Im Mai bitte nicht ansprechen. Weder auf Roastbeef, noch auf Gelbwurst und auf Presskopf schon mal gar nicht. Haben wir uns verstanden? Ab Mai trage ich nämlich Trauer. Aber so richtig. Ende April machte mein Lieblings-Metzger dicht. Ein für alle Mal Feierabend. Es ist ein mittelschweres Drama. Da hat es noch nicht mal Corona für gebraucht. Er machte die beste Fleischwurst und den schmackhaftesten Fleischsalat der Welt. Und ich kenne einige Fleischsalate. Er servierte einen wunderbaren Schinkenspeck und einen gekochten Schinken, so lecker, dass ich nur beim Gedanken daran, ab sofort meinen Enkelkindern nur noch davon erzählen zu können, heulen muss. Er verkaufte grandiosen Bühlertaler Dorfkäse, Bio-Eier aus der Rhön und kochte Rouladen und Gulasch, dass ich nur so schmatzte. Allein wenn ich darüber schreibe nochmal: schmatz, schmatz. Einmal im Jahr gab es ein Zwetschgenmus, für das ich meine Mutter – würde sie noch leben – bestohlen hätte. Immer nur einige wenige Wochen lang. Dann war der Bottich leer und die Zwetschgenmus-Zeit abgelaufen. Wunderbare natürliche Verknappung.
Jetzt bleibt der Bottich für immer eine Erinnerung. Kann ich irgendwo einzigartigen Geschmack konservieren? Sein Wildgulasch aufheben, so für ganz besondere Tage? Ohne dass es im ganzen Haus nach vergorenem Fleisch stinkt? Herrje. Es ist furchtbar. Er ist fast 70. Es ist völlig ok, in Rente zu gehen. Auf die Datscha somewhere im Vogelsberg. Mein Sohn und er hatten eine Form von Freundschaft. Jetzt wird der sich ab sofort wohl mit einer Billig-Gelbwurst aus der Supermarkt-Retortenmetzgerei abfinden müssen.
Warum ich das alles schreibe? Weil so einem Betrieb nicht genug Ehre erwiesen werden kann. Und weil wir uns jetzt langsam aber sicher dem Kern des Hasen in Aspik nähern. Als ich noch ein kleiner Junge mit vielen Locken war, hatten wir in Goldbach bestimmt acht verschiedene Metzger. Hervorragende, mittelgute und welche, die nur so lala waren. Jetzt sind es gerade mal noch zwei und das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Der Bundesverband der Regionalversorger hat rausgefunden, dass sich in den vergangenen 20 Jahren die Anzahl der Bäcker und Metzger halbiert hat. Gleiches gilt für Landwirte und Gastwirtschaften. Kein Nachwuchs, zu viel Bürokratie und vor allem fehlende Kunden. Na da schau her! Wenn wir so weitermachen ist spätestens 2034 grundsätzlich Schluss. In 14 Jahren. Tragödie galore! Wie gesagt: ganz ohne Corona.
Mir ist sonnenklar: 2020 ist es nicht besonders sexy und schon mal gar nicht urban-lifestyle-mäßig Wurst zu bejubeln. Da gewinnst du in der Regel kein Frauenherz. Ich versuche es trotzdem: „Schöne Frau, heute Abend ein Stück geräucherte Fleischwurst bei mir?“. Wollen wir doch mal sehen. Der Rest ist ein einziger Appell: Support your local Metzger und Bäcker! Motiviert euren Nachwuchs, ein Handwerk zu lernen und, verdammt, EU: Mach dich mal locker! Die Wurst schmeckt nicht besser, wenn sie in standardisierten Betrieben gefertigt wurde. Morgen gibt es vielleicht das letzte Glas Wildgulasch. Nicht ansprechen. Mir kommen gleich die Tränen! Vielen Dank für alles, Metzger Menzer!