In den Frankfurter Arthouse Kinos Harmonie, Cinéma & Eldorado, die Christopher Bausch dort seit neun Jahren parallel zum Casino Filmtheater in Aschaffenburg betreibt, erfreut sich die monatliche Filmreihe „(Dis)harmonie“, in der es um Horror, Morbides und den unterschlagenen Film geht, großer Beliebtheit.
Wo in Großstädten Horrorfilmfestivals, wie das deutschlandweit stattfindende Fantasy Filmfest – u. a. im Arthouse-Kino Harmonie in Frankfurt – oder weitere Nischenprogramme selbstverständlich sind, ist es für kleinere Städte oftmals problematisch, abseitige Programmkultur anzubieten. Oft fehlt die Masse an potenziell interessiertem Publikum, die derartige Veranstaltungen rentabel machen. Manchmal auch der nötige Zugang, abseits des Mainstreams zu graben. Leider viel zu häufig auch der Ort, um Alternativkultur überhaupt für die jeweiligen Fans abbilden zu können. Ab Oktober startet endlich auch das Casino eine „Filmreihe für abseitige Filmkunst“: Obscenema. Der Untertitel „bold, bizarre, beyond the mainstream“. Unangenehmes, Verstörendes, Obskures – ja, internationale Filmkunst, die auch mal wehtun oder fordern darf, stehen hier auf der Programmagenda. Kuratiert und gehostet wird der neue Programmslot von den beiden befreundeten Aschaffenburger Filmfreaks Marek Bäuerlein und Patrick Zöller, die sich beide seit Jahren für Subkultur in Aschaffenburg einsetzen und generell mit ihren facettenreichen Projekten im städtischen Untergrund umtriebig sind. Im Gespräch mit FRIZZ Das Magazin erzählen die beiden, was sie bei ihren Events vorhaben. Aktuell ist die Filmreihe Obscenema viermal im Jahr geplant – einmal pro Quartal. Los geht’s am 25.10. um 20.15 Uhr mit dem französisch-belgischen Kannibalen-Drama „RAW“ von Julia Ducournau.

Patrick Zöller und Marek Bäuerlein
FRIZZ Das Magazin: Warum braucht Aschaffenburg eine Filmreihe für abseitigen Film und Subkultur? Wie würdet ihr eure Programmausrichtung beschreiben?
Patrick Zöller: Ob Aschaffenburg das „braucht“, weiß ich nicht, aber ich finde es interessant, ein Alternativprogramm zur doch sonst sehr zahmen Aschaffenburger Kulturlandschaft zu bieten und das idealerweise ohne die Art von herablassendem Snobismus, die man oft mit, im weitesten Sinne, Arthouse oder Kino abseits vom Mainstream assoziiert.
Marek Bäuerlein: Ich find’s großartig und wichtig, dass das Stadtleben reizvolle Angebote macht. Und ich freu mich, wenn wir unseren Beitrag dazu leisten können. Das mache ich auch mit meinem offenen Atelier im Künstlerhaus M27 in Damm sowie den Live-Events mit meinem Podcast Proseccolaune. Die Obscenema-Nächte sind für mich ein weiterer Schritt, Aschaffenburg meine Leidenschaften aufs Auge zu drücken.
Wie wichtig ist es für euch, nicht einfach nur Filme abzuspielen, sondern eine umfassendere Auseinandersetzung mit Film und düsterer Kunst anzustoßen?
PZ: Auch wenn ich finde, dass es in erster Linie schon um Unterhaltung gehen muss, bleibt die „media literacy“ in den letzten Jahren vor allem bei den jüngeren Generationen erschreckend auf der Strecke. Man muss sich nicht gleich mit jedem Protagonisten identifizieren können für ein befriedigendes Film-/oder auch Serienerlebnis. Nicht alles muss ein befriedigendes Happy End haben oder moralisch lupenrein aufgelöst werden. Die „Good Vibes Only“-Kultur, die sich viele auf die Fahne schreiben, finde ich verlogen und anstrengend, deswegen wollen wir kontern mit Filmen, die einen vielleicht auch mal unangenehm berühren und das am besten ohne Fokus auf Gewalt, Gore oder Torture Porn.
MB: Ich habe auch erst für mich lernen müssen, dass die größere Faszination für Film im Unbequemen, Nebulösen und Abseitigen steckt. Während dem Schauen dann zu kapieren, dass hier grad was Besonderes stattfindet – sowas habe ich noch nicht gesehen, das ist sogar außerhalb meiner Vorstellungskraft – da kommt bei mir Euphorie auf! Und wenn man länger dran zu kauen hat, bleibt auch mehr Eindruck. Mit wachsendem Filmbezug versteht man immer mehr Referenzen, Bezüge und Hommagen – die kann ich in Designs oder Gemälden verarbeiten. Außerdem kann man wahnsinnig gut damit angeben, der coole Filmfreak zu sein.

