Theaterbesucher treffen auf Theatermacher – ungezwungen und ohne thematische Grenzen. Ein lockerer Dialog über all das, was Kulturkonsumenten so auf der Seele brennt: Programm, Besucherbedürfnisse, Raumnutzung, Lob, Kritik und mehr. In Aschaffenburg haben Kulturamtschef Jörg Fabig und Team mit „Gesprächsraum Theater“ genauso ein Forum erschaffen, das nun regelmäßig stattfindet. Vorausgegangen war ein Rückzug des Kulturamts aus den sozialen Medien.
FRIZZ Das Magazin hat mit Jörg Fabig über das neue Format, die Gründe und weitere Dialogmöglichkeiten zwischen Kulturamt und Publikum gesprochen.
FRIZZ Das Magazin: Wie entstand die Idee zu „Gesprächsraum Theater“?
Jörg Fabig: Wir erleben in unserer Gesellschaft einen Rückgang der Gesprächskultur, viele Debatten haben sich insbesondere in die sozialen Medien verlagert. Egal ob es um soziale, kulturelle, wirtschaftliche Themen geht, Standpunkte werden veröffentlicht, manifestiert, teilweise aggressiv vorgetragen und die Kommentare teilen sich in „Daumen hoch“ und „Daumen runter“ – das hat mit Diskurs, Dialektik, Differenziertheit nichts zu tun und schadet uns allen. Gespräche auf Augenhöhe, wertschätzend, respektvoll, durchaus auch kontroverss und kritisch zu führen ist eine wichtige Kultur, die es zu erhalten gilt. In unserem bescheidenen Rahmen können wir hier ein Zeichen setzen und uns der Themen, die aus unserem Tun entstehen, annehmen und den Raum dafür bieten.
Vorausgegangen war euer bewusster Ausstieg aus den sozialen Medien. Hatte diese Entscheidung einen konkreten Auslöser?
Ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, waren die kürzlich erneut geänderten Geschäftsbedingungen des Meta-Konzerns, die wieder auch datenschutzrechtliche Themen für uns als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts aufgeworfen haben. Zudem liegen unseren Programmangeboten komplexe Inhalte zugrunde, die von unterschiedlichen Seiten beleuchtet werden und Denkanstöße geben. Das lässt sich schwer in Posts und Reels herunterbrechen. Gute digitale Medienarbeit braucht auch intensive Redaktion und Produktion, hier fehlen uns die personellen und finanziellen Ressourcen, da wir aufgrund der Altersstruktur unserer Gäste auch auf ein differenziertes Portfolio an Maßnahmen angewiesen sind. Ich möchte es aber auch noch einmal in aller Klarheit sagen: Wir wollen die sogenannten „sozialen“ Medien in ihrem für unsere Diskurskultur und letztlich auch für unsere Demokratie gefährlichen algorithmusgesteuerten und kaum zu begrenzenden Einfluss nicht weiter unterstützen.
© Till Benzin
Jörg Fabig
Wie fiel das erste Feedback auf eure Ankündigung aus, zukünftig auf Facebook, Instagram & Co. zu verzichten?
Die Reaktionen, die bei mir ankamen, waren durchweg positiv. Viele Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, stehen vor ganz ähnlichen Entscheidungen und waren erstaunt über unsere Klarheit und Entschiedenheit.
Gibt es neben „Gesprächsraum Theater“ weitere Konzepte, um euer Publikum auf anderen Wegen zu erreichen?
Wir arbeiten mit einem sehr differenzierten Maßnahmenmix. Das macht es im Übrigen absolut schwer, die Wirksamkeit einzelner Bereiche zu evaluieren. Worüber wir klare Daten vorliegen haben, ist die Nutzung unserer Webpräsenzen. Die konsequente Neuaufstellung der Homepages von Stadttheater, Kulturamt und Städtischer Musikschule haben sehr erfreuliche Steigerungen der Click-Rate, der Verweildauer und letztlich der Online-Ticketing-Umsätze erzeugt. Die nicht unerheblichen Investitionen, die wir auf der technischen Seite getätigt haben und das große Augenmerk auf qualitätsvolle Redaktion zeigen also Wirkung.
