
© Oliver Stephanus
Kathrin Kempf
Kathrin Kempf schreibt Songs, die in Zach-Braff-Filmen in den Credits laufen sollten. Persönliche und verletzliche Indie-Perlen, die – wie die Musikerin selbst – gänzlich unprätentiös daherkommen. Momentaufnahmen, die das Leben ohne übertriebenes Pathos oder überbordende Theatralik abbilden. Im Oktober veröffentlicht die Exil-Aschaffenburgerin ihre Debüt-EP als Solokünstlerin. Facettenreiche Kompositionen, die die Bandbreite ihrer intimen Musik zeigen. Kempf selbst bleibt vorrangig eine sensible und nachdenkliche Musikerin mit der Abgebrühtheit und dem Erfahrungsschatz einer alten Seele. Wer sich auf Person und Musik einlässt, bekommt Geschichten von einer sich selbst und Sinn suchenden Generation.
Der symbolische Neuanfang beginnt nach einem längeren Aufenthalt in Australien. Eindrücke
wurden eingesaugt, kompensiert und nach der Rückkehr nach Deutschland in Musik umgewandelt. „Die Lieder sind Schnappschüsse der letzten Jahre“, berichtet die 30-jährige Sängerin Kathrin Kempf. „Die Stücke haben sich zusammen mit mir in den letzten Jahren entwickelt – die Aufnahmen spiegeln also das Beste wider, was ich zum jetzigen Zeitpunkt aus mir herausholen kann.“
Fachliche – aber auch freundschaftliche – Unterstützung erfuhr sie dabei von Labelbetreiber und Musiker Daniel Stenger (DJ Flashbaxx), der mit Baxxbeat Music in Aschaffenburg sein kleines Label betreibt und bereits für Nicki Wissel, Sbasstic oder Carlos Reisch als Produzent tätig war. Ein Jahr haben beide intensiv am Feinschliff der fünf Stücke gearbeitet. Waren fragmentarische Stücke wie „Wintersleep“ oder „Army Of Monsters“ gänzlich für Akustikgitarre ausgelegt, wurde Kempf für die Aufnahmen von befreundeten Musikern unterstützt. Somit atmen ihre Stücke die Wärme einer ganzen Band.
Ob mit ihrem ehemaligen Singer/Songwriter-Projekt Silent Revolution oder der Indie-Rock-Band Blindshots: Kathrin Kempf trifft mit ihren Texten den Nerv ihrer Zeit, beobachtet, analysiert, lebt und leidet zusammen mit ihren Zuhörern. Da wäre zum Beispiel das sehnsuchtsvolle Eröffnungsstück „Wintersleep“: Ein Lied, das vom Nachhausekommen handelt. Gleichzeitig ist es eine Hommage an das Reisen – eine lehrreiche Freizeitbeschäftigung, der immer mehr junge Menschen verfallen, die lieber die weite Welt sehen möchten, als auf Karriere, Familie und lineare Lebensentwürfe zu setzen.
In „Little Boxes“ hinterfragt Kempf die Strukturen moderner Beziehungen: „Oft begibt man sich bei einer Beziehung in eine Rolle oder ein Muster und stellt fest, dass man das eigentlich doch alles gar nicht ist. Es macht unglücklich, wenn wir uns zu sehr vom Partner abhängig machen. Ich finde, dass wir uns in einer Liebesbeziehung mitsamt unserer Macken jederzeit wieder ineinander verlieben und verlieren sollten. Ich hinterfrage die heutige Erwartungshaltung moderner Beziehung. Alles muss perfekt sein – da möchte ich nicht mitmachen.“
Die Musikerin, die hauptberuflich als Erzieherin in Frankfurt arbeitet, findet aber auch immer mehr zu ihrer politischen Stimme. So konfrontiert sie ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe immer wieder aufs Neue mit unfassbaren Schicksalen und Geschichten, die sie als Mensch reifen lässt. Sich selbst würde Kempf als linkspazifistisch beschreiben. In ihrem metaphorischen Stück „Army Of Monsters“ rechnet sie mit rassistischem Gedankengut ab und findet nichts als Verachtung für menschenfeindliches Denken.
Wenn man sich mit Kathrin Kempf unterhält, bekommt man stets interessantes Gedankengut zu hören. Wenn man sie reden lässt – denn während die junge Musikerin auf der Bühne regelrecht in ihrer Performance auftaut, umgibt die private Person ein Hauch von Melancholie, der ihr manchmal eine gewisse Schwere verleiht. Sie selbst sieht das anders: „Eigentlich bin ich ein glücklicher und zufriedener Mensch, der eben nachdenkliche Musik macht. Dennoch ist die Melancholie nicht mehr so präsent wie früher. Wir werden alle älter und spüren, dass das Leben kein Film ist. Ich möchte authentisch bleiben.“
Kathrin Kempfs kurzweilige EP „Silver Spoon“ ist somit ein kohärentes, atmosphärisches Gesamtwerk geworden. Musik, die pastelligen Alltagsobservationen in verwunschenen Baumhäusern eine neue Perspektive als Traumfänger verleiht und immer die Poesie des eigenen Daseins im Kontext betrachtet.