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Ein realistisches Szenario in Sierra Leone: Ein misshandeltes Mädchen, traumatisiert und schwanger. Wie kann sie dieses Erlebnis überwinden? Weiß sie, wie man sich um ein Neugeborenes kümmert? One Day e. V. hilft diesen Mädchen mit seinem Projekt -HOPE. Vorsitzende Saskia Schmidt erzählt den FRIZZen genaueres. Ein Interview voller Staunen, Entsetzen und Hoffnung.
FRIZZ Das Magazin: Zuerst einmal die Frage, was ist das Projekt HOPE genau?
Saskia Schmidt: HOPE ist seit 2017 ein Partnerprojekt zwischen uns und der NGO „commit and act“. Dabei handelt es sich um einen Zufluchtsort für Mädchen bis 17 Jahren, die sexuell missbraucht wurden. Pro Jahr durchlaufen circa 280 Mädchen, davon 80 mit Babys das „commit-and-act-Shelter“. Wir kümmern uns um Krankenhausbesuche sowie Anwälte und bieten Therapiesitzungen an. Da viele Mädchen durch die Misshandlung schwanger wurden, haben wir darüber hinaus das „Babys Shelter“ gegründet. Dort helfen wir, die Neugeborenen zu versorgen, da die jungen Mädchen oft überfordert, ahnungslos und vor allem traumatisiert sind.
Das Ziel von HOPE: Wir wollen Hoffnung geben – einerseits den misshandelten Mädchen, die mithilfe der Therapie ihr Trauma verarbeiten und andererseits den Babys, die mit unserer Erstversorgung und Unterstützung eine faire Chance bekommen, zu (über)leben.
Wie sieht die Therapie der Mädchen aus?
Das könnte Beate Ebert aus Aschaffenburg, die unsere Sozialarbeiter ausbildet, sicher besser erklären, laienhaft ausgedrückt: Die therapeutische Behandlung „Acceptance and Commitment“ besteht aus vier Schritten. Zunächst geht es um den aktuellen Gefühlszustand, welche Emotionen das Mädchen leiten. Danach schauen wir, welche Taten und Handlungen daraus resultieren. Beispielsweise führen Schmerz und Verängstigung dazu, dass sich das Opfer zurückzieht bis hin zur Selbstverletzung. Im dritten Schritt bespricht man die Werte und Wünsche des Mädchens, wie beispielsweise eine glückliche Familie, eine Arbeit, einen Schulabschluss. Im letzten Schritt machen wir den jungen Frauen klar, dass sie mit ihren derzeitigen Gefühlen und Verhalten diese Ziele nicht erreichen können. Sie müssen selbst etwas an ihrem Verhalten ändern, um den Platz des Fahrers im Bus ihres Lebens einzunehmen. Es gibt auch Gruppentherapien wie „My Body, my Right“ – denn viele wissen nicht, dass sie NEIN sagen dürfen und dass sexueller Missbrauch eine Straftat ist. Das neuste Angebot ist „Trauma sensitive Yoga“, wo die Mädchen lernen, ihren Körper wieder zu akzeptieren. Achtsamkeit, das Wiederbeleben von Selbstwert und -bewusstsein stehen im Vordergrund.
Wie geht es weiter, wenn die Mädchen ihre Babys bekommen?
Unsere medizinischen Mitarbeiter machen notwendige Kaiserschnitte und untersuchen nach der Geburt die Neugeborenen. Die Mädchen werden im Babys Shelter auf ihre Mutterrolle in puncto Sicherheit und Gesundheit des Kleinen vorbereitet. Wir erklären, welche Rechte die Mutter und das Kind haben, wie man die Brust gibt und die Babys richtig wickelt. In den ersten zwölf Monaten gibt es die One-Day-Babymilch, jedoch nur wenn die junge Mama wieder zur Schule geht. Mit diesem „Trick“ schaffen wir es, dass die Mädchen ihren Schulabschluss machen. Einmal im Monat können sie die neue Vier-Wochen-Ration abholen, müssen aber die leeren Dosen zurück bringen. Außerdem wird das Baby gewogen und einem Medizincheck unterzogen. So kontrollieren wir, dass die Dosen nicht verkauft werden und das Baby die wichtigen Nährstoffe zum Heranwachsen bekommt.
