Mich hat es noch mal erwischt. Mit Ende 40. Das muss man erst mal bringen. Aber was will ich machen, ich habe mich verknallt. Und zwar in Italien. Das mag manche nicht überraschen, das Duo Italien-Deutschland ist ja seit jeher so eine eigene Gemengelage der Leidenschaft. Nicht offen und herzig, eher still und verklemmt. Also von uns Deutschen aus. Denn bei allem Gemoser wären viele gerne auch ein wenig wie ein Italiener. Das ist meine These. Caprese hier, Prosecco da und immer schön in die Dorfpizzeria. „Ach Angelo, noch einen Limoncello bitte, der schmeckt bei Dir fast so lecker wie im Urlaub!“ Am Ende klingelt aber in der Früh doch der Wecker, wir setzen uns im schlechten Anzug ins dicke Auto und die deutsche Gründlichkeit drückt regelmäßig jede ersehnte Lebensfreude an die Wand. Bei mir war das nie so. Also mit der versteckten Liebe. Ich hielt knapp 40 Jahre eine gepflegte Distanz zu diesem Land. Die Jammerei auf dem Fußballplatz, den ganzen Tag „Baci, Baci“, landschaftlich in meinen Augen überbewertet und die Campingplätze waren auch weitestgehend kacke. Die Toskana hat mich nie interessiert und war besetzt von deutschen Feuilletonisten mit blöden Hüten, Pizza und Pasta schon ok, aber Burger und Steak eh viel besser und die Frauen. Herrgott ja, sie sind attraktiv, aber so grazil wie Französinnen? „Ach, die Italiener. Den ganzen Tag mit ihrem Gedönse. Mir tut ja nur unser Papst leid, so ein feiner Mann“. Sagte auf der Insel Krk eine deutsche Urlauberin, als drei italienische Hymer-Wohnmobile auf dem Platz neben ihr einschrägten, und die Rollos ausfuhren. Damals war Benedikt noch im Amt. Ich konnte ihr nicht widersprechen. Ich hatte wenig übrig für Italien. Aber jetzt ist es anders. Kam es plötzlich? Ich weiß es nicht. Jetzt bin ich mächtig verschossen und wünsche alles Glück der Welt. Wegen mir sogar den WM-Titel. Das muss man sich vorstellen. Jahrelang gab es nichts Schlimmeres als Italien siegen zu sehen. Eine meiner ersten Sporterinnerungen ist das verlorene WM-Finale 1982. Paolo Rossi in Hochform und der ewige Dino im Tor. „Da liegt er, der Italiener, ein Kilo Gold um den Hals und eine Verletzung am Fuß“. Das kommentierte vor Jahren Heinz Florian Örtel und wir klopften uns vor Freude auf die Schenkel. Diesen Sommer rief ich dagegen „Steh auf, schöner Italiener und spiel deinen frischen Fußball.“ Erinnern sich alle an den italienischen Kapitän Chiellini, wie er vor dem Elfmeterschießen den spanischen Kollegen Alba herzte und unentwegt lachte? So viel Leichtigkeit ist selten im bezahlten Fußball. Italia mi Amore. Ich versteh’ fast keinen Brocken der Sprache, aber das tun die Nachbarjungs in Frankfurt auch nicht. Und doch rennen sie gefühlt 24 Stunden in italienischen Farben durch die Gegend, weil ihr Vater Halbitaliener ist. In der zweiten Generation. Die Liebe zu diesem Land muss sehr tief sein. Ich beginne sie jetzt erst zu erspüren. Ich will nicht immer den Fußball strapazieren, es ist viel mehr, was ich an Italien so schätze. Schon vorletzten Sommer entdeckte ich urplötzlich Campari-Orange wieder. Ein Getränk wie ein nie enden wollender lauer Sommerabend. Fast vergessen. Die Mutter aller Aperitifs. Ich habe mittlerweile einen eigenen Pizzaofen und nehme nur Mehl Tipo 00, den Teig lasse ich 24 Stunden im Kühlschrank gehen. Niemand kleidet sich gepflegter als die Italiener. Wenn ich noch mal auf die Welt komme, will ich aussehen wie Del Piero am Ende der Laufbahn. Und mit Monica Bellucci Espresso trinken. Vor kurzem sagte ein guter Freund, jahrelang überzeugter Frankreich-Fahrer, „Eigentlich ist Italien das geilere Land. Besseres Essen, fast durchweg gute Laune und immer Bock auf Kinder!“ Wieder kein Widerspruch. In einem Jahr Europameister, die schnellsten Männer der Welt gestellt und dazu den Eurovision Songcontest gewonnen. „Tu portami dove sto a galla!“ Italien, du könntest der neue Motor für Europa sein! Schick Salvani zur Hölle und remember Toto Cotugno: „Insieme, unite, unite Europe!“ Aber wahrscheinlich verlierst du dich lieber im Müßiggang. Recht hast du.

Geht aufs Haus 10|2021
Ralph Rußmann ist schwer verliebt.