Patrick Zöller und Marek Bäuerlein
Obscenema findet in enger Zusammenarbeit mit dem Team des Casino Aschaffenburg statt. Geplant sind zur jeweiligen Filmvorführung immer auch Rahmenprogramm und illustre Gäste. Welche Specials plant ihr?
MB: Wir hoffen darauf, in Aschaffenburg eine kleine Community aufbauen zu können. Dafür soll es Austausch- und Mitmach-Elemente geben. Wie zum Beispiel Talks nach den Vorstellungen. Wir stehen am Anfang eines eigenen Filmprojekts – bestimmt kann man die Erfahrungen bei Obscenema auch teilen. Und da wir beide aus Kunst und Design kommen, sind wir super visuelle Typen – wir kommen also nicht daran vorbei, selbstdesignte Goodies mitzubringen. Es gibt kleine Geschenke für alle!
Ihr seid selbst künstlerisch als Illustratoren, Designer und Podcaster aktiv. Wie schätzt ihr das generelle subkulturelle Treiben in Aschaffenburg gegenwärtig ein?
PZ: Als notorischer Stubenhocker bekomme ich davon nicht allzu viel mit, allerdings habe ich Dank meines Neffen und seinen Freunden wieder ein bisschen den Glauben an die Jugend zurückerlangt. Es gibt da draußen viel kreative Energie und ich bin sicher, dass die nächsten Jahre wieder etwas interessanter werden, was abseitiges Treiben betrifft.
MB: Ich bin schon manchmal enttäuscht. Orte für Kreativität sterben aus. Wirtschaftlichkeit oder Prestige stehen oft im Vordergrund. Wir haben hier schon immer richtig viele gute Leute – aber das Potenzial kann sich irgendwie nicht richtig entfalten. Deshalb schon mal vorab: Danke an das Casino-Filmtheater für die Möglichkeit diese Filmreihe starten zu dürfen. Mit unserem kleinen Nerd-Programm machen wir hoffentlich einen neuen kleinen Bereich auf, der in Aschaffenburg Anklang finden wird.
Abschließend gefragt: Was macht der Kulturort Kino in euren Augen zu einem besonderen Raum und wie steht ihr in dem Zusammenhang zu Streaming-Plattformen?
PZ: Trotz bereits erwähnter Stubenhockerei liebe ich es, ins Kino zu gehen. Der Geruch, das ganze Ritual sind für mich etwas Besonderes, auch das Filmerlebnis mit Freunden und Fremden zu teilen, hat einen eigenen Charme. Streaming-Plattformen haben gewiss auch ihr Gutes, dennoch stört mich insbesondere die Entscheidung, viele auch ältere Titel nicht in der Originalsprache angeboten zu bekommen. Mal Pause machen, für Kippchen oder Pipi ist allerdings super, gerade in Zeiten des mir verhassten Trends, Filme weit über die goldenen 90 Minuten zu strecken.
MB: Ich habe mich vor kurzem mit einem Kameramann unterhalten, da habe ich aufgeschnappt: „Filme werden gemacht, damit man diese auf großer Leinwand sehen kann.“ Das ist auch meine liebste Art, Film zu konsumieren. Streaming hat ganz viele Aspekte, die ich richtig doof finde, kommt man aber auch nicht dran vorbei, wenn man einen spezifischeren Geschmack hat.

Patrick Zöller und Marek Bäuerlein
Welche sind eure persönlichen drei Lieblingsfilme im Genre?
PZ: Die Top 3 und auch Top 10 ändern sich ständig. Aktuell würde ich sagen „Primer“, „Crash“ und „Possession“ – alle auf ihre Art grenzüberschreitend und ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Publikums. Die besten Filme, die ich dieses Jahr gesehen habe, sind „Talk to me“, „Timecrimes“, „Sanctuary“ und „Something in the Dirt“.
MB: Kann mich Pat anschließen. Außerdem: „Der Herr der Ringe – die zwei Türme“.
FRIZZ dankt für das Gespräch und wünscht ganz viel Erfolg beim Start der neuen Reihe.
Obscenema – Bold. Bizarre. Beyond the Mainstream & Casino Filmtheater präsentieren:
RAW (OmU, Französisch mit deutschen Untertiteln):Mi., 25.10., 20.15 Uhr; Casino Filmtheater, Aschaffenburg