Na also. Sieht fast so aus, als hätten wir es vorerst geschafft. Zumindest die westliche Welt. Drei Wellen gebrochen. Dafür jetzt „Hoch die Hände, Corona-Ende“ und alle laut juchzend an den Tresen. Zumindest die Geimpften. Der Rest muss sehen, wo er bleibt und sich in Geduld üben. Wird schon werden. Herr Ober, noch ein Gedeck, wir glühen schon einmal vor. Deshalb Bier her oder ich fall um und morgen gleich ins nächste Reisebüro.
Bevor aber alle die runden Bäuche auf die Sonnenliege auf Mallorca quetschen, spuck’ ich noch mal ordentlich in die Suppe und hol’ das Merkbuch raus. Nur für alle Fälle, gelle. Denn das Gedächtnis hat viel Gnade und nach acht Wochen erinnert sich die Hälfte nicht mehr an Pleiten, Pech und Pannen. Wie im Urlaub. Eine Woche Regen, am letzten Tag Sonnenschein. „Och, war doch wieder spitzenmäßig, Vati“.
Wenn uns also der Übermut packt, ziehe ich diesen Beitrag aus dem Revers. Denn ganz ehrlich und unter uns Schlawinern. Das lief in weiten Teilen richtig kacke, liebe Regierung. Und zumindest meine Freunde und ich vergessen das im September nicht. Denn es gab ein paar Corona-Gewinner und noch viel mehr Verlierer. Blöd nur, dass Letztere vor allem die waren, die grundsätzlich gerne dumm aus der Wäsche gucken. Die Bildungs- und Sozialschwachen. Dabei habt ihr euch in Berlin so viele Regeln und Bürokratie ausgedacht, dass zum Schluss kein Schwein mehr durchblicken konnte und trotzdem die Situation keinen Deut fairer wurde. Machen wir uns nichts vor. Der Gerechtigkeit haben die komplizierten Abläufe nur begrenzt geholfen. Und im Gegenzug haben wir als Volk viele Seiten gezeigt, nur die Solidarität hat sich gepflegt vom Acker gemacht.
Aber vielleicht bin ich auch nur ein schrecklicher Romantiker. Wie in der Fußballwelt. Wo ich mich ärgere, wenn Trainer wie Spieler einen Furz auf Verträge geben. Gemeinsinn und Verbindlichkeit als coole Haltung. Sogar in einer modernen Welt. So haben wir das doch gelernt. Hat ja auch etwas mit Anstand zu tun. Das Büffet nicht leerfressen, wenn noch die Hälfte der Feiergesellschaft in der Schlange dahinter wartet. Vielleicht liege ich auch völlig falsch, Fußball- und Sozialromantiker in einem. „Natural born naiv“? Hier war das Land getrieben von deutscher Gründlichkeit, fehlendem Mut und der permanenten Sorge, es könnten Seilschaften und das Wahlergebnis kippen.
Vor lauter Regeln und Bohei stand Pragmatismus ganz hinten an, wie eben auch so manche Zielgruppe in der Impfschlange. Die wohnt auf 60 Quadratmetern im Block und hat im worst case nur die Hälfte verstanden. Derweil bekamen Männer, die ein Jahr lang im Home-Office werkeln konnten, schneller die Biontech-Impfung als die Verkäuferin, die treu an vorderster Front Karotten für uns sortierte. Kann man so machen, muss man nicht. Ein Schelm, wer da an Lobbyismus denkt.
Es gab Soforthilfen, die viel zu spät diejenigen erreichten, die sie wirklich brauchen und die den Laden jetzt dicht machen müssen. Im Gegenzug verbuchten Großkonzerne mit staatlichen Leistungen prächtige Jahresergebnisse, dass die Aktionäre juchzten. Merke aus der Pandemie: Je komplizierter das System, desto höher der Beschiss und ungerechter das Ergebnis. Da hilft auch der ganze Aktionismus der letzten Wochen nichts.
Mir ist klar, das mit der Gerechtigkeit ist ein schweres Ding. Ich bin Vater von zwei Kindern, ich kenne das zur Genüge. Aber wenn der Pilot ein dreiviertel Jahr nicht fliegt und das Kurzarbeitergeld trotzdem entspannt den exklusiven Lebensstandard möglich macht, während zeitgleich der Tontechniker Obstkisten für die Miete schleppen muss, dann halte ich mal gepflegt fest: Der Plan hat Luft und ich wünsche mir für solche Fälle das Bürgergeld.
Dazu eine Regierung, die uns genau jetzt an ein Miteinander erinnert. Nur mal so: Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern sprach jeden Tag zur Bevölkerung. Und die Frau ist daneben noch Mutter. So kann ein Land auch durch Lockdowns und eine Pandemie kommen. Gruß in die Hauptstadt, zumindest ich habe ein Hirn wie ein Elefant!