr gut in meinem Garten, manche weniger. So eilt mir der Ruf voraus, einer der größeren Knoblauchanbauer im Bachgau zu sein. Tatsächlich liefere ich bis nach Oberbayern und bin, was die Knoblauchversorgung anlangt, weitestgehend autonom. An Gartenzwerge habe ich bislang gar nicht gedacht, bringe ich auch nicht unter, die Salat- und Gemüsekulturen beanspruchen den gesamten vorhandenen Platz.
Welche Kulturstätten, Festivals, Festspiele etc. außerhalb Aschaffenburgs besuchen Sie gerne?
Ich gehe gerne dorthin, wo attraktive Programme hochklassig geboten werden.
Ihre heimliche Liebe gilt dem Jazz. Welchen Stil mögen Sie am Liebsten?
Besonders faszinierte mich in den siebziger Jahren die Soloidee mit Albert Mangelsdorff, Jean Luc Ponty, Chick Corea, John McLaughlin oder Gary Burton.
Welchen Jazzmusiker (lebend oder bereits gestorben) hätten Sie gerne mal nach Aschaffenburg geholt?
Keith Jarrett
Welches Instrument würden Sie als Jazzmusiker spielen?
Posaune
Ist das Erlernen eines neuen Instruments vielleicht noch eine Option für den Ruhestand?
Nein, mit den Vorhandenen bin ich gut ausgelastet.
Waren Sie schon mal beim Jazz-Festival in Montreux oder in einem amerikanischen Jazzclub?
In Montreux nicht, dafür habe ich in Schülerzeiten die deutschen Festivals abgeklappert, das Jazzfestival in der Jahrhunderthalle, die Berliner Jazztage, das International New Jazz Meeting Altena – vieles davon gibt es nicht mehr, höchst bedauerlich!
Haben Sie einen Lieblingskomponisten/-musiker/-dirigenten? Und wie sieht es bei Malerei und Theater aus?
… wechselt wöchentlich.
Was würden Sie gerne in einem überregionalen und renommierten Feuilleton über sich lesen?
… darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Und um mit den Worten von Jörg Fabig auch zu beschließen: „Durch seinen unermüdlichen Einsatz, sein Qualitätsbewusstsein und feines Gespür, sein Geschick und seine Beharrlichkeit hat er Dinge auf den Weg gebracht, Formate ausgefeilt, Netzwerke geknüpft und Bedingungen geschaffen, in denen Kultur sich entfalten und blühen kann. Dafür gebührt ihm großer Dank, nicht nur von uns Mitarbeitern des Kulturamts und den Kulturschaffenden, sondern von der gesamten Stadtgesellschaft.“ (Jörg Fabig, im Interview zu FRIZZ Das Magazin Aschaffenburg 5|2021)
Schönere und treffendere Worte könnten auch wir FRIZZen nicht finden. Wir freuen uns auf noch viele weitere Treffen post Amtsleitung in der (Aschaffenburger) Kulturszene und wünschen Dir nur das Beste für das kommende Kapitel im Buch des Lebens. DANKE, Burkard!