Wie erfahren die Mädchen von euch?
Wir haben Radioshows, in denen wir auf uns aufmerksam machen. Einige kommen von alleine zu uns, aber die meisten holen wir ab, nachdem wir von der Polizei oder Family Support Unit benachrichtigt wurden. Die meisten Mädchen sind Waisen, deren Eltern an Ebola starben und jetzt bei anderen Familien leben müssen und eben dort -sexuell misshandelt werden.
Wie sieht die Situation Zuhause aus? Zeigen die Mädchen die Täter an?
Wenn die Mädchen zu uns kommen, nehmen wir ihre Daten auf, führen Erstgespräche über die Tat und schreiben einen offiziellen Bericht. Anschließend kümmert sich das Team darum, dass das Mädchen in einem staatlichen Krankenhaus untersucht wird, denn die Untersuchung von unserem medizinischen Mitarbeiter im Shelter wird von der Polizei nicht anerkannt. Die Täter kommen meist aus dem näheren Umfeld – mal ist es der „Onkel“ oder ein „Freund der Familie“. Wird dieser verurteilt, heißt das lebenslange Haft. Kurz gesagt, die Familie verliert ihren „Ernährer“. Manchmal weiß die Mutter vom Missbrauch, sagt aber nichts, denn sie sieht keinen Ausweg den Vorgang zu melden ohne damit die Existenz ihrer Familie aufs Spiel zu setzen. Kommt es doch zur Anzeige, können die Dokumente im Gericht „verloren“ gehen. Für die Sozialarbeiter ist es wiederum gefährlich, denn sie werden oft während einer Strafverfolgung bedroht. -Hannah Bockarie, die Gründerin und Vorsitzende unserer Partnerorganisation „commit and act“, musste aufgrund von Morddrohungen sogar ihre Kinder außer Landes bringen.
Du warst drei Monate vor Ort. Was waren für dich große Heraus-forderungen?
Davon gibt es viele … In Bezug auf „produktiv arbeiten“ war es sicher die mangelnde Infrastruktur. Wenn der Stromgenerator am Tag zwei Stunden lief, luden wir die elektronischen Geräte auf und schalteten die Ventilatoren an. Wir hielten sogar einmal nachts mit dem Auto an einem beleuchteten Haus, um zu fragen, ob wir unsere Laptops kurz laden dürften. Unter diesen Umständen konnte ich von dem was ich musste, nur wenig abarbeiten: E-Mail-Verteiler aufbauen, Marketing-Arbeiten für die Sichtbarkeit bei großen Stiftungen und Organisationen wie die UN und UN Women oder auch ganz einfach die Bearbeitung des One-Day-E-Mailpostfachs. Da eine Menge Arbeit liegen blieb, musste ich nach drei Monaten meinen Aufenthalt in Sierra Leone abbrechen, um in Deutschland One Day am „Laufen halten“.
Meine größte emotionale Herausforderung war es im Alltag Leid so nah zu erleben und auch die Frage nach Gerechtigkeit und Glück im Leben. Am Tag ist man stark und abends verfolgen einen dann erlebte Situationen. Schwer zurecht kam ich zum Beispiel als ein sieben Monate altes, missbrauchtes, Baby zu uns gebracht wurde. Oder das 14-jährige Mädchen, das Opfer einer Gang-Vergewaltigung war. Aber diese Erfahrungen zeigen, wie wichtig unsere Arbeit ist. Denn wir geben diesen Mädchen und ihren Babys wieder Hoffnung.
… diesem Statement ist nichts mehr hinzuzufügen. Es ist unglaublich was One Day e. V. aufgebaut und erreicht hat. Ehrenamtlich. Wir ziehen den Hut vor euch, liebes One-Day–Team. Wer mehr über die Projekte und die Organisation erfahren will, findet sie auf dem „One Race … Human!“-Festival am One-Day-Charity-Stand.