„Gesprächsraum Theater“ hatte im Oktober Premiere. Mit welchen Themen kamen Besucher auf euch zu?
Inhaltlich waren die Gespräche sehr fruchtbar und intensiv, es ging um Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, um das Thema Nachwuchsgewinnung, um genreübergreifende Ansätze in der Programmplanung und Synergien bei der Raumnutzung.
Johannes Honeck, Leiter der Kunsthalle Jesuitenkirche und des Christian Schad Museums, hat mit dem „Kulturhock“ ein ähnliches Konzept eingeführt. Konntest du hier von Erfahrungswerten profitieren, wenn es darum geht, Kulturstätten auch als Raum für einen ungezwungenen Dialog zu öffnen?
Die kulturellen Dienststellen der Stadt stehen ständig im Austausch und teilen ihre Erfahrungen. Auch in anderen öffentlichen Einrichtungen bayern- und bundesweit sowie bei „Stadtkultur“ und weiteren Netzwerken wird über Öffentlichkeitsarbeit, Publikumsgewinnung, Vermittlungsangebote und Niederschwelligkeit diskutiert und gebrainstormt. Wichtig ist dabei Ehrlichkeit und Offenheit – es muss nicht immer das Rad neu erfunden und Fehler müssen nicht überall wiederholt werden.
Begleitend zu „Gesprächsraum Theater“ habt ihr eine digitale Medienstation neben der Theaterkasse eingeführt, mittels derer Besucher mit euch ebenfalls in Kontakt treten können. Was versprecht ihr euch hiervon und wo liegt für dich der große Unterschied zu einem Social-Media-Kanal?
Oft verlassen die Gäste unser Haus emotional sehr aufgeladen, in den meisten Fällen hoffentlich im positiven Sinn (lacht). Wir möchten ihnen die Gelegenheit geben, diesen Emotionen Raum zu geben und damit andere an den Erlebnissen und Gefühlen teilhaben zu lassen. Im Prinzip findet Derartiges auch auf Social Media statt, aber bei der Medienstation haben wir deutlich direkteren Zugriff und können im Fall des Missbrauchs sofort eingreifen. Wir werden das nicht nutzen, um inhaltlich zu „zensieren“, aber wir haben Alerts geschaltet, wenn beispielsweise diskriminierende Sprache verwendet wird. Rückmeldungen insgesamt sind sehr wichtig für uns. Wir setzen uns mit allen Mails, Nachrichten und Briefen auseinander.
Stell dir vor, du hättest einen Wunsch an dein Theaterpublikum frei. Welcher wäre das?
Nur einer? (lacht) Ich fände es fantastisch, wenn jeder Gast mindestens einmal pro Spielzeit eine Person mitnimmt, die noch nie oder sehr selten im Theater war und wenn jeder, der sich speziell für ein Genre interessiert, einmal pro Saison mindestens eine Veranstaltung aus einer ihm komplett unbekannten Sparte besucht – also0 beispielsweise ein Konzertbesucher ins Schauspiel geht oder ein Musiktheater-Fan auch mal ein Ballett anschaut. Unser Angebot ist so vielfältig und viele haben keine Vorstellung davon, welche tiefen Emotionen ein Live-Erlebnis auslösen kann. Vorkenntnisse sind nicht nötig – einfach kommen und überraschen lassen!
www.stadttheater-aschaffenburg.de
Vormerken! Termine „Gesprächsraum Theater“
12.11., 10.12., 14.1., 11.2., 11.3., 8.4., 13.5., 10.6., 8.7., je 18 Uhr | Bühne 3, Stadttheater, Asschaffenburg
