Mitten in der Riesengasse – zwischen Pflastersteinen und Laternenwarmlicht – liegt das Gully. Es ist eines dieser Lokale, die man sofort spürt, wenn man Aschaffenburgs Nachtluft atmet. Hier wird nicht vorgespielt, hier wird gelebt; nicht im Rampenlicht, sondern im halbgedämpften Schein der Theke, bei Gesprächen, die mitten in der Nacht anfangen und morgens noch nachhallen.
Wie alles wurde, wie es ist
Das Gully existiert seit fast 50 Jahren. Eine Zeit, in denen das Lokal Stück für Stück gewachsen ist – mit Leuten, die kamen, blieben und wiederkamen. Es war nie nur ein Ort, um Bier zu trinken, sondern ein Ort, an dem Musik, Gespräch und Gemeinschaft zusammengehen. Bluessessions, Aftershows, Bands aus Aschaffenburg und Umgebung – das Gully war Bühne, Wohnzimmer, Fluchtpunkt in einer kultigen Institution. Tommi Sauer und die kürzlich verstorbene Biggy Albert waren die Herzen des Ganzen. Sie haben das Haus mitgestaltet, oft auch aufopfernd über ihre eigenen Kraftgrenzen hinausgehend. Sie mischten mit, hörten zu, griffen ein, wenn’s nötig war. Sie lebten diese Kultkneipe und schufen damit ein Stück Kneipenkult.
Tommi Sauer
Wofür das Gully steht
Das Gully ist kein hipper Club, der nach Trends jagt. Es ist eine Institution, behäbig, charmant, liebenswert, widerspenstig, knorzig. Hier gelten einfache Gesetze: gute Musik, gute Stimmung, gute Leute. Selbstbedienung? Ja. Keine Vorhänge, keine Scheinwerfer, die blenden. Einfach ein Tresen, dunkles Holz, ein paar Tische und Leute, die zeigen, dass Kneipen mehr sind als Zapfhahn und Hocker. Die Musik ist allgegenwärtig: Beispielsweise die Big Handmade Blues Sessions, die an jedem dritten Donnerstag im Monat die Räumlichkeiten erfüllte, die Livegigs der Tiger von Äpplerpur oder der Frühschoppen mit Boppin’B, um nur drei Highlights exemplarisch anzuführen.
Es sind aber auch diese Abende, wenn alte Freunde sich treffen, neue Bekanntschaften entstehen, wenn zwischen Liedern und Lachen eine Stimmung entsteht, die man nicht planen kann – aber die man sofort vermissen würde, wäre das Gully nicht mehr. Es ist das Gefühl: Nach Hause zu kommen, obwohl man nie eingezogen ist. Es ist die Spontaneität – „Komm, wir treffen uns im Gully“ – ohne große Planung, ohne Dresscode, einfach mit Lust auf Gemeinschaft. Es ist die Mischung aus Musik, Bier, Gesprächen über Gott und die Welt, Fremde, die Bekanntschaft werden. Gerade in einer Stadt wie Aschaffenburg, wo kulturelle Vielfalt und Nähe oft nebeneinander gehen, ist so ein Ort goldwert.
Gully
Wenn’s eng wird: Die Krise
2025: Insolvenz. Ein Schlag, der nicht nur die Betreiber, sondern eine ganze Community trifft. Niemand dachte, dass dieser Ort einfach austauschbar sei. Viele riefen an, schickten Nachrichten: „Ohne euch geht’s nicht.“ Doch der Wille, das Gully zu erhalten, war größer als die Krise. Gespräche mit Insolvenzverwaltern, Engagierte aus der Stadt, Solidarität in vielen Formen.
Blick nach vorn
Doch Gully bleibt Gully. Dieses Ambiente möchte der neue Betreiber Johannes Bruhm von GUDE, der sich in den vergangenen Jahren mit dem Biergarten am Main unterhalb des Schlosses Johannisburg bereits in der Gastroszene Aschaffenburgs einen Namen gemacht hat, beibehalten. Gleichzeitig müssen Schritte nach vorne gewagt werden, wenngleich die Identität, der Charme und das Konzept der Kultkneipe beibehalten wird. Die drei größten Änderungen sind ein Tischkicker und der Apfelwein sowie das Helle der Umstädter Brauerei GUDE auf der Karte. Die restliche Bierlieferung bleibt bei der Eder & Heylands-Familie. Seit 5.9. hat das neue alte Gully wieder geöffnet – nicht mal eine Woche nachdem Tommi Sauer die Lichter ausgemacht hat. Auch die Livemusik mit Marvin Scondo und Sonderevents wie das 50-jährige Jubiläum Ende Oktober, Feiereien an Weihnachten sowie Fasching bleiben ebenso im Programm. Gully ist, Gully bleibt, die Legende lebt.
