Stell dir vor, es spielt die Bundesliga und keiner schaut zu. Unter uns. Ich liebe Fußball. Ich habe wahrscheinlich drei Leidenschaften in meinem Leben: Meine Familie, Musik und – ganz genau – Fußball. Ok. Bier und Spaghetti Bolognese vielleicht noch. Aber dann fehlt mir lange nichts. Ich habe seit 15 Jahren eine Stehplatz-Dauerkarte bei der Eintracht, zu den drei schlimmsten Ereignissen in meinem Leben gehört, dass ich fahrlässig das Pokalfinale 2018 verpasst habe und ich empfand selten so eine Leere wie nach jedem Bundesliga-Abstieg der SGE. Nur um die Koordinaten klar zu stecken. Nichts erklärt mir die Welt so gut wie dieser Sport. Bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit zitiere ich Albert Camus mit „Alles, was ich über Moral und Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball.“ Und der Moment als Schiri Zwayer keinen Elfmeter pfiff, gehört – neben der Geburt meiner Kinder – zu den größten Glücksmomenten meines Daseins. Denn er schenkte mir den Glauben an die Gerechtigkeit zurück. So. Haben das alle jetzt verstanden? Ich kenne die Stadien noch, da waren sie keine Arenen oder Parks. Der Wind zog unbarmherzig durch die Glieder und alle wurden in den Kurven bis auf die Knochen nass. Jetzt spielt die Liga wieder. Ohne Fans. Und es ist mir knacke-egal. Ach was red’ ich. Ich finde es absurd! Fußball ohne Zuschauer! Es gibt nur einen Grund, der mir für diesen hanebüchenen Mist einleuchtet. Nämlich, dass die Frau vom Ticketshop und der Platzwart ihre Jobs behalten. Der Rest ist für mich wie ein alkoholfreier Cocktail. Der ergibt für mich auch keinen Sinn. Aber was rege ich mich eigentlich auf. Wenn dieser Beitrag erscheint, sind die Chancen, dass das Projekt „Saison 2019/2020“ noch läuft, vielleicht doch nur so hoch wie meine, noch als Linksaußen entdeckt zu werden. Dass wir in Deutschland aber häufiger und intensiver über dieses Thema als über die Schließung der Kindergärten, gesperrte Bolzplätze und Zumutungen für Alleinerziehende und geringverdienende Familien diskutiert haben, wird allerdings zentraler Bestandteil meiner „Akte of Shame“. Und dass so mancher Traditionsverein noch mehr auf Kante genäht ist, als fast alle Herren-Frisöre im Land, bringt mich auch zum Grübeln. Hievt mich aber noch auf was Anderes: Denn Jungs, unter uns, wenn ihr einen Funken Anstand im Leib hättet, würdet ihr einfach von euch aus auf die Hälfte eures Gehalts verzichten. Mindestens. Da wäre die Chose wahrscheinlich schon durch. Aber was will ich eigentlich? „Do they really want to fuck with us?“, fragt da Ibisevic und Kalou winkt mit dem Gehaltszettel. Da werde ich irgendwie das Gefühl nicht los, dass wir die ganze Zeit von euch gefickt werden. Aber auf die ganz hinterfotzige Art. Und weil ich mich nicht gerne von Jungs verarschen lasse, die im realen Leben vielleicht sogar die Lehre aus Bocklosigkeit abgebrochen hätten, stellt sich mir langsam aber sicher die Gretchen-Frage: Was soll der Quatsch? Ging mir vor Corona schon das ganze Gelaber um die Super-League, die Dauer-übertragungen und das Gefasel von Uhren-Kalle massiv auf die Kelle, spüre ich in der fußballfreien Zeit plötzlich, dass mir fast gar nichts fehlt. Ach, Albert. Moral, Verpflichtung. Ich will endlich wieder selbst kicken. Der Fußball hätte einen anderen Umgang verdient. So ein schöner Sport.
Geht aufs Haus 6|2020
Die FRIZZ-Kolumne: Ralph Rußmann hat keine Lust.