
Ralph Rußmann Kolumne
Teil einer radikalen Minderheit. Mal wieder. 89 Prozent aller Google-Nutzer gefällt dieses Format. Und „Nutzer von Google“ bedeutet sowas wie „Menschheit“. Ich dagegen bekomme bei „Sing meinen Song“ Beklemmungen. Massiv. Und eine Art von Depression. Von Beginn an. Diese zur Schau getragene Intimität, diese unsägliche Lagerfeuerstimmung. Angefeuert von den üblichen Verdächtigen im deutschen Privatfernsehen, versetzt mit ein paar Nasen, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass es die überhaupt noch gibt. Beim Sänger von Alphaville dachte ich erst, es sei Alex Jolig. So kann es gehen. Seit kurzem frage ich mich, bei wem als nächstes das Telefon klingelt. Beim Sänger von Fools Garden? Lou Bega? Oder am Ende bei Costa Cordalis? Ach verflucht, der ist ja gerade gestorben. Fools Garden covern dann „Mambo No.5“.
Aber das vergessene Beiwerk ist gar nicht mein Hauptproblem. Es ist die fürchterliche Ansammlung von den immergleichen Visagen, die den Hauptkern dieser Reihe darstellen. Heute „Voice of Germany“, morgen „VoG-Kids“, übermorgen „Sing meinen Song“, am Donnerstag neue Platte. Oh. Ein geschlossenes System. Verflixt. Catterfeld, Immer-gut-gelaunt-Mark-Forster, Meyer-Landrut, Nena, Rea Garvey, Bourani und die beiden Hosentaschen-Cowboys. Dabei sind Boss Hoss nicht mal das größte Übel. Auch wenn sie für Kohle Oma Hilde verkaufen würden. Like Ice in the Sunshine. Diese Jungs kommen aus der Werbung. Wenn jemand weiß, wie das Geschäft läuft, dann die. Stört sich daran jemand? Ach, es dudelt doch so schön. Ich soll kein Musik-Faschist sein? Freunde, die Jungs sitzen ganz woanders. Da verbiegt sich Andreas Gabalier auf seinem Albumcover wie ein Hakenkreuz. Aber „Quetschkommod“ kann er echt gut spielen. Nicht wahr? Und das Lied über den Tod seines Vaters ist auch super-berührend. Schnell einen Gruppen-Hug. Hach, was ist das schön hier.
Und überhaupt, dass mit dem Hakenkreuz ist nur Zufall. Hallo, blendet die Sonne im deutschen Abendland? Eindeutiger geht’s nicht. Und der erste Gastgeber Xavier Naidoo fabulierte auch bereits vom besetzten Deutschland. Aber alle hocken sie irgendwann zusammen und covern wechselseitig ihre absolut belanglosen Songs. Oder wie schrieb ein Freund: „Dieses bis auf die Tränen gerührt zu sein, wenn man einen beschissenen Song von einem selbst noch beschissener gecovert hört.“ Einer von den elf Prozent. Es fehlt nur noch Max Giesinger. Arsch auf der Couchlehne, Schuhe auf der Sitzfläche. So ist’s bequem. Aber nach der Staffel ist vor der Staffel. Ich darf noch hoffen. Der einzige, der da mal auf den Tisch hätte hauen können, wäre unser Frankfurter Moses P. gewesen. Aber was macht der? Angesteckt von dieser rührseligen Szenerie? Versöhnt sich mit der Mannheimer Sonnenbrille. Kopfnuss wäre mal ’ne Ansage gewesen. Rödelheim ist auch schon lange nicht mehr, was es mal war. Vielleicht verstehe ich diese Sendung einfach nicht. Oder es ist nur irgendein fucking Logarithmus bei Google, der diese 89 Prozent kreiert. Wie sangen Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen. Herrje. Einfach Antenne Bayern weiter hören.